21.11.2015: Martin Dolzer, Mitglied der Partei DIE LINKE, für die er in der Hamburger Bürgerschaft ein Mandat ausübt (rechts auf dem Foto), ist seit langem in der Flüchtlingsbewegung aktiv, aktuell in der Solidaritätsbewegung mit den Lampedusa Flüchtlingen. Er war kurz vor der DKP Veranstaltung in Elmshorn in Rojava und Kobane, brachte also aktuelle Erfahrungen von dort mit ein. Er verwies auf spannende und erschreckende Hintergründe der Fluchtursachen. So beschrieb er ein Projekt der Nato - Staaten „Greater Middle East Projekt“, das in den letzten Jahren und aktuell umgesetzt wurde und wird.
Die „Erfolge“ dieser Politik der Trennung der Völker nach Ethnien, Religion und Stammesgruppen ist heute auch in Afghanistan, Libyen und Mali festzustellen, Hunger, Elend, Zerstörung und Kriege in deren folge sich eine umfassende Fluchtbewegung entwickelt. Libyens Zerstörung hatte besondere Gründe, von Gaddafi ging die Initiative aus, eine afrikanische Zentralbank, einen Währungsfond und gemeinsame ökonomische, politische und militärische Zusammenarbeit auf dem Kontinent Afrika zu organisieren. Das Vorhaben konterkarierte die Ausbeutungspolitik der Großkonzerne und Banken aus den USA und Westeuropa, das war der Grund für einen propagandistisch vorbereiteten neokolonialistischen Krieg vor allem der NATO gegen Libyen, mit dem Ergebnis großer Zerstörung und bis heute anhaltender Kämpfe und der Destabilisierung aller Lebensverhältnisse dort.
Seit den 60ger Jahren begann diese zerstörerische Politik imperialistischer Staaten und ihrer Bündnisse in Nordafrika und in einigen arabischen Staaten, die heute mit dem Wirken von ihnen geschaffener „Gegner“ wie des Islamischen Staat (IS) und anderer reaktionärer Kräfte ihre Fortsetzung fand.
Das „European Institute“ ist seit langem als „Think- Tank“ aktiv, von ihm stammt seit 2009 das Papier „Strategie 2020“. Hier ist der organisierte Klassenkampf von oben zugunsten der entscheidenden Teile des großen Finanzkapitals dieser Region beschrieben. Hier werden Ideen für Waffensysteme entwickelt, die für Kriegseinsätze in Nordafrika und den arabischen Staaten geeignet erscheinen, z. b. spezielle Helikopter und Drohnen neben anderen Waffen. Hier wurde auch die Außen- und Sicherheitspolitik zur Abschottung vor allem EU – Europas entwickelt, hier wurde 2004 die Frontex Gründung vorbereitet.
Die Machtoption des Kapitals sollte durch Destabilisierung, Einflussausbau, Farbenrevolution genannte Aufstandsszenarien , wirtschaftliche Maßnahmen - bis hin zum Krieg, erreicht und gesichert werden. Im Papier wird sich deutlich auf die Fortführung kolonialistischer Politik bezogen. Die Dokumente für diese Politik sind auf der Homepage der EUISS, dem Report 16, der nachzulesen.
Es geht auch um die Aufteilung von Einflusssphären imperialistischer Mächte EU-Europas, vor allem in Russland und im Nahen Osten, wo nötig auch in Konkurrenz zu den USA. Ein Ausdruck dieser Strategie ist die Politik der Orangenen Revolution in der Ukraine, die allerdings teilweise gescheitert ist. Die Politik des „Regime Change“ zielt auch auf Russland und China. Diese Veto-Mächte des UN Sicherheitsrates sollen möglichst ausgeschaltet werden.
Inzwischen zeigen sich verschiedene Auswirkungen dieser Strategie, der IS ist mit anderen Gruppen ein Machtfaktor in der Region, auch als Folge der Destabilisierung im Irak, Syrien und in afrikanischen Ländern.
In Rojava, Kobane entwickelte sich Widerstand und die Sicherung neuer progressiver Gesellschaftsstrukturen. Die Türkei ist ein reaktionärer Machtfaktor in der Region, auch durch die Nato Mitgliedschaft wird der Kampf gegen Kurden und progressive Kräfte durch EU und Nato gedeckt und gefördert. Saudi Arabien, die Emirate und andere reaktionäre Regimes der Region bekämpfen jeden Ansatz fortschrittlicher Lösungsansätze.
Die Destabilisierung dieser Region ist ursächlich verantwortlich für die Flüchtlingsströme, das wird jedoch von den imperialistischen Mächten akzeptiert vor dem Hintergrund der politischen und ökonomischen Ziele des Kapitals sogar gewollt. Zusätzlich wird kräftig verdient durch Waffenexporte, wie z. B. bei Heckler und Koch - oft ist der Hamburger Hafen die Drehscheibe für lukrative Waffenexporte.
Frontex soll nach Lesart der EU die Außengrenzen der EU sichern, dazu gehört die Grenzsicherung durch Zäune, neue Sicherheitstechnik, aber auch das direkte Abschieben von Flüchtlingen. Der Tod tausender Flüchtlinge wird akzeptiert. Die neuen Frontexvorhaben werden nach griechischen Göttern genannt, sie dienen der Abschottung und sind insofern direkt mitverantwortlich für lebensbedrohende Fluchtwege z. B. über die Meere.
Die Situation könnte durch die Gestaltung sicherer Fluchtwege schnell verändert werden, es ist allerdings nicht gewollt von der EU und Nato. Es fehlt der politische Wille für humane Lösungen zur Behebung der Flucht und für eine menschengerechte Behandlung der Flüchtlinge. Die oft behauptete Ursachenbeseitigung der Flucht wird real nicht in Angriff genommen, im Gegenteil die Situation soll bewusst eskaliert werden und an die Wand gefahren werden, um noch umfassender vor allem militärisch eingreifen zu können.
Alle fortschrittlichen Kräfte müssen Aufklärung leisten über diese politischen Zusammenhänge, um eine politische Veränderung durchzusetzen, zugunsten einer humanen Politik gegenüber den Flüchtlingen und zur Lösung der internationalen Konflikte unter Einbeziehung der UN und aller demokratisch legitimierten Kräfte der Region.
60 % der Menschen in der BRD sind für die Aufnahme der Flüchtlinge, die Bevölkerung, soweit sie kreativ darin aktiv ist, lebt eine positive Politik vor. Mit all diesen progressiven Kräften muss ein gemeinsamer Kampf gegen reaktionäre Politik geführt werden, dabei kommt der Nutzung moderner Kommunikationsmedien eine wichtige organisierte Funktion zu.
Im Anschluss an Martins Ausführungen referierte Elwira Flohr vom „Elmshorner Flüchtlingskaffee“. Sie beschrieb die umfassende Solidaritätsarbeit vieler ehrenamtlicher Menschen in der Stadt. Heute entstehen auf der Basis der Solidarität Freundschaften und konkrete Hilfsangebote, z. B. auch durch Lehrer, Ärzte, Verwaltungsangestellte.
Die Flüchtlinge stellen oft eine große Herausforderung für alle dar. Es kommen viele Menschen in unser Land, die meisten von ihnen hatten nur minimalen Zugang zu Bildung, oft sind große psychische Belastungen durch Krieg und Flucht entstanden. Die Ehrenamtlichen vom „Willkommensteam“ arbeiten mit Hauptamtlichen vom Willkommenscafe solidarisch zusammen um den Flüchtlingen zu helfen.
In dieser Tätigkeit wurden Helfer auch mit Vorbehalten, Ängsten und Ablehnung der Flüchtlinge konfrontiert. Es ist auch „Zeit“ nötig um Lösungen zu schaffen. Es ist Geld nötig für die Beschaffung von Wohnraum, für die Versorgung und um ein erträgliches Maß an Lebensqualität zu sichern. Letztendlich benötigen wir eine andere fortschrittliche Politik um diese Probleme im Sinne der Bevölkerung und der Flüchtlinge zu bearbeiten und besser als bisher zu lösen.
Das war auch die Konsequenz einer sehr angeregten Diskussion. So viele gute Argumente und Fakten bekommt man in dieser Zeit nicht allzu oft zu hören.
Text: Heinz Stehr Foto: DKP-Elmshorn
Nachlesenswert: Martin Dolzer Blog zu Flüchtlingspolitik und Blog zur Rohjava Delegation