Farkha Festival

Farkha2017-327.07.2017: Die Zeit verfliegt, es ist nunmehr der dritte Tag (25.7.) des Festivals. Bemerkenswert ist, wie Farkha Schritt für Schritt den Weg in eine befreite Gesellschaft versucht zu gehen. Das ist nicht nur am Projekt des "Ökologischen Gartenbaus" zu sehen, über den bereits im vorherigen Artikel berichtet wurde, sondern auch daran auszumachen, wie Männer und Frauen, Kinder und Jugendliche hier miteinander umgehen und sich gegenseitig respektieren. Deshalb soll im folgenden Artikel neben einem sehr spannenden Vortrag zur Lage Jerusalems im Zuge des "Masterplans 2020" vor allem der Prozess des Aufbrechens patriarchaler und konservativer Strukturen dargestellt werden.

 


Der dritte Tag des Festivals begann nass. Am Vortag beschlossen wir, unseren Schlafplatz auf das Dach des Schulgebäudes zu verlegen, nicht nur war es dort ruhiger, wir lagen zudem unter dem Sternenhimmel Palästinas, während der lauwarme Wind auch noch spät Nachts über uns hinweg zog. Früh morgens legte sich jedoch eine Nebeldecke auf das Dorf – und somit auch auf uns,  Matratze, Kopfkissen und Decke waren durchnässt. Nur gut, dass es bereits gegen acht Uhr 25°C hat und alles wieder trocknet.

Die tägliche Arbeit rund um das Dorf war heute besonders anstrengend. Bei rund 35°C arbeitete ich mit einer Gruppe Jugendlicher, die aus Farkha selbst, aber auch aus den herumliegenden Dörfern kommen, auf den Feldern rund um den Kindergarten. Der Garten musste von Unkraut befreit und umgegraben, der Sandkasten mit einem großen Sieb vom Schmutz befreit werden. Keine leichte Arbeit bei dieser Hitze.

Vortrag zur Situation in Jerusalem

Nach der Arbeit und dem Mittagessen versammelten sich schließlich alle Teilnehmer*innen des Farkha Festivals in der Gemeindehalle zu einem Workshop mit dem Titel "Jerusalem in the past, present, future". Referent war Rami Saleh von der Organisation "Jerusalem legal aid and human rights centre" (JLAC). JLAC ist eine Nichtregierungsorganisation und deckt bereits seit vielen Jahren Rechtsbrüche auf, die gegen Palästinenser*innen und deren Häuser begangen werden. Besonders betroffen sind dabei Palästinenser*innen aus Jerusalem und der Area C in der Westbank. JLAC gibt den Betroffenen in diesem Fällen Rechtsbeistand, unterstützen sie vor Gericht und versucht alles dafür zu tun, dass es gar nicht erst zu Häuserzerstörungen seitens der Israelischen Regierung kommt – was sich jedoch als schwierige Aufgabe erweist.

Spannend und erschreckend war, als Rami in diesem Zusammenhang über den sogenannten "Masterplan 2020" sprach. Dieser geht zurück auf die Hertzilea Konferenz im Jahre 2001. Dort wurde neben dem Bau der Mauer und der Umsiedelung von Beduinenvölkern außerdem beschlossen, dass Jerusalem bis 2020 zur Hauptstadt des »jüdischen Volkes« werden und diese zu mindestens 70 Prozent von Jüdinnen und Juden bewohnt werden soll. Zwar scheint dieser Plan noch nicht offiziell abgestimmt worden zu sein, die Regierung Israels verfährt jedoch bereits nun nach diesem.

Traditionelle Denkmuster aufbrechen

Geht man auf der Hauptstraße durch Farkha, fallen einem sofort die vielen Parteifahnen, Plakate von Märtyrer*innen und insbesondere die Malereien an den Häuserwänden auf. Eines trifft dabei die Quintessenz dessen, was dieses Dorf erreichen möchte. Um das Bild einer gemalten Frau steht auf arabisch geschrieben: "Mann und Frau sind gleichberechtigte Partner bei der Arbeit und beim Treffen von Entscheidungen. Die Frau symbolisiert die eine Hälfte der Gesellschaft. Ohne sie ist die andere Hälfte nicht möglich".

Natürlich gibt es bei diesem Festival immer noch einige konservative und patriarchale Ansichten, wie beispielsweise die nach Geschlechtern getrennten Unterkünfte und eine Kleidungsvorschrift, die sich gegen zu viel Freizügigkeit und damit gegen individuelle Vorstellungen richtet. Doch bei all dieser Kritik darf nicht vergessen werden, dass das Dorf mit obengenanntem Zitat, welches auch während des Festivals fester Bestandteil ist, auf einem sehr progressiven Weg ist! Denn die Arbeit im Dorf, die Diskussionen und Vorträge sowie das Tanzen, Essen und Shi-Sha Rauchen finden gemeinsam und in stetigem Respekt vor einander statt.

Der Hamas ist dieses Festival schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Glücklicherweise ist ihr Einfluss auf das Dorf sehr gering!

Deutlich wurde das Durchbrechen von überholten Traditionen auch während einer großen Diskussionsrunde bezüglich des Themas "Ehe und Heirat". Bakar, Bürgermeister Farkhas und Mitglied der PPP (Palestinian Peoples Party, ehem. Kommunistische Partei), erzählte, wie eine Heirat von Mann und Frau in seiner Familie und seinem Dorf traditionell abgelaufen ist und teils bis heute abläuft. Nach wie vor ist es so, dass sich die Partner*innen in manchen Familien nicht selbst kennenlernen, sondern auf Aufforderung und Vermittlung der Familie zusammengeführt werden. Oft gehört auch noch die Mitgift zu dieser Vorgehensweise. Nach diesen einleitenden Worten Bakers erzählten und diskutierten auch viele Jugendliche miteinander, wie Ehe und Heirat in ihren Dörfern vollzogen werden. Aufgefallen ist dabei, dass die familiäre Vermittlung auch in ihren Dörfern noch stets zum normalen Ablauf einer Eheschließung zählt.

Doch die Stimmung hin zu selbstbestimmter und freier Liebe nimmt immer mehr Platz ein. Alte und längst überholte Denkmuster werden immer mehr in Frage gestellt. Ein Vorbild dafür ist sicherlich auch die kurdische Freiheitsbewegung. Malinda und Siyo, die als Teil der deutschen Delegation mit nach Farkha gekommen sind, haben dazu später am Abend noch einen Vortrag gehalten. Sie sprachen davon, dass auch die Genoss*innen in Kurdistan versuchen alte und längst überholte Strukturen in Bezug auf die Ehe aufzubrechen. Hinzu kommt, dass Frauen auch dort in die Arbeit, in den Kampf und in die Diskussionen miteinbezogen werden - gewährleistet durch die Bildung von Frauenräten.

Ein Genosse hat die Diskussion schließlich mit einer sehr wichtigen Aussage bereichert: "Wir sind Kommunist*innen. Niemand sollte uns sagen, wie wir zu lieben haben. Das können wir selbst am besten!"

Max van Beveren