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bettina jrgensen07.07.2017: Aus Hamburg kommen Bilder, die wir sonst aus der Türkei kennen. Vermummte Polizei setzt wahllos Knüppel, Wasserwerfer und Pfefferspray gegen Demonstrierende ein, auch gegen Unbeteiligte. Am Boden Liegende werden brutal misshandelt. Bettina Jürgensen zu den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg:


Seit Wochen werden in Norddeutschland Gewaltszenarien von Polizei und anderen "Sicherheits-"kräften Teilnehmer*innen der G20-Aktionen verbreitet. Daran ändern auch die viele hunderte Informationsveranstaltungen und Aktionen der Unterstützer*innengruppen in Hamburg und Umgebung nichts. In den politisch und gesellschaftlich vielfältigen Bündnissen ging es informativ und streitbar diskutierend zu. Klar gibt es Unterschiede, gesucht wird jedoch das Gemeinsame: Eine Welt des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit, ohne Ausbeutung, ein gesundes Leben, keine Angst den nächsten Tag nicht überleben zu können, der Klimakatastrophe Einhalt gebieten, sind die wesentlichen einigenden Forderungen gegen das Treffen der G20-Staatsoberhäupter.

Die Aussagen der selbsternannten Weltenlenker jedoch zeichnen oft eine "schöne Welt mit ein paar Kratzern". Das geschieht auf auf dem eintrittsfreien "Global Citizen Festival" in der Barclaycard Arena zwischen Stars wie Coldplay, Shakira und Herbert Grönemeyer. Zur Eröffnung erklärt der Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz, die weltoffene Stadt Hamburg. Kanadas Premier Trudeau gab gemeinsam mit seiner Frau von der Bühne das Statement das Recht der Frauen und Mädchen der ganzen Welt auf Bildung und Gesundheit, diesem Stichwort folgend lässt es sich der Pharmakonzern Johnson & Johnson als Hauptsponsor des Festivals nicht nehmen, seinen Erfolg im Kampf gegen das Ebola-Virus zu präsentieren und der Direktor der Weltbank empört sich über die zu geringen finanziellen Mittel für Bildung und Gesundheit in der Welt. Außenminister Sigmar Gabriel hält die Wahlkampfrede eines Kanzlerkandidaten und Minister Gröhe erklärt die Gesundheit zum höchsten Gut.

Ganz nebenbei wird von Künstler*innen und Moderation immer wieder betont, wie gut Deutschland auf dem Weg ist: Demokratie und Freiheit, Gesundheit und Umwelt, Frieden sowieso. Zur Freude der Sponsoren und Regierungen heißt es jedesmal "Weiter so!"

Nur Vandana Shiva, Globalisierungskritikerin und Alternativ Nobelpreisträgerin, erklärt die global agierenden Konzerne und Unternehmen, sowie die Regierungen der Industrieländer zu den Verursachern und Verantwortlichen von Armut, Krankheit, Klimawandel und Kriegen. Ihre Rede war kurz, das Mikro ging schnell wieder an die Musik, sie passte wohl nicht in diese G20-Veranstaltung.

Niemand erwähnt hier den Alternativgipfel in der Hansestadt, auf dem diskutiert wird für die Entwicklung anderer Lebens- und Arbeitsbedingungen, für einen nachhaltigen Klimaschutz, gegen ökologischen Raubbau, gegen Kriegspolitik und Militarisierung, die zu millionenfacher Flucht der Menschen führen. Niemand weist hier darauf hin, dass Hamburg seit Tagen einer Festung gleicht. Eine Festung, die in den letzten Monaten systematisch und akribisch vorbereitet und gebaut wurde.

Der Protest und Widerstand gegen die Treffen der Regierungsvertretungen wird bereits seit Monaten kriminalisiert. Wir kennen es von G8/G7, der Sicherheitskonferenz München oder Blockupy, der Sicherheitswahn beginnt bereits im Vorfeld.

An der Schraube der Provokationen gegen den Widerstand von Bevölkerung wird bei allen bisherigen Zusammenrottungen der Herrschenden in dieser Welt gedreht. Jedes Stadtfest wird vorher zum Probierfeld für Polizei und Sicherheitskräfte erkoren. Gewalt wird herbeigeredet, die Szenarien, die entstehen könnten, werden durch Medien bis ins Kleinste beschrieben.

Entsprechend dieses Drehbuchs, wird der größte Polizeieinsatz Hamburgs mit 20.000 meist in dunkler Farbe gekleideten und oft vermummten Polizist*innen (alternativ gehen einige in zivil) aus der ganzen Republik und aus EU-Staaten medial inszeniert. Selbst die Unterbringung in Containercamps, in denen noch vor kurzem Geflüchtete "wohnten", mit undichten Dächern, wenig Freizeitmöglichkeit und nächtlichem Gebell der Diensthunde lässt sich nutzen, um die "arme" Polizei in die Öffentlichkeit zu rücken. Nebenbei gesagt: Das schafft nicht nur Langeweile und ordentlich Frust, sondern das Verlangen nach Aktion.

Die Bevölkerung soll zur Meinung kommen, die Demonstrationen seien die Verursacher der Einschränkungen von Bewegungsfreiheit. Dazu werden dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit die zurechtgebogenen Versammlungsgesetze mit Möglichkeiten der Einschränkung des Demorechts entgegengehalten. Selbst Regeln und Gesetze werden mit staatlicher Willkür gebrochen, Entenwerder ist nur ein Beispiel.

Sehr abgestuft wird dann das Recht auf Demonstration von den Behörden zugelassen, eingeschränkt oder von der Polizei niedergeknüppelt.

Die Demonstration von Campact und DGB am Sonntag war keine Übung der Polizei wert. Doch das Zeltcamp in Entenwerder wurde brutal geräumt. Eine Demonstration der Polizeimacht.
"Lieber tanz ich als G 20" war die Nachttanzdemo am Dienstag mit bis zu 20.000 Gipfelgegner*innen.  Am Mittwochmittag schlichen "1.000 graue Gestalten" lehmverkrustet durch die Stadt, um zum Abschluss die graue Kleidung gegen bunte T-Shirts zu tauschen.

Kreativer Protest, der sich in den unterschiedlichsten Formen darstellt. Kreativität, denen in Seitenstraßen Wasserwerfer und Räumfahrzeuge, von oben Hubschrauber und Überwachung entgegenstehen, aber dort nicht zum Einsatz kommen.

Die Warnungen der Polizei richteten sich gegen die Demo am Donnerstag. Bis zu 8000 gewalttätige Menschen wollten demnach in die Stadt einfallen. Angst wurde geradezu geschürt – auch der Polizeiübergriff auf die Zelte in Entenwerder wurde mit dem "Unterschlupf für Gewalttäter" begründet. Es scheint also nur logisch, dass der Einsatzwille der "Sicherheits"kräfte und die Erwartungen der Medien und der Bevölkerung nicht unbegründet sein dürfen.

 

"Für alles, was nach der Demonstration passiert ist, trägt die Polizei die Verantwortung. Sie war der Aggressor. Die Versammlung war ohne Auflagen genehmigt, sie wurde wochenlang in Kooperation mit der Polizei und der Versammlungsleitung vorbereitet. Dass die Leute jetzt richtig sauer sind, ist nachvollziehbar. Die Hamburger Polizei ist bekannt für ihr rechtswidriges Verhalten. Hartmut Dudde hat schon so viel auf dem Kerbholz. Wenn man ihm die Einsatzleitung gibt, will man an erster Stelle einen reibungslosen Ablauf des Gipfels – egal, was das für Bürgerrechte und Demokratie bedeutet.
(…)
Wegen ein paar Vermummter darf man nicht den gesamten Versammlungszug von 10.000 Menschen auflösen, wahllos Wasserwerfer und Pfefferspray einsetzen, auch gegen Unbeteiligte. Das ist außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit. Die meisten Vermummten bei solchen Versammlungen sind doch die Polizeibeamten. Die können unter dem Schutz dieser Vermummung übergriffig werden."

Thomas Wüppesahl in ZEIT ONLINE, 7. Juli 2017

 Thomas Wüppesahl ist ehemaliger Polizist und war von 1987 bis 1990 Bundestagsabgeordneter für die Grünen. Er gründete die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten, die sich für Bürgerrechte einsetzt.


In der Nähe des größten Heavy-Metall-Dorfes, Wacken liegt quasi um die Ecke, fand die Demo "Welcome to Hell" statt. Da die G20-Welt ist für Millionen Menschen "die Hölle auf Erden" ist, richtete sich die Demo gegen die weltweite Ausbeutung von Ressourcen, Kriege und Gewalt durch das kapitalistische System. Mehr als 12.000 wollten teilnehmen. Doch nach wenigen hundert Metern bricht die Polizei in die Demo ein, provoziert damit und greift Menschen heraus. Wie so oft kommen auch hier die Bilder, die Wochen vorher angekündigt wurden: Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray führen zu einem Abbruch dieser Demo. Später wird sie in anderer Form doch noch zu Ende geführt.

Am Sonnabend findet die Großdemo statt. Lassen wir uns nicht von der Teilnahme abhalten. Nach vielen Verhandlungen scheint der Ablauf nun geklärt mit einem Start am Deichtorplatz und der Abschlusskundgebung am Millerntorplatz.

Der Kriminalisierung und dem Schüren der Angst müssen wir gemeinsam und solidarisch die Durchsetzung unseres Demonstrationsrechts entgegensetzen. Jetzt erst recht! 

Bettina Jürgensen, Vorstandsmitglied marxistische linke

G20-HH-DemoaufstellungDie marxistische linke gehört nicht nur zu den Erstaufrufern, wir demonstrieren auch mit. Wir treffen uns am Sonnabend, 8. Juli um 11 Uhr zwischen den Blöcken 8 DiEM25 und 9 Friedensbewegung am Deichtorplatz.
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