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FR Macron-Arbeitsmarktreform06.09.2017: Macron will "Arbeitsmarktreform" per Erlass durchsetzen ++ CGT mobilisiert für den 12.9. gegen die weitere Verschlechterung des Arbeitsrechts ++ Bundesaußenminister Gabriel (SPD) unterstützt Macron bei Abbau von ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsrechten ++ Entschlüsselung der Präsidenten-Erlasse: Details der "Arbeitsmarktreform"

 

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel bekundete in Paris seine Unterstützung für Macrons Plan zur "Reform" des Arbeitsrechts. Er sei fest überzeugt, dass das Programm Frankreich helfen werde, "wieder stärker zu werden in seinen wirtschaftlichen und sozialen Erfolgen", so Gabriel.

Derweil verliert Emmanuel Macron bei den FranzösInnen so schnell an Vertrauen wie noch nie ein französisches Staatsoberhaupt verloren hat. Kürzungen beim Wohngeld und die Auseinandersetzung um den weiteren Abbau von ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsrechten  haben zum Stimmungswechsel bei der Bevölkerung beigetragen.

Wenn alles wie von Macron geplant über die Bühne geht, werden die fünf "Ordonnancen" (Erlasse des Staatspräsidenten) zur "Reform des Arbeitsrechts" in Frankreich Ende September in Kraft treten.

In den deutschen Medien war die Berichterstattung darüber vorwiegend positiv. Man hielt sich an die von Präsident Macron und seiner Regierung vorgebrachten Argumente. Es gehe bei dieser "Reform" darum, Frankreich von "Hemmnissen" im Arbeitsrecht zu befreien, damit die Unternehmer wieder mehr Leute einstellen und mehr Kapital investieren. So solle die französische Wirtschaft wieder in Schwung gebracht und die hohe Arbeitslosigkeit (6,6 Millionen gleich 9,5 %) abgebaut werden. Dazu müsse der "Code de travail" (Arbeitsgesetzbuch) von zu starren Vorschriften entrümpelt und den neuen Gegebenheiten des Wirtschaftslebens angepasst werden. Das verlange die Verlagerung von wirtschaftlichen Entscheidungen und Verhandlungen über Arbeits- und Tarifverträge, Arbeitszeiten, Überstunden und Entlohnung auf die Ebene der Betriebe mit ihren unterschiedlichen wirtschaftlichen Situationen im globalen Konkurrenzkampf, also eine "Flexibilisierung" des Arbeitsrechts. Dazu gehöre auch eine Erleichterung von Entlassungen, weil die Firmenchefs mehr und schneller einstellen, wenn sie die Eingestellten bei auftretenden Schwierigkeiten auch schneller wieder loswerden können. In Wirklichkeit war das nur die x-te Variation der neoliberalen Doktrin, dass es den lohnabhängig Beschäftigten gut geht, wenn es den Unternehmern gut geht. Eine Behauptung, die durch die Praxis der letzten Jahrzehnte schon längst widerlegt ist. Und gerade derzeit in Frankreich erneut widerlegt wird. Denn die größten börsennotierten französischen Konzerne CAC 40 (entspricht etwa dem deutschen DAX) haben nach den jüngsten Angaben im ersten Halbjahr 2017 gerade 51,6 Milliarden Euro Gewinne eingestrichen, 25 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum vor einem Jahr, ohne dass eine spürbare Verbesserung der Beschäftigungssituation zu verzeichnen gewesen wäre – eher umgekehrt: die höheren Gewinne stammen aus der Reduzierung der Beschäftigtenzahlen in vielen Großunternehmen.

Kritik nimmt zu, aber ..

In Frankreich wächst die Kritik an dem Vorhaben des Präsidenten, wenn auch vorerst noch in nur begrenztem Umfang.

Der größte und linksorientierte französische Gewerkschaftsbund, die CGT, hat schon seit dem Frühjahr gegen das Vorhaben Stellung bezogen. Die Regierung habe mit ihrem Projekt "die schlimmsten Befürchtungen bestätigt, die wir haben konnten", hieß es in einer Erklärung. "In "gerader Linie mit ihren Vorgängern" habe die Macron-Regierung "eine n te Reform des Arbeitsrechts vorgeschlagen, die von dem Prinzip ausgeht, dass Arbeit ein Kostenfaktor ist, obwohl sie doch den Reichtum produziert". Das neue Arbeitsrecht werde wie die vorhergehenden "Reformen" die Arbeitslosigkeit nicht verringern, die Zahl der prekären (unabgesicherten) Niedriglohn-Arbeitsverhältnisse vergrößern und die Armut anwachsen lassen. Als Alternative dazu habe die CGT bereits beim ersten Treffen zur sogenannten "sozialen Konzertierung" mit der Regierung im Juni einen 14-seitigen Gegenvorschlag für "echte Reformen" vorgelegt, der aber offenkundig völlig unberücksichtigt blieb.

Die CGT hat die Beschäftigten für den 12. September zu einem ersten gewerkschaftlichen Aktionstag mit Streiks und Demonstrationen in mehreren Städten gegen das "Loi travail XXL" aufgerufen ("Loi travail" – Arbeitsgesetz, Bezeichnung für die unter dem sozialdemokratischen Staatschef Hollande und seiner Arbeitsministerin El Khomry im Herbst 2016 durchgesetzte erste "Reform des Arbeitsrechts" mit massiven Verschlechterungen für die Beschäftigten).

.. Gewerkschaften sind sich nicht einig

Allerdings scheint es Macron und seinem Regierungsteam wohl gelungen zu sein, durch die Phase einer dreimonatigen "Konzertierung mit den Sozialpartnern" seit Anfang Juni in manchen Gewerkschaftskreisen doch eine gewisse Verwirrung zu stiften. Dazu dienten auch einige kleinerer Zugeständnisse und die Abmilderung mancher ursprünglich vorgesehener Regelungen.

So zeigten sich am Ende nur die Unternehmerverbände hoch zufrieden. Bei den Gewerkschaften herrscht dagegen zwar Kritik vor und keiner der großen Gewerkschaftsbünde war bereit, den Regierungsvorhaben zuzustimmen. Aber gleichzeitig machten einige deutlich, dass sie sich nicht an der Organisierung öffentlichen Widerstands beteiligen wollen – jedenfalls derzeit nicht. Der Vorsitzende des sozialpartnerschaftlich orientierten zweitgrößten Gewerkschaftsbunds CFDT, Laurent Berger, erklärte sich zwar öffentlich über das Ergebnis der Verhandlungen "enttäuscht", aber ließ gleichzeitig deutlich erkennen, dass die CFDT nicht zusammen mit der CGT oder parallel zu ihr Protestaktionen durchführen wird. Auch der Chef des Gewerkschaftsbundes "Force Ouvrière" (FO), Jean-Claude Mailly, der gegen des Loi El Khomry unter Hollande noch Seite an Seite mit der CGT an den Gewerkschaftsprotesten im letzten Jahr teilnahm, scheint nun, obwohl er die Regierungsvorhaben öffentlich kritisierte, nicht mehr zu einer Aktionseinheit mit der CGT bereit. Er nannte die Regierungsmaßnahmen zwar "unausgewogen", ließ aber gleichzeitig verlauten, dass er in den "Konzertierungsgesprächen" mit der Regierung durch seine Einwände erreicht habe, dass die schlimmsten Bestimmungen, die ursprünglich vorgesehen waren, aufgegeben wurden. Ebenso wie die FO will auch die Angestelltengewerkschaft CFE-CGC sich nicht an Aktionen beteiligen, obwohl ihr Vorsitzender François Hommeril erklärte, das Regierungsvorhaben bringe nur "Unsicherheit und Sozialdumping" hervor.

Parlament wird übergangen

Anlass zur Kritik bieten allerdings nicht nur die konkreten Inhalte der "Ordonnancen", die Macron nun Ende September in Kraft setzen will, sondern ebenso sehr die undemokratische Art und Weise ihres Zustandekommens. Um eine längere parlamentarische Auseinandersetzung mit ihren Wirkungen in der Öffentlichkeit zu umgehen, hat Macron nämlich von einer Bestimmung der französischen Verfassung (Artikel 38) Gebrauch gemacht, die vorsieht, dass Regelungen mit Gesetzeskraft auch per Erlass des Staatspräsidenten eingeführt werden können, ohne dass sie vorher vom Parlament (Nationalversammlung und Senat) gebilligt wurden. Dafür muss das Parlament allerdings vorher ein entsprechendes "Ermächtigungsgesetz" unter Benennung der zulässigen Themenbereiche verabschieden. Dieses Gesetz ist vom französischen Parlament aufgrund der großen Mehrheit der darin vertretenen Abgeordneten der Macron-Partei "La République en marche (LREM) und der rechtskonservativen Abgeordneten der "Republikaner" ("Les Républicains") am 1. August (Senat am 2.8.) verabschiedet worden. Damit war der Weg frei für die Mit der Veröffentlichung der entsprechenden Präsidentenerlasse im "Journal Officiel" (staatlichen Amtsblatt, die nach der offiziellen Verabschiedung des Wortlauts im Ministerrat am 19. September für den 25. September vorgesehen ist. Mit der Veröffentlichung treten die Präsidentendekrete auch sofort in Kraft. Das Parlament muss sie aber danach noch einmal per Abstimmung ratifizieren, damit sie Gesetzeskraft erlangen, Gültigkeit als Regierungsverordnungen hätten sie aber auch ohne dies.

Den genauen Wortlaut dieser "Ordonnancen" bekamen die Gewerkschaften allerdings erst zum Ende der französischen Sommerferien am 31. August zu Gesicht. In den vorhergehenden "Konzertierungsgesprächen" hatte die Regierung immer nur Teile zur Kenntnis gegeben und bestimmte Details bis zum Schluss im Dunkeln gehalten. Erst am 31.8., nach dem die "Konzertierungsgespräche" offiziell beendet worden waren, haben Regierungschef Philippe und Arbeitsministerin Pénicaud den vollständigen Wortlaut auf den Tisch gelegt.

Unterstützung von gewerkschaftlichen Basisorganisationen und der politischen Linken für die CGT

Inzwischen zeichnet sich allerdings ab, dass die CGT mit ihrem Widerstand gegen die neuerliche Verschlechterung des Arbeitsrechts nicht allein bleiben wird. Die Vereinigung der autonomen linken Gewerkschaften "Solidaires" hat in einer Erklärung festgestellt: "Wie vorher nimmt die Regierung wieder die Arbeitslosenziffern zum Vorwand, um den Zweck des Arbeitsgesetzbuches, der im Schutz der lohnabhängig Beschäftigten besteht, in ein Werkzeug zur Stärkung der Macht des Unternehmers umzuwandeln". Deshalb werden sich die "Solidaires" an den Aktionen am 12. September beteiligten. Gleiches haben auch die Gewerkschaft der Beschäftigten des Bildungswesens (FSU), und der Studentenverband UNEF bekanntgegeben, ebenso mehrere Bezirksorganisationen der FO und die FO-Transportarbeitervereinigung.

Unterstützt werden die Aktionen am 12. September natürlich auch von den linken politischen Parteien: Kommunisten (PCF), "La France Insoumise" (LFI, die Bewegung des linkssozialistischen Präsidentschaftskandidaten Mélenchon) und auch von den Grünen (Europe-Ecologie – les Verts, EELV). Auch die Restbestände der "Parti Socialiste" haben mit einer von ihrem Nationalbüro verabschiedeten Erklärung ihre Unterstützung "für alle gewerkschaftlichen Initiativen gegen die Reform des Arbeitsrechts" bekanntgegeben, allerdings ohne direkt zur Teilnahme an den Aktionen des 1. September aufzurufen. Mehrere führende PS-Leute und ihr ehemaliger Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon, inzwischen nach der Gründung einer eigenen "Bewegung des 1.Juli" aus der PS ausgetreten, haben aber ihre Teilnahme am 12. September angekündigt. Der Anführer von "France Insoumise", Jean-Luc Mélenchon, hat zusätzlich zu einer großen Demonstration gegen die "Arbeitsrechtsreform" am 23. September in Paris aufgerufen.

txt: Georg Polikeit
foto: http://www.humanite.fr/


Anhang:

Entschlüsselung der Präsidenten-Erlasse: Das Arbeitsgesetzbuch in Fetzen

Was genau ist der Inhalt der Erlasse des französischen Staatspräsidenten Macron zur "Reform des Arbeitsrechts"? Das zu wissen, kann auch für deutsche Gewerkschafter durchaus von Interesse sein, zumal die deutschen Unternehmer und Konzernbosse nicht versäumen werden, die "Flexibilisierung" des Arbeitsrechts in Frankreich in einer Reihe von Fragen als lobendes Beispiel auch für Deutschland zu preisen.

Die nachfolgende Darstellung folgt einer Entschlüsselung ("decryptage"), die am 1. September in der "Humanité" veröffentlicht wurde. Es handelt sie allerdings um keine Übersetzung. Der Text wurde erheblich bearbeitet, um ihn angesichts vieler arbeitsrechtlicher Fachausdrücke und der teilweise doch erheblichen Unterschiede zwischen französischem und deutschem Arbeitsrecht auch für deutsche Leser und möglichst auch für Nicht-Fachleute verständlicher zu machen.

Vorgesehen sind insgesamt 5"Ordonnancen" (Präsidenten-Erlasse), die 36 verschiedene "Maßnahmen" vorsehen und zusammen rund 200 Seiten ausmachen. Die "Humanité" schrieb dazu: "Die 36 Maßnahmen, die gestern von der Regierung präsentiert worden sind, organisieren das Zerbrechen des Arbeitsrechts. Sie attackieren frontal die Tarifverträge, indem sie aus dem Betrieb die Hauptebene sozialer Verhandlungen machen, schwächen die Rolle und Rechte der Gewerkschaften und erleichtern ‚Entlassungen mit Sozialplänen.

Details:

1. Jeder Betrieb macht sein Gesetz

Betriebsvereinbarungen haben Vorrang

Das Gesetz El Khomry (Gesetz vom 8. August 2016, "Arbeitsrechtsreform" unter dem vorigen sozialdemokratischen Staatspräsidenten Hollande) hat sie eingeführt, die Erlasse (Ordonnanzen) perfektionieren die "Umkehrung der Hierarchie der Normen".

Hinter diesem Ausdruck verbirgt sich eine fundamentale Frage des Arbeitsrechts. Bis jetzt hatte das Arbeitsgesetzbuch Vorrang vor allen anderen Formen von Vereinbarungen, die aus Verhandlungen auf Branchen- oder Betriebsebene hervorgingen, es sei denn, sie brachten für die Arbeitnehmer günstigere Regelungen als die gesetzlichen oder Branchenregelungen. Nun wird alles auf den Kopf gestellt. Das Arbeitsgesetzbuch soll nur noch Mindestgrenzen festlegen, die auf der Ebene jedes einzelnen Wirtschaftszweiges (Branche) "angepasst" werden können, Diese Bestimmungen wiederum können auf der Ebene der einzelnen Betriebe (Unternehmen) weiter "angepasst" und faktisch nach Belieben umgangen werden durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen.

Insbesondere kleine Unternehmen mussten sich bisher, wenn in ihnen keine Beschäftigtenvertretung oder Gewerkschaft existierte, mit denen eine Betriebsvereinbarung hätte abgeschlossen werden können, dazu bequemen, die gesetzlichen Bestimmungen und Branchenvereinbarungen einzuhalten. Nun bekommen die Chefs der kleinen Unternehmen die Möglichkeit, mit einem "vereinfachten Verfahren" Verhandlungen mit der eigenen Belegschaft auch ohne Gewerkschafts- oder Personalvertreter zu führen und angebliche Betriebsvereinbarungen in Kraft zu setzen (siehe weiter unten)

Vereinbarungen zu Wettbewerb und Beschäftigung

Entsprechend diesem Vorrang von Betriebsvereinbarungen ermöglicht die Regierung die generelle Verwendung von sogenannten "Vereinbarungen zu Wettbewerb und Beschäftigung". "Wir geben den Unternehmen die Möglichkeit, sich durch vereinfachte Vereinbarungen schnell an eine Erhöhung oder ein Absinken der Wirtschaftskonjunktur anzupassen," erklärte Arbeitsministerin Pénicaud dazu.

Derartige Vereinbarungen zu Wettbewerb und Beschäftigung gab es bisher nur bei mittlerer und grooßen Unternehmen oder multinationaler Konzerne (Renault und PSA zum Beispiel). Sie mussten die Zustimmung der im Betrieb verankerten Gewerkschaften (mindestens der Mehrheit) haben und sahen vor, dass im Fall von wirtschaftlichen Schwierigkeiten Arbeitszeiten, Entlohnung und Einsatz von Beschäftigten an einem bestimmten Arbeitsort auf betrieblicher Ebene bzw. innerhalb des Konzerns nach "wirtschaftlicher Notwendigkeit"  über einen bestimmten Zeitraum verändert werden können, wobei die Firmenleitung als Gegenleistung eine "Beschäftigungsgarantie" (also Verzicht auf Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen) abgab. Nun werden die Verhandlungen, die zu solcher Art von Vereinbarungen führen, "vereinfacht", also auch für kleinere Unternehmen ohne ausreichende gewerkschaftliche Vertretungen ermöglicht. Und der Rauswurf von Beschäftigten, die sich dem widersetzen, wird dann nicht mehr als Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen mit entsprechenden höheren Abfindungen bewertet, sondern nur noch als individueller "Bruch des Arbeitsvertrags".

Verträge für einzelne Baustellen und befristete Arbeitsverträge mit Rabatt

Die Befürworter der Präsidialerlasse brachten als Einwand gegen die Kritik an der "Flexibilisierung" des Arbeitsrechts vor, dass die Branchen doch weiter eine zentrale Rolle spielen werden, weil sie für den Abschluss von Branchentarifverträgen zur Festlegung von Mindestlöhnen, Qualifikationsstufen, Ausbildungsmaßnahmen, Regelungen für schwere Arbeit und bei der beruflichen Gleichstellung von Männern und Frauen weiter zuständig bleiben. Diese Bereiche können also nicht durch Betriebsvereinbarungen abgeändert werden. Das lässt allerdings nicht übersehen, dass entscheidende Fragen wie Entlohnung, Arbeitszeiten, Regelungen für Überstunden, Arbeitsschutz und anderes mehr nicht unter diese Bestimmung fallen, also dabei durch Betriebsvereinbarungen auch von eventuell vorhandenen Branchenregelungen zum Nachteil der Beschäftigten abgegangen werden kann.

Zugleich werden die Branchen aber mit einem neuen Privileg, nämlich dem des Abschlusses von Baustellen-Verträgen ausgestattet. Dabei handelt es sich um befristete Arbeitsverträge für einzelne Baustellen oder Projekte, die nur für diesen Arbeitsort gelten und nach Abschluss der Arbeit ebenfalls beendet sind. Die Modalitäten für solche befristeten Arbeitsverträge waren bisher per Gesetz festgelegt. Künftig sollen sie jedoch per Branchenvereinbarung festgelegt werden, sodass jede Branche die Regeln selbst festlegen kann. Derartige Verträge sind zwangsläufig mit größerer Unsicherheit verbunden und bieten in der Regel weniger Schutz für die Beschäftigten als der bisherige befristete Arbeitsvertrag. Es bleibt aber dabei, dass die Regierungstexte zusätzlich auch noch die Möglichkeit von Verhandlungen auf Betriebsebene vorsehen, also ein weiteres Abweichen von den Branchenvereinbarungen ermöglichen. Ein von der Regierung selbst erwähntes Beispiel: Eine auf Branchenebene vereinbarte Altersprämie kann nach Verhandlung auf Betriebsebene für etwas anderes verwendet werden, zum Beispiel die Finanzierung eines Kindergartens.

2. Entlassungen werden fast zur Formalität

Den kollektiven Vertragsbruch aus dem Hut gezaubert

Das war die große Überraschung des Tages bei Bekanntgabe der Ordonnanzen. Obwohl die Regierung ursprünglich die Regeln für Pläne, die Aufgabe von Arbeitsplatzen im "gegenseitigen Einvernehmen" vorsahen, in das Arbeitsgesetzbuch aufnehmen wollte, schlug sie stattdessen schließlich die Möglichkeit eines "kollektiven Bruchs des Tarifvertrags" vor. Das heißt, auf Betriebsebene können Entlassungspläne im "gegenseitigen Einvernehmen" vereinbart werden, bei denen sich die Betroffenen gegen Zahlung einer Abfindung bereit erklären, ihren Arbeitsplatz freiwillig aufzugeben. Doch bei einem solchen Plan zur freiwilligen Arbeitsplatzaufgabe dient die Abfindungsprämie als Anreiz, sie ist also in der Regel höher als bei einem normalen Entlassungsplan. Nun sollen solche Entlassungen aber künftig nach dem Modell eines individuellen Tarifvertragsbruchs verhandelt werden, was oft zu deutlich geringeren Entschädigungen führen wird, da viele Unternehmer lediglich die gesetzlich vorgeschriebene Abfindung zahlen. Es ist zu vermuten, dass derartige Vereinbarungen auf Betriebsebene über einen "kollektiven Bruch" von Arbeitsverträgen oft auf Initiative des Unternehmers zustande kommen könnten, um damit die Entlassung älterer Arbeitsnehmer zu erleichtern und sie in verkappte Vorruhestandsregelungen zu drängen.

Die Rolle der Arbeitsrichter beschnitten

Mit den Präsidenten-Erlassen wird die Inanspruchnahme von Arbeitsrichtern durch entlassene Beschäftigte erheblich eingeschränkt. Die Frist für die Anrufung eines Arbeitsgerichts bei Entlassungen wurde von zwei auf nur noch ein Jahr verkürzt. Aber vor allem war bisher die Höhe der Entschädigung für einen zu Unrecht Entlassenen der alleinigen Bewertung des Richters überlassen. Nun wird sie auf maximal 20 Bruttomonatslöhne gedeckelt für Beschäftigte die mehr als 30 Jahre Betriebszugehörigkeit aufweisen können, wenn das Arbeitsgericht deren Entlassung als "ohne ernsthaften Grund" und damit unrechtmäßig beurteilt. Bei kürzerer Betriebszugehörigkeit gibt es stufenweise weniger. Wenn ein ungerechtfertigt Entlassener nur zwei Jahre Betriebszugehörigkeit aufzuweisen hat, kann seine Entschädigung jetzt höchstens noch drei Bruttomonatslöhne betragen, statt bisher sechs.

Diese drastische Einschränkung führt nicht nur zu verringerten Entschädigungen für unrechtmäßig behandelte Beschäftigte. Sie bietet auf eine größere Sicherheit für die Unternehmer, die mit weniger Entschädigungszahlungen rechnen können, falls ihre Entlassungen als ungerechtfertigt beurteilt werden. Die Neigung der Chefs, Beschäftigte zu entlassen, auch wenn die Entlassung vielleicht nicht legal ist, wird damit gefördert.

Um diese Pille zu versüßen, hat die Regierung allerdings auch ein beträchtliches Zugeständnis gemacht. Parallel zur Deckelung und Senkung der Entschädigungshöhe für unrechtmäßige Entlassungen sieht das Regierungsvorhaben als "Ausgleich" eine Anhebung der gesetzlich vorgeschriebenen Abfindungen bei legalen Entlassungen um 25 % vor.

Entlassungen und Sozialpläne erleichtert

Die Kriterien für Entlassungen aus Gründen wirtschaftlicher Schwierigkeiten sollen künftig nicht mehr auf der Ebene des Gesamtunternehmens mit einer möglichen Vielzahl von "Filialen" in verschiedenen Ländern gelten, sondern nur noch auf lokaler Ebene bewertet werden. Das heißt, ein Unternehmen kann wirtschaftliche Schwierigkeiten als Grund für Entlassungen geltend machen, auch wenn nicht der gesamte Konzern, sondern nur ein einzelner Betriebsteil in Frankreich tatsächlich solche Schwierigkeiten aufweist, auch wenn die übrigen Betriebsteile in anderen Regionen oder Staaten durchaus Gewinn abwerfen.

In Wirklichkeit erlaubt es diese Reduzierung des Maßstabs für wirtschaftliche Schwierigkeiten also, dass ein in Frankreich installierter Betrieb in Konkurs versetzt wird, während der Konzern insgesamt auf internationaler Ebene bei blühender Gesundheit ist. Obwohl die Arbeitsministerin versicherte, dass Sicherungen gegen derartige Missbräuche vorgesehen seien, etwa die eventuelle Kontrolle durch einen Richter, ist das Risiko solcher Finanzoperationen des Managements damit jedenfalls vergrößert worden.

3. Sozialer Dialog – die Gewerkschaften in den Hintergrund gedrängt

Vereinbarungen können ohne die Gewerkschaften unterzeichnet werden

Bei Firmen mit weniger als 20 Beschäftigten werden die Firmenchefs künftig auch mit nicht gewählten oder von einer Gewerkschaft beauftragten Beschäftigten Verhandlungen über betriebliche Vereinbarungen führen können. Ähnliches gilt für Betriebe mit 20 bis 50 Beschäftigten, wo allerdings ein von der Belegschaft gewählter oder beauftragter Betriebsangehöriger für die Verhandlungen mit dem Chef vorgesehen ist, aber eine Zuziehung der Gewerkschaften ist nicht erforderlich. Die Regierung begründet dies mit dem Verweis darauf, dass die gewerkschaftliche Präsenz in Klein- und Mittelbetrieben nur bei etwa 4 Prozent liegt und die Unternehmen deshalb bislang in Ermangelung von gewählten Belegschafts- und Gewerkschaftsvertretern gezwungen waren, sich an die Branchenvereinbarungen zu halten, ohne dass Verhandlungen auf Betriebsebene möglich waren. Das soll durch die neue Regelung vermieden werden.

Betriebsreferenden in ein Kleinunternehmen

In den Kleinunternehmen bis zu 11 Beschäftigten wird noch eine zusätzliche ergänzende Regelung eingeführt. In diesen Betrieben wird der Firmenchef künftig auch die Möglichkeit haben, von sich aus eine Abstimmung der Beschäftigten über eine von ihm vorgelegte Betriebsvereinbarung anzusetzen, die von Gesetzen und Branchentarifverträgen zu Ungunsten der Beschäftigten abweicht. Das gleiche gilt für Unternehmen bis 20 Beschäftigten, die keine gewählten Belegschaftsvertreter haben. Ebenso kann der Chef eine betriebliche Abstimmung ansetzen, um eine mit Belegschaftssprechern ausgehandelte Betriebsvereinbarung bestätigten zu lassen. Schon das "Loi El Khomry" hatte die Möglichkeit solcher Betriebsabstimmungen ("Betriebsreferenden" vorgesehen, aber damals nur, wenn mindestens eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft zugestimmt hatte, auch wenn sie nur eine Minderheit der Beschäftigten in ihren Reihen organisiert hat. Die jetzt vorgesehene "Ordonnance" ermöglicht es nun, solche Abstimmungen auch auf alleinige Initiative des Firmenchefs anzusetzen (und dabei schlimmere Folgen wie Betriebsschließungen anzukündigen, falls sein Vorschlag abgelehnt wird, um die Beschäftigten zur Zustimmung zu erpressen).

Fusion der betrieblichen Beschäftigtenvertretungen und Abschaffung des Gesundheits- und Arbeitsschutzkomitees

Mit der Behauptung, einen "vereinfachten und operativen sozialen Dialog" einführen zu wollen, beschloss die Regierung, die drei Instanzen der Beschäftigtenvertretung zu fusionieren: die es bisher in den Betrieben im Regelfall gab: das "Betriebskomitee" (entspricht etwa dem deutschen Betriebsrat), die "Gewerkschaftsdelegierten" und das Komitee für Hygiene, Arbeitssicherheit und Arbeitsbedingungen. An ihrer Stelle soll es künftig nur noch ein einziges Gremium geben, genannt "Rat für Wirtschaft und Soziales" (CSE), und zwar in allen Betrieben über 50 Beschäftigten. In Betrieben mit mehr als 300 Beschäftigten kann allerdings eine Kommission für Hygiene, Arbeitsschutz und Arbeitsbedingungen weiterhin eigenständig existieren oder in manchen Fällen sogar durch den Arbeitsinspektor zwangsweise eingeführt werden.

Die Gesamtheit der Gewerkschaften ist gegen diese Fusion, die die Verringerung der Zahl der gewählten Belegschaftsvertreter und der ihnen zustehenden finanziellen Mittel für ihre Tätigkeit bedeutet.

Über die Größe und Ausstattung des künftigen "Rats für Wirtschaft und Soziales" in den einzelnen Betrieben mit finanziellen Mitteln und mit bezahlten freien Arbeitsstunden für ihre Tätigkeit gibt es noch keine Klarheit. Das soll erst in einer demnächst kommenden Verordnung festgelegt werden.

Unter anderem sehen die Präsidenten-Erlasse künftig auch eine Beteiligung des "Rats für Wirtschaft und Soziales" an den Kosten für Expertisen bis zu einer Höhe von 20 Prozent der Kosten vor, die bisher prinzipiell vom Unternehmen zu tragen waren.

Die Zusammenlegung der bisherigen "Gewerkschaftsdelegierten" mit dem "Rat für Wirtschaft und Soziales ist ebenfalls eine Neuerung, die heftige Kritik der Betroffenen ausgelöst hat. Philippe Martinez, der Generalsekretär der CGT, verwies darauf, dass eine Belegschaftsvertretung und Gewerkschaften doch nicht das Gleiche seien.

txt: Georg Polikeit