Der Kommentar

Volker Metzroth 11 1327.11.2013: Mit einer Tarifeinheit 2.0 wollen CDU/CSU und SPD mit ihrer Großen Koalition durchsetzen, was unter CDU und FDP maßgeblich am Widerstand vor allem der ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen von ver.di gescheitert war. Wir erinnern uns: Kurz nach dem DGB-Bundeskongreß 2010 überraschten die DGB-Führung und die Arbeitgeberverbände einen Großteil der gewerkschaftlichen Mitgliedschaft und der Funktionsträger mit einer gemeinsamen Initiative für eine gesetzliche Tarifeinheit. Danach würde bei konkurrierenden Gewerkschaften im Betrieb nur noch der ausgehandelte Tarifvertrag der im Betrieb mitgliedsstärkeren gelten. Das hieße auch, dass die kleineren bezüglich der Friedenspflicht an einen Vertrag Dritter gebunden wäre, dass deren Rechte nach Artikel 9 des Grundgesetzes suspendiert wären.

Im veröffentlichten Koalitionsvertrag liest sich das auf Seite 70 so:

Tarifeinheit gesetzlich regeln
Um den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter  Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben. Durch flankierende Verfahrensregelungen wird verfassungsrechtlich gebotenen Belangen Rechnung getragen.

Das könnte z.B. auch ver.di treffen, wenn sie z.B. in einem Krankenhaus nur wenige Kolleginnen und Kollegen vom Pflegepersonal  organisieren konnte, dar Großteil der Ärzte aber im Marburger Bund wäre. Oder bei privaten Postdiensten, wo ja nicht erstmals eine "passende" Spaltergewerkschaft geschaffen würde. Oder im Medienbereich mit dem Deutschen Journalisten Verband (DJV) und der Deutschen Journalisten Union (dju) in ver.di.

In Deutschland gibt es kein demokratisches Streikrecht wie in vergleichbaren westeuropäischen Industriestaaten, sondern nur ein Arbeitskampfrecht, das in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg stark durch Urteile und Kommentare von Juristen geprägt wurde, die schon vor der Befreiung am 8. Mai 1945 in Amt und Würden waren. So dürfen nur Gewerkschaften streiken, und nur dann, wenn sie sogenannte tariffähige Forderungen stellen. Das individuelle Grundrecht auf Streik wird ebenso verweigert wie das Recht, aus politischen Gründen zu streiken. Eine gesetzliche Tarifeinheit würde das Streikrecht noch weiter einschränken, während es keinem Unternehmer verboten ist, z.B. für den Fall der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen nicht nur zu drohen.
 
Weshalb unterstützen einige Gewerkschafter so ein Gesetzesvorhaben? Es ist die Konkurrenz von Spartengewerkschaften wie der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer, des Marburger Bundes, der Vereinigung Cockpit etc. Natürlich schwächen Konkurrenzgewerkschaften die Gewerkschaften des DGB, die Positionen aller abhängig Beschäftigten. Aber deshalb mit der eigentlichen „Konkurrenz“, dem Kapital, gemeinsam nach Gesetzen rufen? Den Streik als wichtigstes Kampfmittel gemeinsam mit denen regulieren, gegen die er sich richtet, mit denen, die ein Interesse an schwachen Gewerkschaften haben?
 
Das Nein von der Basis war deshalb vielstimmig, insbesondere bei ver.di, wo eine Landesbezirkskonferenz nach der anderen den Ausstieg aus dieser Initiative forderte, letztendlich mit Erfolg.
 
Dass CDU/CSU jetzt den Herrschaften aus Banken und Konzernen und den Unternehmerverbänden zu Diensten sind, wundert kaum jemanden. Und bezüglich der SPD-Führung auch nicht wirklich. Wenn aber einige führende Gewerkschafter, auf die sich die Großkoalitionäre berufen, weiter einer gesetzlichen Tarifeinheit anhängen, dann kann ich als Gewerkschafter nur sagen:
 
Nicht in meinem Namen!
 
Ja, Spaltergewerkschaften schwächen uns. Aber ich frage nach über vierzig Jahren ehrenamtlicher Funktionärstätigkeit: Haben wir etwas verkehrt gemacht, haben wir etwas nicht ausreichend gemacht, wenn Kolleginnen und Kollegen bei Spaltern ihr Heil suchen? Und haben die wirklich soviel mehr erreicht? Ein Vergleich der tariflichen Regelung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft mit denen der GDL lässt da manche Illusion in Luft aufgehen. Dass bei ähnlichen Strukturen sich z.B. ver.di bezüglich Streikwirkung nicht hinter der GDL zu verstecken braucht, das zeigten die Arbeitskämpfe beim Sicherheitspersonal der Flughäfen und bei den Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen.
 
Wie beziehen wir noch mehr Mitglieder in die aktive Arbeit ein, wie kämpfen wir erfolgreicher, wie setzen wir in Betrieben und Gesellschaft mehr Rechte für die Arbeitenden durch? Auch ein umfassendes Streikrecht! Diese Fragen müssen im gewerkschaftlichen Alltag beantwortet werden, sie können nicht an Parteien und Fraktionen delegiert werden, die uns in der Vergangenheit Deregulierung der Arbeitsverhältnisse und Verarmung vieler Arbeitslosen wie auch vieler Arbeitenden bescherten.  
 
Die Herrschaften von BDI und BDA wollen viel, aber bestimmt nicht die Einheit der Arbeitenden. Spaltung ist ihr Geschäft, stärkt ihre Positionen. Wenn sie und ihr politisches Personal nach Einheit rufen, müssen nicht nur bei mir alle roten Warnlampen angehen, dann ist Widerstand angesagt.

Die Einheitsgewerkschaft ist eine der größten Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung nach dem II. Weltkrieg. Sie verteidigen und zu stärken, auch gegen Spaltergewerkschaften, muss dauernde Aufgabe ihrer Mitglieder und Funktionäre sein. Gesetzliche Eingriffe aber oder gar das Regulieren der Hauptwaffe Streik zusammen mit dem Hauptgegner Unternehmerverbände sind dazu ungeeignet. Sie führen in der Praxis zu einer weiteren Einschränkung des deutschen Arbeitskampfrechts, immer weiter weg von einem umfassenden demokratischen Streikrecht.
 
Wenn die Mitglieder der SPD in Kürze über ihr Ja oder Nein zum Koalitionsvertrag abstimmen werden, dann entscheiden sie hier auch gegen oder für ein Streikrecht, wie es in anderen westeuropäischen Industriestaaten erkämpft wurde. Ob es tatsächlich gelingt, eine gesetzliche Tarifeinheit zu verordnen wird aber weniger vom Votum der SPD-Mitglieder abhängen als davon, ob sich die Gewerkschaftsbasis erneut nach innen und außen deutlich gegen das Vorhaben positioniert.

Es gibt eine Forderung nach Tarifeinheit, gegen die nichts einzuwenden wäre, es sei denn, man hieße Hundt oder sei ein anderer Funktionär der Kapitalistenverbände:

  • Keine unterschiedliche Bezahlung mehr für Stammbelegschaften und Leiharbeiter und noch schlechtere für Werkvertragsnehmer!
  • Gleiche Bezahlung für Männer und Frauen, aber auch für Jugendliche und Berufseinsteiger, bei gleicher Arbeit!
  • Und keine Dumpingverträge mehr mit gelben Gewerkschaften!
  • Keine Ausgründungen mehr nach Paragraph 613a BGB, um Tarifverträge zu unterlaufen!


Volker Metzroth