Der Kommentar

Ramelow dresden nazifrei 2010 plakatKommentar von Bettina Jürgensen
13.12.2014: Am 5. Dezember wurde Bodo Ramelow als erster Ministerpräsident der Partei DIE LINKE in Thüringen gewählt. Bereits im Vorfeld dieser Wahl und danach gab es von vielen Seiten Kritik an seiner Kandidatur. Linke verschiedener Organisationen und Parteien stören sich an der Erklärung, die die DDR als "Unrechtsstaat" bezeichnet. Andere, unter ihnen die CDU, sehen durch die Wahl eines linken Ministerpräsidenten schon die Demokratie in Gefahr.

Beide Seiten gehen auf die Bildung einer rot-rot-grünen Landesregierung nicht wirklich ein. Die CDU und andere rechte Politiker in Thüringen kritisieren die SPD und die Grünen für ihre Zusammenarbeit mit DIE LINKE, legen den Maßstab dafür aber letztlich nur an die Person des Ministerpräsidenten. Fast könnte der Eindruck entstehen, ansonsten wäre für sie eine Koalition rot-rot-grün an der Regierung in Ordung.

Und auch wer die Aussage des "Unrechtsstaats DDR" nicht teilt, äußert überwiegend nur dies kritisch zur Regierungsbildung von DIE LINKE mit SPD und Bündnis90/DieGrünen. Zur "Unrechtsstaat-Frage" schließe ich mich Georg Füllberth an, der in der jungen welt u.a. ausführte: "Marx, Engels und Lenin haben gelehrt, dass alle Staaten Unrechtsstaaten sind, denn ihr Zweck ist die Niederhaltung unterworfener Klassen – im Kapitalismus: des Proletariats, im Sozialismus: der Bourgeoisie oder deren fünften Kolonnen. Insofern geschieht, gemessen am Menschenrecht auf die Verwirklichung staatsfeindlicher Ziele, in allen Staaten Unrecht."

Wenig, zu wenig Beachtung findet die Frage nach dem Stellenwert einer rot-rot-grünen Landesregierung für die Entwicklung von Politik in diesem Land. Dabei wird schon innerhalb der drei beteiligten Regierungsarteien die Frage des Miteinanders sehr unterschiedlich gesehen.

So hadern einige Mitglieder von DIE LINKE damit, weil sie fürchten, ihren politischen Zielsetzungen und dem außerparlamentarischen Kampf damit nicht gerecht werden zu können. In der SPD ist die Absage an rot-rot-grün deutlicher, insbesondere wenn es um die Arbeit auf Bundesebene geht. Linke Sozialdemokrat*innen sind schon offener für das gemeinsame Regieren. So stellte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner in einem Interview mit der SHZ am 6.12.14 fest. "Was sich in Erfurt abspielt, ist nicht der Untergang des Abendlandes, keine Verheißung und kein Menetekel. (…) Wir haben unsere Mitglieder befragt und letztlich aus inhaltlichen Gründen eine klare Entscheidung für Rot-Rot-Grün getroffen. Diese Koalition kann ein Stück zur Normalisierung beitragen." Dabei setzt aber auch er hinzu: "Aber man muss auch sehen, dass diese Partei im Bund noch weit von der Regierungsfähigkeit entfernt ist."

Bündnis90/Die Grünen in Thüringen haben einstimmig für diese Koalition gestimmt. Doch auch bei ihnen sieht es bundesweit anders aus. Noch im September konnte der Parteivorsitzende Özdemir sich diese Variante nicht vorstellen.

Wer Stimmen aus diesen Parteien zur Frage rot-rot-grün kennenlernen will, dem sei folgendes  Gespräch empfohlen: "Anders regieren in Thüringen? - Andrea Ypsilanti und Astrid Rothe-Beinlich über Bedingungen und Hindernisse einer Linksregierung“. Erschienen ist es in dem von Stephan Lessenich/ Mario Neumann/ Thomas Seibert/ Andrea Ypsilanti herausgegebenen Buch: „Anders regieren? Von einem Umbruch, der ansteht, aber nicht eintritt“.

Dass zumindest für Teile der Herrschenden in diesem Land nicht unbedeutend ist, wer mit wem regiert, zeigt das aktuelle Geschehen. Bundespräsident Gauck stellt zur Wahl Ramelows als Ministerpräsident sein fragwürdiges Demokratieverständnis mit den Worten "Ich respektiere das" unter Beweis. Ein Bundespräsident, der die Entscheidung der Wähler*innen respektiert, kann möglicherweise froh sein, sich der Wahl durch die Bevölkerung nicht selbst stellen zu müssen.

Ramelow dresden nazifrei 2010 cc di linkeWährend Gauck dies sagt, wird bekannt, dass bereits zwei Tage vor der Wahl Ramelows das Dresdner Amtsgericht die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Ramelow beantragt hat. Die Begründung lautet, es wolle "ein Strafverfahren wegen Sprengung einer Versammlung" fortführen. Ramelow hatte mit tausenden Antifaschist*innen im Februar 2010 gegen einen "Trauermarsch" von Nazis anlässlich der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 protestiert und blockiert. Die Dresdner Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren gegen ihn ein und stellte fest, dass Ramelow die Gegendemonstration maßgeblich mitorganisiert und so die genehmigte Demonstration der Nazis behindert habe.

Das Verfahren wurde im April 2014 eingestellt, allerdings sollte Ramelow für seine eigenen Anwaltskosten aufkommen. Dagegen wehrt er sich und meint: "Es geht hier letztlich nicht um mich, sondern um die Frage, ob man zu Demonstrationen gehen kann oder nicht".

Die Kriminalisierung von Antifaschist*innen macht vor Ministerpräsidenten nicht Halt. Genausowenig wie Bodo Ramelow einen "Freispruch zweiter Klasse" durch die Zahlung von Kosten wollte, wird er einen Sonderstatus in der Behandlung seiner antifaschistischen Aktivitäten wollen. Spannend ist, wie sich die Mitglieder der gerade gefundenen Regierungsmannschaft verhalten werden.

Zu wünschen und zu fordern ist eine geschlossene Haltung aller Regierungsparteien und ihrer Mitglieder in Thüringen mit der Aussage:

  • Für das Recht auf Demonstration gegen und die Blockade von faschistischen Aufmärschen und Kundgebungen!
  • Solidarität mit Ramelow und anderen betroffenen Antifaschist*innen.
  • Gegen die Kriminalisierung antifaschistischer Arbeit!

Dies hätte nicht nur für Thüringen Bedeutung, sondern könnte als ein erstes Signal rot-rot-grüner Politikentwicklung auch bundesweit gewertet werden. Eines, das nicht nur im Parlament, sondern auch im außerparlamentarischen Kampf die weitere Zusammenarbeit auch in anderen Politikbereichen verbessern kann. Vergessen wir nicht: die Immunität von Bodo Ramelow soll aufgehoben werden wegen außerparlamentarischer antifaschistischer Aktivtäten.

Dies allein zeigt die Rolle, aber auch die politische Dimension, die diesem Ministerpräsidenten und mit ihm der Thüringer Landesregierung von einem Amtsgericht zuerkannt wird.

Für uns sollte dies Anlass genug sein rot-rot-grün Erfolg in der parlamentarischen Arbeit zu wünschen und gemeinsam den außerparlamentarischen Widerstand – nicht nur gegen Nazis – weiter  zu entwickeln.

Text: Bettina Jürgensen  Forto: Die Linke (Plakataktion Erfurt/Demo Dresden)