Deutschland

Flucht Festnahme Pro-asyl09.02.2017: Am heutigen Donnerstag berät Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten wie die Zahl der Abschiebungen deutlich zu erhöhen ist * Flüchtlinge sollen schon an den Mauern vor Europas Grenzen abgefangen werden * Lafontaine: "Wer illegal über die Grenze gekommen ist ... bleibt nur die Abschiebung" *


Vom Kampf gegen Fluchtursachen ist keine Rede mehr. Kampf gegen Flüchtlinge steht auf der Tagesordnung von EU und Bundesregierung. In der Vorlage der Bundesregierung für das heutige Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder heißt es, dass sich Bund und Länder darauf vorbereiten müssen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in den nächsten Monaten "fortlaufend eine hohe Zahl von Asylanträgen von Personen ablehnen (wird), die keines Schutzes in Deutschland bedürfen. … Die Zahl der Ausreisepflichtigen wird dadurch 2017 weiter steigen. Es bedarf deshalb einer nationalen Kraftanstrengung, um zusätzliche Verbesserungen in der Rückkehrpolitik zu erreichen."

Dass die Zahl abgelehnter Asylanträge steigt, hat nichts damit zu tun, dass es weniger Kriege, weniger Verfolgung, weniger Elend geben würde.

Die Bundesregierung erklärt einfach Afghanistan zu einem sicheren Herkunftsland und schiebt Geflüchtete nach Afghanistan ab - ungeachtet des Jahresberichts der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA), in dem festgestellt wird, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan im vergangenen Jahr nochmal verschlechtert hat. Mit 11.418 zivilen Opfern der Kampfhandlungen ist ein trauriger Rekordwert erreicht. Dabei geht die UNAMA davon aus, dass die tatsächliche Anzahl an zivilen Opfern noch deutlich höher ist.

Selbst das vom Bürgerkrieg zerrüttete Libyen gilt als Partner für den Rücktransport von im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen. Zwar schreibt selbst das Auswärtige Amt in einem aktuellen Bericht, dass es dort zu "allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen" kommt. "Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung", heißt es beim Auswärtigen Amt. Für Merkel und ihren Innenminister de Maizière kein Hindernis, Flüchtlinge dorthin abzuschieben. Die Regierungschefs der EU waren sich kürzlich in Malta einig, dass sie den EU-Türkei-Deal auf Libyen und andere nord- und westafrikanische Länder übertragen und dort Internierungslager für Flüchtlinge einrichten wollen.

Um mehr Geflüchtete schneller abzuschieben, sollen nach dem Willen der Bundesregierung die Sammelabschiebungen durch ein "Gemeinsames Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr" (allein der Begriff erinnert an das Wahrheitsministerium bei Orwell) koordiniert und zentrale "Bundesausreisezentren" eingerichtet werden. Die Anreize für abgelehnte Asylbewerber, freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren, werden erhöht. 90 Millionen Euro will der Bund 2017 für Rückkehr- und Reintegrationsprogramme ausgeben, um den Anreiz für abgelehnte Asylbewerber zu erhöhen, freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren.

"So viel Skrupellosigkeit"
Unterstützung erhält die Bundesregierung von Teilen der Grünen und der SPD. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) unterstützt die Abschiebungen aus dem grün regierten Baden-Württemberg nach Afghanistan. Denn das Risiko, in Chicago ermordet zu werden sei höher als in Afghanistan, meint er.

Auch in der SPD findet die Forderungen Unterstützung, im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge nach Nordafrika zurück zu schieben und dort zu internieren. Diese Flüchtlinge sollten "zunächst in Nordafrika versorgt und betreut werden", schrieb SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS). Um die Schleuserbanden wirksamer zu bekämpfen, müssen wir ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen, indem die im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge wieder zurückgebracht werden", so Oppermann. Eine Lösung sieht der Sozialdemokrat in einer engeren Zusammenarbeit "nicht nur mit dem zerrissenen Libyen, sondern auch mit stabileren Transitländern in Nordafrika" wie Marokko und Tunesien.

Oppermann stößt damit aber selbst in seiner Partei auf Widerspruch. Der Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt, Aziz Bozkurt, meint, es sei "zynisch und menschenverachtend" Flüchtende in nordafrikanische Lager abzuschieben, um "ihnen ordentliche Asylverfahren zu verwehren".

Den Schleuserbanden werde mit diesem Vorhaben nicht die Geschäftsgrundlage entzogen, meint LINKEN-Fraktionsvize Jan Korte. Im Gegenteil. "Im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge zurückzuschicken bedeutet noch mehr verzweifelte Versuche, noch gefährlichere Routen und damit zwangsläufig noch mehr Tote", so Korte. Und weiter: "So viel Skrupellosigkeit sind wir von der CDU/CSU schon gewohnt." Wenn der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in der EU mehr sehe als "einen Verein kollektiv organisierter Verantwortungslosigkeit", dann müsse er "seinen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag zurückpfeifen".

Für den Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, ist Oppermann "nun auch in den Wettlauf mit Unionspolitikern und Rechtspopulisten eingetreten, wer der härteste Festungsbauer ist". Diese Pläne lösten nichts und seien "nur auf Kosten der Schutzbedürftigen unter Missachtung des Menschenrechts auf Asyl zu realisieren".

Gregor-Gysi an-der-Seite-der-Schwachen

Lafontaine: "bleibt nur die Abschiebung"

Für Oskar Lafontaine (DIE LINKE) steht zwar das Recht auf Asyl "nicht zur Disposition". Aber "letztendlich muss der Staat darüber entscheiden können, wen er aufnimmt", meint er in einem Interview mit der Zeitung Die Welt. (Die Welt, 6.2.2017) Lafontaine: "Wer illegal über die Grenze gekommen ist, der sollte ein Angebot bekommen, freiwillig zurückzugehen. Wenn er dieses Angebot nicht annimmt, bleibt nur die Abschiebung."

Wer kommt "illegal über die Grenze"? Kommen nicht alle Flüchtlinge "illegal" über die deutschen Grenzen? Denn nach den Dublin-Regeln für Asylsuchende müssten sie ihren Antrag auf Asyl in dem Land stellen, in dem sie erstmals europäischen Boden betreten haben. Da Deutschland keine EU-Außengrenzen hat, können Flüchtlinge in der Regel nicht auf legalem Weg in die BRD gelangen.
Wie ist es mit nicht anerkannten Asylbewerbern? Nicht anerkannt, weil sie aus angeblich sicheren Herkunftsländern kommen oder über "sichere" Drittländer geflohen sind, weil sie aus Afghanistan, der Türkei, demnächst Libyen, Eritrea, Sudan, .. kommen. Sind sie "illegal über die Grenze gekommen"? Und wohin werden sie abgeschoben?

Karl-LiebknechtWenn für Lafontaine "der Ruf nach offenen Grenzen eine zentrale Forderung des Neoliberalismus ist", dann ist vielleicht an Karl Liebknecht zu erinnern:

"Ich habe viel Gelegenheit, die Misere der Einwanderer in Deutschland und insbesondere ihre Abhängigkeit von der Polizei zu beobachten, und ich weiß, mit welchen Schwierigkeiten diese Leute zu kämpfen haben (...) Die Kongressresolution fordert also die völlige Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern auch in Bezug auf das Recht zum Aufenthalt im Inlande.
Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung!
Das ist die erste Voraussetzung dafür, dass die Ausländer aufhören, die prädestinierten Lohndrücker und Streikbrecher zu sein."
Karl Liebknecht, 1907

"Für mich ist das in Ordnung, wenn Menschen hier leben wollen. Ich habe wenig Interesse mich darüber zu unterhalten, ob und welche Menschen hierherkommen dürfen - worüber ich mich unterhalten möchte ist die Art der Gemeinschaft, in der ich leben will. Das ist eine andere Sichtweise. Mir sind arme Menschen aus anderen Ländern auch dann willkommen, wenn sie im deutschen Asylverfahren  nicht als Geflüchtete anerkannt werden", sagt Leo Mayer von der marxistischen linken. Durch die Geflüchteten werde die Realität des 21. Jahrhunderts ins Bewusssein gerückt. Europa werde an die globale Normalität von Not und Elend, Vertreibung und Flucht, Krieg und Konflikt angeschlossen, meint er. Und weiter: Durch die Zuwanderung von Flüchtlingen werde jetzt aufgedeckt, dass seit Jahrzehnten zu wenig investiert wurde in Wohnungsbau, Schulen, öffentliche Infrastruktur, Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Vor diesem Hintergrund reagieren große Teile der Bevölkerungen des globalen Nordens ablehnend auf die Mobilität der Menschen an der kapitalistischen Peripherie, die hoffen durch Migration Schutz, Arbeit und ein besseres Leben zu finden. Angesichts von Sozialabbau, Zerstörung der sozialen Sicherungssysteme, Wohnungsnot und wachsender Prekarität findet die repressive und inhumane Asyl- und Migrationspolitik der Herrschenden bei Teilen der einheimischen Bevölkerung Unterstützung. Die Linke dürfe nicht rechte Argumente bedienen, sondern müsse alles tun, die Bedürfnisse der Flüchtlinge und der schon hier Lebenden zu einem gemeinsamen Anliegen zu bündeln, die verschiedenen Bewegungen zu verbinden und gemeinsam für Umverteilung, bezahlbaren Wohnraum für Alle, Investitionen in kommunale Infrastruktur, Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, … zu kämpfen.

Die EU hilft Griechenland. Mit Polizisten

Seit dem EU-Türkei-Deal und dem Bau der Mauern auf der Balkanroute haben sich die griechischen Inseln zu einer Elendszone für Zehntausende Geflüchtete verwandelt. Europa nimmt das Elend kaum noch zur Kenntnis. Mit dem 2015 von der EU beschlossenen Relocation-Programm für 160.000 Geflüchtete sollten Italien und Griechenland entlastet werden. Doch die EU-Länder sabotieren das Programm. Insgesamt wurden seit September 2015 lediglich knapp 10.200 Menschen EU-intern umverteilt (siehe Petition: Geflüchtete aus Griechenland und Italien nach Deutschland holen – Relocation jetzt umsetzen!).

Aber jetzt hilft die EU. Mit Polizisten zur Sicherung der Grenze gegen Geflüchtete.
SPIEGEL ONLINE: "Jetzt eilt die Europäische Union der griechischen Polizei zu Hilfe. Etwa 30 ausländische Beamte sollen innerhalb der nächsten 15 Tage ins Land reisen und an der Grenze im Norden Präsenz zeigen - das hatte die EU-Grenzschutzagentur Frontex Ende vergangenen Jahres beschlossen. Mittlerweile sind nach Informationen von SPIEGEL ONLINE die ersten Sicherheitskräfte in Griechenland eingetroffen. Darunter sind auch zwei Deutsche - und ein Hund. Zehn weitere Beamte aus der Bundesrepublik sollen folgen. Ihre Aufgabe wird es sein, gemeinsam mit den örtlichen Kräften illegale Grenzübertritte zu verhindern." (SPIEGEL ONLINE, 1.2.2017)

foto: pro asyl


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