Deutschland

Hannelore-Kraft gegen-Linke16.05.2017: "Mit mir als Ministerpräsidentin, wird es keine Regierung mit Beteiligung der Linken geben", sagte Hannelore Kraft (SPD) vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Jetzt gibt es eine Regierung ohne Hannelore Kraft. Die CDU ist der große Wahlsieger. Die Erosion der Sozialdemokratie und der Grünen geht immer weiter. DIE LINKE verdoppelte ihre WählerInnen, aber es reicht nicht für den Einzug in den Landtag. Von den riesigen Verlusten von SPD, Grünen und Piraten kamen nur 17,4% bei der Linkspartei an.

 

"Das Wahlergebnis der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gleicht mit Blick auf die Vorwahl einem politischen Erdrutsch. Eine Landesregierung abgewählt, hohe Stimmengewinne für die CDU. Gleichzeitig halten sich die Überraschungen in Grenzen, sofern man, auch in den letzten Monaten, abgefragte Stimmungen und tatsächliche Stimmen auseinandergehalten hat sowie über den Tellerrand der Vorwahl hinaus blickte: Es wäre wirklich erstaunlich gewesen, wenn die CDU ihren Kopf nicht aus dem tiefen Loch, in welchem sie 2012 verschwand, wieder erhoben hätte", so leiten Horst Kahrs und Benjamin-Immanuel Hoff ihre Wahlanalyse ein.

Sie stellen fest, dass sich das Parteienspektrum "nach rechts verschoben" hat. Und weiter "Auch ein im Vorfeld der Wahlkampfendphase diskutiertes rot-rot-grünes Bündnis verfehlte deutlich eine rechnerische Mehrheit. SPD, Grüne und Linke erhielten zusammen nur noch 42,5% der gültigen Stimmen nach 53% in 2012 und 52,2% in 2010. Die »kleine Bundestagswahl« bestätigt die bereits nach der Bundestagswahl 2013 hier vertretene Ansicht, dass es im Bundestag nur eine eher zufällige rechnerische Mehrheit links von der Union gibt, die sich allein dem knappen Scheitern von FDP und AfD verdankt, aber nicht durch politische Zustimmung in der Gesellschaft gedeckt ist. 2012 wählten 60,8% der Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen Parteien, die sich links von der Union positionierten. Aktuell schrumpfte dieser Teil auf nur noch 43,5%. Von den riesigen Verlusten von SPD, Grünen und Piraten – 1,27 Mio. Zweitstimmen - kamen nur 17,4% als Zuwachs bei der Linkspartei an."

DIE LINKE: "bitterer Erfolg"

DIE LINKE erlebte einen Zitter-Abend. Sie erreichte nicht ihr Wahlziel, den Wiedereinzug in das Landesparlament. Aber es war äußerst knapp, und das macht aus dem Ergebnis einen »bitteren Erfolg«: An Prozenten zugelegt, aber am Ende zählt es nicht. Gleichwohl sind knapp 5% eine gute Vorlage für die Bundestagswahl. In Köln, Bielefeld, Dortmund, Wupper-tal, Bochum, Düsseldorf erzielte die Partei mit 7%-12,1% in den Wahlkreisen herausragende Ergebnisse mit hohen Zuwächsen (bester Wahlkreis 2012 war Bielefeld I mit 5,6%). In diesen Wahlkreisen erreichte mit geringen Ausnahmen die AfD nur unterdurchschnittliche Ergebnisse. In einem knappen Drittel der Wahlkreise erreichte DIE LINKE 5% und mehr. Gegenüber 2012 konnte sie ihre Zweitstimmen mehr als verdoppeln, blieb damit jedoch unter dem Ergebnis von 2010. Mittelfristig wird die Partei sich mit der Frage beschäftigen und sie plausibel beantworten müssen, warum sie bei einer so großen Bewegung von früheren Wählerinnen und Wählern der Parteien links von der Union, von Grünen, SPD und Piratenpartei landesweit in nur so geringem Maße als Alternative in Frage gekommen ist.

Der Landesgeschäftsführer der NRW-Linken, Sascha H. Wagner, erklärte: "DIE LINKE hat Ihr Wahlziel, wieder in den Landtag von NRW einzuziehen, verfehlt. Daran gibt es nichts herumzudeuteln. Am Ende hat es nicht gereicht. Ein Grund dafür ist sicherlich auch, dass Bündnis 90/Die Grünen und SPD das Ziel ausgegeben hatten, DIE LINKE aus dem Landtag halten zu wollen. Anstatt gegen die erstarkenden Rechten zu kämpfen, stand der Feind für SPD und Grüne links. Eine SPD, der es genügt, die politischen Mitbewerber von links aus dem Landtag herauszuhalten, ist alles, aber nicht bereit, ernsthaft ein Land zu gestalten. So haben die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen am Ende mit ihrem falschen Fokus das Geschäft der Konkurrenz von Mitte-Rechts betrieben. Auch die Kandidatur anderer Parteien aus dem linken Spektrum hat unsere Ausgangslage nicht vereinfacht."

Entgegen vielen Befürchtungen hat die Kandidatur der DKP den Einzug der Linkspartei nicht verhindert. Gliederungen der DKP haben sich deshalb nicht am DKP-Wahlkampf beteiligt und öffentlich zur Wahl der Partei DIE LINKE aufgerufen. Doch auch mit den Stimmen der DKP - 2.906 Zweitstimmen (= 0%) - hätte die Linkspartei den Einzug ins Landesparlament nicht erreicht. Der fehlten 8.500 Stimmen für den Einzug in den Landtag.

Ausschließerits

"Für die SPD ging es nicht nur um die Ministerpräsidentin, sondern auch um die Frage, ob die Mobilisierung für die Bundestagswahl schon wieder in sich zusammenfällt, weil ihr Kanzlerkandidat keine Aussichten auf Erfolg mehr mitbringt. Bereits bei der Saarland-Wahl zeigte sich die Nervösität der SPD. Auf die (erfolgreiche) Gegenmobilisierung gegen die Aussicht auf eine rot-rote Landesregierung reagierte die SPD mit Rückzug. Zunächst wurde auch eine wieder belebte Lindner-FDP als möglicher Partner entdeckt, dann von Ralf Stegner das Scheitern der Linkspartei in Schleswig-Holstein als erfolgreiches Wahlziel der SPD bewertet und schließlich von Hannelore Kraft eine Koalition mit einer parlamentarischen Linkspartei ausgeschlossen. Überzeugtes, kämpferisches Agieren für die Durchsetzung sozialdemokratischer Politik sieht anders aus. Die SPD scheint nicht bereit, langfristig ein politisches Lager demokratischer sozialstaatlicher Politik zu bilden und anzuführen, ihr politisch-strategischer Handlungshorizont reicht lediglich bis zum 24. September 2017.

Die kleinen Parteien reagierten auf diese von den beiden führenden Parteien geschaffene strategische Ausgangslage identitätspolitisch in dem Glauben, dass Erkennbarkeit etwas mit dem Ausschluss bestimmter Bündnisse zu tun hat. Die FDP schloss ein Bündnis aus, in dem auch die Grünen vertreten seien, also eine Ampel-Koalition und eine Jamaika-Koalition, ein Bündnis mit der SPD bezeichnet Lindner als »sehr unwahrscheinlich« (also nicht völlig aus-geschlossen). Die Grünen wiederum sahen sich angesichts des bedrohlichen Abwärtstrends in den Umfragen zu einem klaren Bekenntnis genötigt, für eine Koalition unter Führung der CDU nicht zur Verfügung zu stehen. Die SPD wiederum schloss eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei aus, um damit Stimmen für DIE LINKE koalitionspolitisch zu verlorenen Stimmen zu machen. Die Linkspartei wiederum konterte, sie könne sich eine Tolerierung einer rotgrünen Minderheits-Regierung wie von 2010 bis 2012 praktiziert vorstellen.

Die »Ausschließeritis« kehrte zurück als zentrales wahlstrategisches Element. Sie zeugt von mangelnder politischer Souveränität. Die letzten Meter des Wahlkampfes in NRW waren geprägt von wahlstrategischer Identitätspolitik der Parteien. Zurecht schreibt Heribert Prantl:
»Die Ausschließeritis gehört zu den Torheiten der Politik. Die Wahlkampf-Erklärungen, dass man eine bestimmte Koalition nach der Wahl ausschließe oder nicht ausschließe – sie gleichen dem Trommeln auf leeren Töpfen. Das ist laut, das macht Krach, das erregt Aufsehen. Aber am Wahltag wird der Topf gefüllt; und dann müssen die Parteien gemeinsam daraus löffeln. (…) Ausschluss, Nichtausschluss, Halbausschluss – all solche Erklärungen sind nicht nur unklug, sondern undemokratisch. Es gehört zur Geschäftsgrundlage demokratischer Politik, dass notfalls jede einigermaßen bewährte Partei mit jeder anderen einigermaßen bewährten Partei koalieren kann. Koalitionen sind keine Hochzeiten im Politikparadies, sondern schlicht Zweckbündnisse auf Zeit. Ausschlussbekenntnisse erschweren das demokratische Geschäft.« (Süddeutsche Zeitung, 12. Mai 2017, S. 4)

Legt man das Puzzle aus den einzelnen Aussagen zusammen und gleicht es mit den Umfragen ab, so lautet das Signal an die Bürgerinnen und Bürger: Wenn ihr am Ende eine Regierung bekommt, dann wird es eine Große Koalition sein. ...

Die SPD ist die eindeutige Verliererin des Wahlabends und sieht sich jetzt mit der Kehrseite des im Februar-März erzeugten Stimmungs-Hypes um einen »Schulz-Zug« ins Kanzleramt konfrontiert. Nicht nur ging mit Hannelore Kraft ein Ministerpräsidentenamt verloren und im gleichen Atemzug eine Landesvorsitzende und stellvertretende Parteivorsitzende. Auch die innerparteiliche Mobilisierung für die Bundestagswahl droht in sich zusammenzufallen. In dieser Hinsicht erntet die SPD, womit man rechnen muss, wenn man Politik vor allem auf die Erzeugung von Stimmungen ausrichtet, ohne die inhaltliche und machtpolitische Substanz beizulegen. Für die SPD ist es das schlechteste Ergebnis bei Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen überhaupt. Es kommt aber nicht wirklich überraschend, denn bereits bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 erreichte die SPD nach noch 40% in 2005 nur 28,5% bzw. 31,9%." (Wahlanalyse Kahrs, Hoff)

Diversifizierung der Parteienlandschaft

Horst Kahrs und Benjamin-Immanuel Hoff schätzen ein, dass die »Diversifizierung der Parteienlandschaft« weitergeht: " .. seit dem Beginn des Jahrhunderts binden SPD und CDU in etwa so viele Wahlberechtigte wie es auch Nichtwähler gibt. Die abnehmende Reichweite und damit zurückgehende positive Legitimationsbasis der beiden großen Parteien steht nicht allein im Zusammenhang mit einer sinkenden Wahlbeteiligung, sondern auch mit der wachsenden Bedeutung kleiner Parteien, die bei der Landtagswahl 2012 bereits gut ein Fünftel der Wahlberechtigten binden konnten (»Diversifizierung der Parteienlandschaft«)
Bei der Verteilung der gültigen Stimmen fiel mit der CDU 2012 erstmals eine der beiden großen Parteien hinter die Summe der gültigen Stimmen für die kleineren Parteien zurück. Hierbei handelt es sich nicht um eine bloße »Ausdifferenzierung« des Parteiensystems. Ein Blick auf die Sozialstruktur um Wahlverhalten lässt erkennen, dass es zunächst vor allem jüngere Wähler sind, die andere, kleinere, thematisch orientierte Parteien bevorzugen … ."

Und so hat auch DIE LINKE bei jungen WählerInnen besser abgeschnitten als im Durchschnitt. Sascha H. Wagner: "Während wir in Großstädten überdurchschnittliche Erfolge erzielt haben, haben wir in der Fläche deutliche Defizite. Daran werden wir künftig arbeiten müssen. In den Kommunen jedoch, ist DIE LINKE weiterhin stark verankert."


Erste Analyse der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen durch Horst Kahrs und Benjamin-Immanuel Hoff:
https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Themen/wahlanalysen/WNB_NRW_LTW_2017.pdf