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Syrien Einmarsch-Tuerkei-Islamisten31.08.2016: Seit einer Woche halten die türkische Armee und mit ihr verbündete islamistische Terrorgruppen Teile Nordsyriens besetzt. Der angekündigte Kampf gegen den Islamischen Staat bleibt jedoch aus. Stattdessen bekämpft die Türkei die Kräfte, die am effektivsten den IS zurückdrängen – die kurdische YPG. Und dies mit deutschen Waffen. Redur Xelil, Sprecher der Volksverteidungseinheiten YPG: ein feindlicher Akt.


Türkische Truppen sind gemeinsam mit islamistischen Dschihadisten in Syrien einmarschiert. Angeblich um den IS zu bekämpfen. Jedoch konzentrieren sich die Angriffe von Al-Qaida nahen Gruppen wie Ahrar al-Sham mit Unterstützung türkischer Panzer vor allem auf die Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF). Dieses Bündnis aus den kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ mit arabischen und assyrisch-aramäischen Kampfgruppen steht in Syrisch-Kurdistan, Rojava genannt, an vorderster Front gegen die Menschenfeinde des IS.

Umso ernüchternder ist es, dass die Luftwaffe der USA die türkische Besatzung der syrischen Stadt Dscharablus zu Beginn unterstützte, auch wenn sie laut einem aktuellen Bericht des Wall Street Journals zufolge selber von dem Einmarsch überrumpelt war. Schnell wurde klar, dass es der Türkei keinesfalls um die Schwächung des IS geht. Primäres Ziel sind die Kurden und ihr emanzipatorisches Gesellschaftsprojekt Rojava. In einer Rede vom vergangenen Sonntag hält Erdogan fest: "Unsere Operationen gegen Terrororganisationen wie den IS, die PKK und ihren syrischen Arm YPG, werden so lange weitergehen, bis sie keinerlei Bedrohung mehr für unsere Staatsbürger darstellen." Der Kampf werde „andauern, bis die terroristische PYD ausgerottet ist.“

SDF: Nordsyrien wird zum Grab für Erdogan und seine Söldner
Rojava YPG-Sprecher-RedurXelil arabnewsDie Reaktion von Vertretern Rojavas kam prompt. Für Redur Xelil, Sprecher der Volksverteidungseinheiten YPG, stellt der Einmarsch einen feindlichen Akt dar: „Das eigentliche Ziel ist nicht der IS sondern sind die Kurden. Unsere Soldaten, als Teil der SDF, sind in Minbic auf ihrem eigenen Boden und weder die Türkei noch andere ausländische Kräfte können Forderungen an uns stellen. Deshalb kann die Türkei auch nicht darüber entscheiden, wie wir uns auf unserem eigenen Land bewegen.“ Und weiter: „Jeder Angriff auf Minbic ist ein Angriff gegen die Bevölkerung und den von ihr gebildeten Militärischen und Zivilen Rat von Minbic; sie haben das Recht die Angelegenheiten ihrer Region zu verwalten und dies zu schützen."

Der Regionalrat von Shahba im Norden Aleppos erklärte: „Jarabulus und Nordsyrien wird zum Grab für den kriminellen Besetzer Erdogan und seine Söldner, wie dem IS."

Saleh Müslim, Ko-Vorsitzender der Partei der Demokratischen Einheit PYD, sagte im kurdischen Fernsehsender Med Nuce TV: „Dies ist eine nicht zu akzeptierende Besetzung. So wie wir unsere Gebiete verteidigt haben, so wird sich sicherlich auch das syrische Volk selbst verteidigen. Wer auch immer den Syrian Democratic Forces gegenüber steht, sie werden ihr Volk verteidigen."

Deal zwischen Assad und Erdogan
Der Hass Erdogans auf die Kurden scheint so weit zu gehen, dass er selbst mit seinem früheren Erzfeind Assad verhandelt. So berichtete die libanesische Tageszeitung As-Safir am Montag, dass es einen Deal zwischen den beiden gegeben habe: Die türkische Armee dürfe, unter verhaltenem Protest des syrischen Regimes und Russlands, in der Dscharablus-Region einmarschieren. Im Gegenzug ziehen sich islamistische Aufständische aus der Region Aleppos zurück, so dass die syrisch-arabische Armee die Stadt einnehmen könne. 

In der Tat scheinen viele der ungefähr 1.500 dschihadistischen Kämpfer, die zusammen mit den türkischen Streitkräften Dscharablus kampflos vom IS „eroberten“, zuvor in der größten Stadt Syriens gekämpft zu haben. So berichtet das Lower Class Magazine, dass die zuvor in Aleppo befindliche Terrorbande Harakat Nour al-Din al-Zenki auf Twitter bekannt gab, an der Seite der türkischen Armee nach Nordsyrien einzumarschieren. Diese Gruppe war Mitte Juli bekannt geworden, als sie einem 12-jährigen gefangenen palästinensischen Jungen bei laufender Kamera den Kopf abschnitt.

„Die USA wollen nicht wählen zwischen der Türkei oder der kurdisch-geführten Syrischen Demokratischen Front", hatte der Sprecher des US-Außenministeriums John Kirby noch kürzlich geäußert. Mittlerweile distanzierten sich aber auch die USA vorsichtig von den türkischen Angriffen auf ihre engen taktischen Verbündeten der SDF. Der Spezialbeauftragte Washingtons für den Kampf gegen den Islamischen Staat, Brett McGurk, twitterte: „Wir wollen klar machen, dass wir diese Auseinandersetzungen an Stellen, in denen der IS nicht aktiv ist, als inakzeptabel und als einen Grund zur tiefen Beunruhigung bewerten.“

Nach jüngsten Berichten wurde zwischen dem zum SDF gehörende Militärrat von Jarabulus (JMC) und den türkischen Besatzern inklusive dschihadistischem Anhang ein Waffenstillstand vereinbart - auf Wunsch und unter Führung der USA. Inwiefern dieser von der Türkei allerdings eingehalten wird, muss sich erst noch zeigen.

Türkischer Einmarsch mit deutschen Waffen
Syrien Invasion-tuerk-Panzer-arabnewsEine alleinige Fokussierung auf die USA wäre jedoch falsch, denn dabei gerät ein Akteur im Hintergrund in Vergessenheit: Die Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesregierung zeigte Verständnis für Sicherheitsbedürfnisse der Türkei und legitimierte damit die Besatzung unter islamistischer Beteiligung. Die Bilder des Einmarschs machten auch deutlich, wer noch von der derzeitigen Eskalation profitiert. Auf langen Zügen werden derzeit Leopard-Kampfpanzer aus deutscher Produktion an die syrisch-kurdische Grenze geschafft. Die türkischen Soldaten werden außerdem in Truppentransportern der Marke Mercedes vorgefahren. Die deutsche Rüstungsindustrie verdient sich eine goldene Nase und hat kein Interesse an einer schnellen Beendigung des Konflikts. Hier erfährt der erprobte Demospruch "Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt"  eine tragische Aktualisierung. Interessant wird es, wenn Leopard-Panzer auf Milan-Abwehrraketen treffen – abgefeuert von den Einheiten der YPG.  Dann trifft „deutsche Wertarbeit“ von beiden Seiten in einer explosiven Art aufeinander.

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fotos: oben: Türkische Panzer und islamistische Kämpfer; mitte: YPG-Sprecher Redur Xelil (im Bild rechts), arabnews; unten: türkische Panzer überqueren Grenze zu Syrien, arabnews