Im Interview

partido_communiste_chile21.01.2013: Carlos Insunza Rojas ist Mitglied des ZK der KP Chile, Verantwortlicher für internationale Beziehungen. Er war zur XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz nach Berlin gekommen um über die Erfahrungen aus Chile zu referieren. Für die UZ sprachen mit ihm Heinz Stehr, Leiter der Internationalen Kommission der DKP, und Yves Dorestal, der auch die Übersetzung leistete.

UZ: Du bist als Referent der „junge Welt“ zur Rosa-Luxemburg-Konferenz eingeladen. Welche Erfahrungen aus Chile wirst du einbringen?

Carlos Insuza Rojas: Seit dem Amtsantritt des Präsidenten Pinheira hat es vor allem eine große umfassende Bewegung der Studierenden und anderer sozialer Bewegungen gegeben. Das hat auch die Kräfte links von dieser Regierung verändert. Es entstand die Conzertacion mit der Sozialistischen Partei als einer wesentlichen Kraft, die auch zu den Wahlen antrat. In dieser Gemeinschaft konnten auch drei Abgeordnete der Kommunistischen Partei Chiles in das Parlament gewählt werden. Die Zusammenarbeit dieser Kräfte konzentriert sich nicht auf die Parlamente, sondern vor allem auf soziale Bewegungen. Zunächst wird vor allem Widerstand gegen neoliberale Regierungspolitik organisiert. Das heißt, auch gegen die großen Konzerne, so z. B. im Moment gegen die Energiekonzerne. Die Kämpfe der Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten waren entscheidend für die Formierung einer weitaus größeren außerparlamentarischen Bewegung. Die KP Chiles war wesentlich an diesen Kämpfen, aber auch an gewerkschaftlichen Kämpfen beteiligt. So gelang es in einem Prozess die bis dahin wirkende Hegemonie der Bourgeoisie zu überwinden und den Kampf mehr und mehr auch gegen das Profitsystem selbst zu richten. In diesen Auseinandersetzungen hat die KP Chiles vor allem viele junge Mitglieder gewonnen. In der Gesellschaft ist das Prestige der Partei gewachsen. Trotz massiver antikommunistischer Angriffe der Rechten ist der Einfluss der Partei gewachsen.

UZ: 2011 und 2012 waren erfolgreiche Jahre des Massenprotestes, der auch zu Wahlerfolgen für die KP Chiles führte. Wie schätzt du die weitere Entwicklung in der nächsten Zeit ein?

Carlos Insuza Rojas: 2012 haben wir viele neue Erfahrungen gesammelt. Wir führten im November zum 100. Jahrestag der Gründung der KP Chiles zwei Veranstaltungen durch, eine in Santiago de Chile und eine in Iquique. In Iquique kamen 25.000, in Santiago 70.000 Menschen zusammen. Zu solchen Massenveranstaltungen sind andere politische Kräfte im Lande zurzeit nicht in der Lage. Die KP Chiles empfand es als wichtigen Erfolg, dass an diesen Veranstaltungen 45 Delegationen aus der weltweiten linken und kommunistischen Bewegung teilnahmen. 2012 im Oktober fanden Kommunalwahlen statt. Es gelang, sieben Bürgermeister, die der KP Chiles angehören, durchzusetzen. Wahlpolitisch ist der Einfluss der KP Chiles in etwa so wie zu früheren Zeiten. Besonders wichtig war für uns ein Erfolg in Santiago. In dem Viertel Ricoletta wurde ein Bezirksbürgermeister, der Mitglied der Partei ist, gewählt. Die chilenische Struktur ist so organisiert, dass die Bürgermeister beratende Gremien zur Verfügung haben, die ebenfalls gewählt werden müssen. Auch hierbei gelang es, die linke Zusammenarbeit in zählbare Wahlerfolge umzusetzen. Man muss besonders hervorheben, dass diese Wahlen erstmalig nicht mehr unter den Bedingungen der Wahlpflicht, sondern der freiwilligen Wahlbeteiligung stattfanden. Entsprechend hoch ist die Beteiligung an den Wahlen positiv einzuschätzen.

UZ: 2012 wollte die Linke in Chile nach dem Beispiel der Mesa Social eine noch breitere, größere gesellschaftliche Allianz schaffen. Wie ist Anfang 2013 der Stand?

Carlos Insuza Rojas: In unserer Zusammenarbeit befinden sich auch Kräfte, die nach unserer Einschätzung eher nur ein linkes Image besitzen, in der politischen Praxis eher neoliberale Politik entwickeln. Aber bisher hält die gemeinsame Plattform unter dem Motto, aus Chile ein gerechteres Land zu bilden. Das soll auch gelingen, indem in den Kommunen der Einfluss der Bevölkerung deutlicher auch Politik bestimmt. Das bezieht sich nicht nur auf die sozialen und anderen direkten kommunalpolitischen Fragen, sondern wird zunehmend mehr auch verbunden mit Forderungen allgemeinpolitischer Art. Eine wichtige Forderung, um die jetzt diskutiert werden wird, ist z. B. die notwendige Reform der Verfassung, ein neues demokratisches Bildungssystem und vieles andere mehr. Diese gesellschaftliche Allianz muss sich inhaltlich weiter entwickeln und sie muss hegemoniefähig bleiben und den Einfluss weiter entwickeln. Dies gilt auch in Bezug auf die Vorbereitung der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2013. Zu diesen Wahlen ist es das Ziel, ein Bündnis aller Kräfte zu erreichen und zu stärken, auch um auf der parlamentarischen Ebene weiter voranzukommen. Zurzeit diskutieren alle Kräfte und Parteien, die in der oppositionellen Bewegung aktiv sind. Es beginnt eine intensive Diskussion um mögliche Führungspersonen und natürlich auch um das mögliche Wahlprogramm. Einige wollen diese Diskussion reduzieren auf Personen, schlagen die ehemalige Präsidentin Bachelet als neue Präsidentschaftskandidatin vor. Die KP Chiles ist der Meinung, dass zunächst die wahlpolitischen Forderungen und das wahlpolitische Programm erarbeitet werden muss. Die Kommunistische Partei formuliert als Ziel, dass es darum geht, eine Regierung neuen Typs durchzusetzen, die eine Politik vertritt einer Zeitenwende nach der Dominanz neoliberaler Politik in der Vergangenheit. Dazu gehören inhaltliche, aber auch strukturelle Veränderungen, die sich auch in der neuen Verfassung ausdrücken müssen. Es bedarf eines neuen Arbeitsrechtes. Dieses muss vor allen Dingen mehr Möglichkeiten für Gewerkschaften beinhalten. Notwendig ist z. B. eine Steuerreform, die Reiche belastet.

UZ: Ist das so in die Richtung einer antimonopolistischen Politikwende zu verstehen?

Carlos Insuza Rojas: Ja, so ist es zu verstehen, aber zunächst geht es auch darum, eine Dynamik in Gang zu setzen, um dieses Veränderungsprogramm mit dann auch immer weitreichenderen Forderungen zu entwickeln. Das Ganze muss sich in einen Gesamtprozess einordnen.

UZ: Du erwähntest am Anfang des Interviews, dass eure Partei sich in diesen ganzen Auseinandersetzungen im Ansehen, aber auch in der Gewinnung neuer Mitglieder, vor allem aus der Jugend, stärken konnte. Kannst du dazu noch Genaueres sagen?

Carlos Insuza Rojas: Die Entwicklung jugendpolitischer Forderungen und von Aktionen hat sehr schnell zu umfassenden, die Gesamtgesellschaft ergreifenden politischen Entwicklungen geführt. Die chilenische Jugend hat in allen politischen Sektoren kämpferisch für Veränderungen gewirkt. Die Partei hat gerade zunächst in der Studenten- und Schülerschaft einen großen Einfluss. Aber es ging auch darum, in dieser Bewegung von anderen politischen Kräften zu lernen. Das Ganze war ein sehr konstruktiver Lernprozess, der sich zugleich auch in Aktionen, Aktionsformen umsetzte, die massenwirksam waren. Es gelang, die unterschiedlichen politischen Strömungen der Jugend zusammenzubringen und für gemeinsame Ziele einzutreten. Zeitweilig versuchte z. B. auch die autonome Jugendbewegung, durch die  Forderung zur Trennung von der Politik der Parteien und sozialen Bewegungen die Führung in den Jugendbewegungen zu übernehmen. Das gelang nicht, auch weil offene Diskussions- und Arbeitsprozesse  deutlich machten, dass eine solche Herangehensweise den Zielen der Jugend schaden könnte. Die zweite Strömung ist die linksradikale, die auch die Führung in der Formierung wollten, allerdings andere Inhalte als die autonomen Kräfte vertraten. Diese linksradikale Strömung, die sich auf die vergangene MIR beruft, konnte auch zeitweilig dieser sehr starken Jugendbewegung schaden, indem notwendige Kraft von Bewegungen verloren ging. Der kommunistische Einfluss in der Jugendbewegung konzentrierte sich auf einen ständig wachsenden Kräftezuwachs, auch durch die Formulierung wichtiger Forderungen zur Sozial- und Bildungspolitik, und die Vernetzung dieser Bewegung und die Zusammenarbeit der Jugendbewegung z. B. auch mit der Gewerkschaftsbewegung und anderen sozialen Bewegungen. Die KP Chiles brachte auch Vorstellungen und Vorschläge zu notwendigen gesellschaftlichen Veränderung ein. Auch zu diesen Fragen kam es dann natürlich zu Debatten und Auseinandersetzungen, z. B. mit den Vertretern der Sozialistischen Partei und der Gewerkschaftsbewegung, aber auch in der Jugendbewegung. Diese Prozesse sind selbstverständlich nicht zu Ende. Es geht jetzt darum, die Conzertacion zu stärken und ein neues breites Bündnis bei mehr politischer Klarheit zu schaffen. Es geht darum, den konservativen Block zu besiegen.

UZ: Inwieweit hat diese politische Entwicklung in Chile auch Bezüge zu positiven Entwicklungen in anderen lateinamerikanischen Ländern, wie z. B. Kuba, Venezuela, Bolivien, Ecuador?

Carlos Insuza Rojas: Diese ganzen Prozesse haben eine immense Bedeutung für Chile. Allerdings befinden wir uns zunächst in dem Stadium, wie gesagt, Widerstand zu entwickeln, Alternativen vorzuschlagen, die Kräfte zu sammeln. Dann werden wir aber auch weitergehende Ziele diskutieren. Der Entwicklungsprozess auf dem lateinamerikanischen Kontinent beeinflusst selbstverständlich auch die Debatte und die politische Entwicklung in Chile.

UZ: Vielen Dank, Genosse Carlos. Wir wünschen dir viel Erfolg bei deinem Aufenthalt hier, bitten dich, alle Genossinnen und Genossen zu grüßen, wünschen euch viel Erfolg. Leider konnten wir an euren Feiern und der internationalen Beratung zum 100. Jahrestag der Gründung der KP Chiles aus finanziellen Gründen nicht teilnehmen. Dennoch möchten wir versichern: Die DKP fühlt sich mit der KP Chiles sehr, sehr eng verbunden. Unsere Zusammenarbeit ist ja auch im gemeinsamen Kampf gegen die Pinochet-Diktatur weiter gewachsen.

Carlos Insuza Rojas: Ich bitte euch auch, alle Genossinnen und Genossen der DKP herzlich zu grüßen und für eure Solidarität zu danken.