Aus Bewegungen und Parteien

Logo Neukoeln-bleibt-bunt23.02.2017: Berlin-Neukölln wird weiter von rechten Brand- und anderen Anschlägen, aber auch von anhaltend breiter öffentlicher Solidarität mit den Betroffenen geprägt. 400 Menschen beteiligten sich am Samstag unter dem Motto "Neukölln bleibt bunt - wider den rechten Terror" an der zweiten Kundgebung in diesem Jahr.

 

Laut Polizei gab es seit Jahresbeginn bereits 20 Anschläge gegen Menschen und Projekte, die mutig gegen rechte Umtriebe aufgetreten sind. Die nächtlichen Zerstörungen betrafen Autos, Privatwohnungen, Gaststätten, einen Buchladen und ein kirchliches Gemeindehaus. In der Nacht zum 9. Februar traf es die im Frauenviertel Rudow lebende stadtbekannte Historikerin Claudia von Gelieu und ihren Mann Christian. Beide sind über lange Jahre im Leitungsteam der Galerie Olga Benario und in der VVN-BdA aktiv. Ihr direkt vor dem Haus geparkter Pkw brannte völlig aus. Da ein Übergriff des Brandes auf das Gebäude und damit die Gefährdung von Menschenleben billigend in Kauf genommen wurden, erstatteten sie Strafanzeige in besonders schwerem Fall. Die Polizei geht von einer politisch motivierten Anschlagsserie aus. Extreme Rechte rufen vermehrt zu Gewalt gegen linke Einrichtungen auf. Das Auto des Neuköllner SPD-Politikers Peter Scharmberg ist bereits zweimal bei eindeutig rechtsextremistischen Anschlägen angezündet worden.

Am 18. Februar, zu einer zweiten Solidaritätskundgebung in diesem Jahr, kamen bis zu 400 Menschen vor der alten Dorfschule Rudow zusammen. Aufgerufen hatten wiederum das Aktionsbündnis Rudow gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, die Anwohnerinitiative Hufeisern gegen rechts und das Bündnis Neukölln, dazu die Initiative Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus, die Galerie Olga Benario, DGB-Kreisverband und IG-Metall-Geschäftsstelle Berlin, ver.di Bezirk Berlin und Gliederungen, Die Falken und SPD in Neukölln, DIE LINKE und die GRÜNEN.

Franziska Giffey, 38, SPD, ist seit 2015 Bürgermeisterin im Schwerpunkt-Problembezirk und sieht sich dem sozialen Zusammenhalt in der Kommune verpflichtet – 42 Prozent MigrantInnen, 29 Prozent SozialhilfeempfängerInnen, dazu jedoch auch ein durch Wahl legitimierter Stadtrat der AfD. Giffey kommt aus einer Arbeiterfamilie und stellt sich klar realen sozialen Problemlagen, die gehört und auch grundsätzlich gelöst werden müssen. Missbräuchlichen Dummenfang zur hetzerischen Ausgrenzung, schon gar gewaltsamer, lehnt sie ab. Wieder eingestellte Teams von polizeilichen Ermittlern sind Neuanfänge, noch keine originäre Lösung. Damit der Protest breiter werden kann, beteiligt sich die promovierte Politikwissenschaftlerin an nächtlichen Streifenfahrten der Polizei, bei Auswertungen am Runden Tisch, auch hier als Kundgebungsrednerin.

Grünen-Abgeordneter Bernd Szczepanski verweist auf zielstrebigen Terror in Neukölln, der künftige Anschlagsgefährdungen wahrscheinlich macht. Diskriminierende Schmierereien an Häuserwänden von namentlich bekannten Aktivisten häufen sich. Eine willkürliche Namensliste der Neonazis ist aufgetaucht. Zu viele schauen, teils angeekelt, bisher noch weg. Die „moderate“ Variante zum rechten und rassistischen Gedankengut findet er „zum Kotzen“. So wie die AfD im Bezirksparlament auftritt.

Claudia von Gelieu, Trägerin des Frauenpreises der Stadt Berlin von 2001, hat die oft einseitige Frauengeschichtsschreibung über Jahrzehnte korrigiert. Auch durch geführte Frauentouren durch Kieze und zum ehemaligen Frauengefängnis Barnimstraße trug sie dazu bei, dass die Opfer des in Deutschland schon einmal zur Macht gelangten Faschismus nicht vergessen werden. Bis 1945 warteten in diesem Gefängnisbau in Mitte etwa 300 vom „Volksgerichtshof“ verurteilte Frauen auf die Vollstreckung des Todesurteils. Darunter Lilo Hermann sowie Hilde Coppi und Olga Benario, zwei Mütter, die im Zellenbau vor dem Abtransport nach Plötzensee noch ihre Kinder zur Welt bringen „durften“. Andreas Köhn, Fachbereichsleiter in ver.di Berlin, mahnt dringend an, aus der Geschichte zu lernen: Höchste Zeit, den Brandstiftern gemeinsam in den Arm zu fallen.

Jürgen Schulte, GEW-Aktivist und im Aktionsbündnis Rudow gegen rechts aktiv, nimmt gezielt die kürzlich vom rbb ausgestrahlte Dokumentation über die AfD „Die Stunde der Populisten“ zum Anlass, um bisher wegschauende Nachbarn auch zum Hinschauen auf demagogische Zuhälter zu bringen. Denn das rechtsextreme Spektrum reicht weit über die Extremisten hinaus. Namentlich geht er auf Andreas Wild ein, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses aus dem vornehmeren Steglitz-Zehlendorf und Möchtegern-Direktkandidat der AfD in Neukölln bei den Wahlen zum Bundestag.

Jürgen Schulte zitiert aus „deutschen Forderungen“ des rechts-patriotischen Flügelmanns der AfD, aus dessen Einsatz für „urdeutsche Interessen“. Der Kandidat äußerte sie vor laufender Kamera im Ambiente eines noch menschenleeren Containerdorfs für Flüchtlinge. Und Christiane Schott, Initiatorin der Britzer Anwohner-Initiative Hufeisern gegen rechts, gab ihm dazu den Kontrapart. Der einstige CDU-Mann Wild wurde für eine Skandalrede in Thüringen bekannt: Man brauche für Flüchtlingsunterbringung keine Milliarden, nur „Bauholz, Hämmer, Sägen und Bretter“. Vor den in Rudow Versammelten, darunter Kommunisten, kann Jürgen Schulte die ernste Warnung vor Wilds Ziel einer – im Nazi-Jargon – „Umvolkung“ des speziell ausgesuchten Kameradschafts-Wahlkreises Neukölln nicht auslassen. Auch Bürgermeisterin Franziska Giffey hat dies noch innerhalb der Filmdokumentation zurückgewiesen. Eine weltoffene, tolerante Gesellschaft darf jenen keinen Raum geben, die nach profaschistisch-nationalem Muster „Wer gehört zu Deutschland?“ gegen teils hier geborene MigrantInnen, seit Generationen ansässige Familien mit türkischen, kurdischen, arabischen, … Wurzeln vorgehen wollen.

txt: Hilmar Franz


 

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