Wirtschaft

12.08.2010: Die Tageszeitung "junge Welt" startete im Vorfeld des 19. Parteitages der DKP eine vierteilige Serie "DKP Debatte", in der acht prominente DKP-Mitglieder gebeten wurden, zu vier Generalthemen ihre jeweils eigene Position darzulegen. Die Beiträge werden auch in der UZ veröffentlicht, diese Woche sind es die Beiträge zum Thema "Die DKP und Einheitsgewerkschaften". Alle Beiträge können online auf der Seite der JW nachgelesen werdenn. Da der Beitrag von Rainer Perschewski online zur Zeit nicht frei zugänglich ist, veröffentlichen wir hier beide Artikel ind der Form, wie sie in der UZ vom 13.082010 veröffentlicht werden.

Wie weit geht ein Kommunist in der konkreten Arbeit? - Von Rainer Perschewski

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Weimarer Republik entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland einheitliche Gewerkschaften, in denen Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten ebenso wirkten, wie christliche Gewerkschafter. In den Betriebsräten, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz mit dem Unternehmen „vertrauensvoll zum Wohle der Arbeitnehmer und des Betriebes“ zusammen arbeiten sollen, ging es den Kommunisten immer darum, sie für die Interessen der Arbeiter und Angestellten zu nutzen. Bei den nach diesem Gesetz durchzuführenden Betriebsratswahlen war und bleibt es das Ziel, das Einheitsprinzip durch die Aufstellung entsprechender Gewerkschaftslisten anzuwenden.

Das Ringen um gewerkschaftliche Einheitslisten ist für eine gemeinsame Front gegen die Kapitalseite die prinzipiell richtige Position. In der betrieblichen Praxis waren es vornehmlich Versuche des Kapitals, durch „gelbe Gewerkschaften“ die Belegschaft zu spalten. Dies wirkt bis heute fort. In der Praxis wurde dieses Prinzip aber auch missbraucht, um kämpferische Kräfte zu isolieren.

Maßgebend hierfür ist die Durchsetzung einer opportunistischen Grundtendenz in den Gewerkschaften. Dadurch wurde die Kampf- und Widerstandsorganisation der Arbeiterklasse auf Sozialpartnerschaft orientiert, also auf den vermeintlich möglichen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit. Insbesondere seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten hat diese Tendenz in Betrieb und Gewerkschaft noch mehr an Boden gewonnen. Faktisch haben wir heute bürgerlich- sozialdemokratisch geführte Richtungsgewerkschaften mit einer Praxis, die tägliche Kleinarbeit verabsolutiert und objektive Interessen der Arbeiterklasse außer Acht lässt. Zwangsläufig führt diese Ausrichtung der Trennung von ökonomischem und politischem Kampf zu einer Einengung und Schwächung der Gewerkschaftsbewegung. Und schließlich führt die Beschränkung des Kampfes auf den Rahmen der Ausbeuterordnung zu reinem Reformismus, da sich nur noch an den Wirkungen des kapitalistischen Systems abgearbeitet wird und keine Beseitigung der Ursachen als Zielstellung gesehen wird. Das lässt sich an der Entwicklung der Programmatik der Gewerkschaften ebenso nachvollziehen wie an dem Kurs und der Anpassung an die „Standortsicherungspolitik“. In der heutigen Zeit der Frontalangriffe gegen soziale Sicherungssysteme wird die verheerende Wirkung dieser Orientierung besonders deutlich.

Aufgaben von Kommunisten

Die Aufgaben von Kommunisten in dieser Situation sind kompliziert. Sie sollten nicht nur die aktivsten Vertreter der Interessen ihrer Kollegen sein, sondern müssen gleichzeitig deutlich machen, dass ökonomische Kämpfe auf Dauer nur erfolgreich geführt werden können, wenn sie vom Interessengegensatz zwischen Kapitalisten und Arbeiter ausgehen bzw. in dieser Gesellschaftsordnung nicht dauerhaft gelöst werden können. Dabei muss natürlich das Kräfteverhältnis im Klassenkampf berücksichtigt werden und das bedeutet nicht, den Kampf um alltägliche Interessen zu vernachlässigen. Um in diesem Kleinkrieg nicht unterzugehen, muss die Betriebsarbeit in die gewerkschaftliche und politische Arbeit eingebunden sein. Kommunisten im Betrieb müssen dahingehend wirken, dass die Beschäftigten selbst in Aktion treten und Erfahrungen sammeln, denn eine Veränderung des Kräfteverhältnisses zu ihren Gunsten kann nur ihr eigenes Werk sein.

Die Frage ist nun, wie weit geht ein Kommunist in der konkreten Arbeit? Geht er aus Gründen einer vermeintlichen Aktionseinheit so weit, dass er zur „Standortsicherung“ der Kapitalseite den Abbau erkämpfter Rechte anbietet? Sieht er seine Aufgabe darin, von Abwehrkämpfen abzuraten, weil es so aussieht, als ob es keine Mehrheit im Betrieb dafür gäbe? Ist es seine Aufgabe, kritische Meinungen im Betrieb im Zaum zu halten? Derartige Einschätzungen spielen in der Auseinandersetzung im konkreten Einzelfall bei Daimler eine Rolle.

Die Lage bei Daimler – Berlin

Im Daimler-Werk Berlin-Marienfelde gab es einen massiven Widerstand gegen das von der IG Metall vereinbarte „Entgeltrahmenabkommen (ERA)“. Ein Tarifwerk das mittelfristig zu Lohnsenkungen führt - insbesondere bei neueingestellten Kollegen. Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wird damit durchbrochen und die Spaltung der Belegschaft vollzogen. Im Ergebnis dieser jahrelangen Auseinandersetzungen hatte sich eine gewerkschaftliche Opposition gebildet. Mit der Herausgabe der Zeitschrift Alternative verschaffte sich die gewerkschaftlich orientierte Opposition Gehör im Betrieb und prangert seit Jahren regelmäßig kritikwürdige Zustände öffentlich an.

Die Auseinandersetzung mit der Betriebsratsmehrheit verschärfte sich mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise. Mit einer betrieblichen Vereinbarung für die „Wettbewerbsfähigkeit des Werkes Berlin“, trat der Betriebsrat für den Aufbau einer neuen Produktion ein. Mit der Aussage, Beschäftigung zu sichern, wurde dem Unternehmen eine Vereinbarung angeboten, „um eine positive Vorstandsentscheidung für die neuen zukunftsweisenden Produkte zu erhalten“. Für die Daimler-Belegschaft bedeutet dies etwa zusätzliche Schichten zu leisten, Pausen nicht mehr bezahlt zu bekommen und den Samstag als Regelarbeitszeit zu akzeptieren. Der Betriebsrat feiert diese Vereinbarung als Erfolg, da über die Verhandlungen der „Standort und die Kolleginnen und Kollegen“ abgesichert würden und eine Ausgliederung verhindert werden könnte (!). Die gewerkschaftliche Opposition kritisiert vor allem, dass kampflos Zugeständnisse für leere Versprechungen gemacht wurden. Auch eine Vielzahl von Studien weisen nach, dass mit Lohnverzicht keine Arbeitsplätze geschaffen werden. „Dieser Verzicht war für die Profite der Aktionäre nie hoch genug. Jedes Zugeständnis macht sie nur noch hungriger“, heißt es daher folgerichtig in der Zeitschrift Alternative.

In Vorbereitung auf die Betriebsratswahlen hatte die Gruppe „Alternative“ bei Daimler in Marienfelde angekündigt, mit einer eigenen Liste anzutreten. Die Vertrauensleute- bzw. die Betriebsratsmehrheit trat für eine Fortführung der Persönlichkeitswahl ein und warf der „Alternative“ Spaltung vor. Mit dem Auftreten einer zweiten Liste ist eine Listenwahl erforderlich und die Wahl einzelner Personen ist nicht mehr möglich. Dem Anschein nach ist das undemokratischer, doch hier die einzige Möglichkeit, die Mehrheit der Opportunisten im Betriebsrat zu brechen. Denn diese sind aufgrund von Freistellungen eindeutig im Vorteil. Minderheiten können gerade in Großbetrieben nur begrenzt wirksam werden und haben es schwer, ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Die Listenwahl ist in dieser Situation eine Möglichkeit, um der Belegschaft deutlich zu machen, dass hier zwei unterschiedliche Herangehensweisen der Interessenvertretung zur Wahl stehen. Mit knapp 25 Prozent der Stimmen für die Liste „Alternative“ bei den Betriebsratswahlen im Berliner Werk wird deutlich, dass diese Herangehensweise von größeren Teilen der Belegschaft geteilt wird. Der Spaltungsvorwurf geht ins Leere, da die Spaltung durch die Politik der Betriebsratsmehrheit längst vollzogen wurde.

Die Vertrauenskörperleitung der IG Metall des Betriebes leitete als Antwort den schon vor den Betriebsratswahlen angekündigten Ausschluss der Kandidatinnen und Kandidaten der oppositionellen Liste aus der Gewerkschaft ein. Eine eingesetzte Untersuchungskommission fordert den Ausschluss der drei Listenführer. Nunmehr hat der IG Metall- Vorstand in Frankfurt/Main darüber zu entscheiden ob er diesem folgen wird.

Gewerkschaften sind Widerstandszentren!

Die dargestellte Situation macht deutlich, dass es sich hier keinesfalls um eine realitätsfremde Wahrnehmung linker Wunschvorstellungen im Betrieb oder einer Neuauflage einer RGO-Politik der KPD handelt. Von Bedeutung ist, dass es sich hier um einen seit Jahren andauernden Entwicklungsprozess handelt, deren Akteure auf Seiten der Opposition klar zur Gewerkschaft stehen und die über eine starke betriebliche Verankerung verfügen. Somit ist auch die heutige Situation überhaupt nicht mit früheren Perioden wie den 70er Jahren in Westdeutschland vergleichbar, in denen vielerorts von außen versucht wurde, auf betriebliche Kämpfe Einfluss zu nehmen. Die oppositionellen Metallgewerkschafter fordern nichts anderes, als dass ihre Gewerkschaft wieder zum Zentrum des Widerstands für ihre Interessen wird. Die DKP Berlin sieht keinen Widerspruch zu kommunistischen Prinzipien gewerkschaftlichen Handelns – im Gegenteil: Als Kommunisten sehen wir es als unsere Aufgabe, sich mit den Kolleginnen und Kollegen der „Alternative“ zu solidarisieren.

siehe auch : Pro und Contra - Alternative Listen bei Betriebsratswahlen?