Wirtschaft

16.11.2010: Auf der seit Jahren größten Kundgebung des DGB Baden Württemberg begrüßte der DGB Landesbezirksvorsitzende Nikolaus Landgraf die mehr als 45 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Stuttgart „der neuen Hauptstadt des Protests.“ Damit stellte er die Verbindung her zwischen dem Protest der Gewerkschaften gegen Sozialabbau und gegen das Milliardengrab Stuttgart 21 (S 21). Das war auch das Bild, das sich dem unvoreingenommenen Beobachter der Demonstration und Kundgebung zeigte. In der Herbstsonne und dem frischen Wind wehten die Fahnen, Losungen Transparente und Symbole der Gewerkschaften ebenso wie die der Gegner von S 21 für die Erhaltung und Modernisierung des Kopfbahnhofes (K21). „Mein Gott seid ihr viele“ zeigte sich der Kabarettist Christoph Sonntag auf der Bühne von der bunten Vielfalt und Größe der Demonstration überrascht und der „die Erwartungen des DGB bei weitem übertroffen hat“, so der DGB Landesbezirksvorsitzende.

Gemeinsam gegen Stuttgart 21 und Sozialabbau

Es war ein Tag des Protest gegen das „Sparpaket“ der Bundesregierung und Rente mit 67, gegen „Gesundheitsreform“, verfehlte Bildungspolitik, prekäre Beschäftigungen, Niedriglöhne und Ausblutung der Kommunen. Gleichzeitig ein Protesttag gegen S 21, den brutalen Polizeieinsatz am 30. September, für einen Volksentscheid für mehr Mitbestimmung, Demokratie und Teilnahme der Bevölkerung an politischen Entscheidungen. In fast allen Reden wurde dies betont. Neben den Alstom Kolleginnen und Kollegen aus Mannheim. die in einer harten Auseinandersetzung gegen Arbeitsplatzvernichtung stehen, begrüßte Nicolaus Landgraf ganz besonders jene „die nun schon seit Monaten in Stuttgart und an anderen Orten eindrucksvoll, friedlich und kreativ unter dem Motto Oben bleiben, für einen modernen Kopfbahnhof und für eine Bahnpolitik mit Köpfchen demonstrieren.“

Zu den unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Standpunkten der Einzelgewerkschaften in der Frage S 21 erklärte Nikolaus Landgraf: „In den Gewerkschaften gibt es – wie in jeder Organisation – Befürworter und Gegner von S 21. Wir respektieren das. Als Dachverband der Gewerkschaften aber unterstützen wir das Aktionsbündnis gegen S 21 – das wissen viele nicht. Auch wir wollen, dass unser leistungsfähiger Bahnhof „oben bleibt.“ Auch wir wollen, dass die Bahn dort baut, wo vordringlicher Bedarf herrscht – und da gibt es im Land eine ganze Menge Baustellen, die nicht unter die Räder kommen dürfen, weil die Milliarden in Stuttgart verbuddelt werden sollen. Ob es dazu kommt, muss eine Volksbefragung zu S 21 entscheiden“. Den angeordneten brutalen Polizeieinsatz vom 30. September verurteilte er mit den Worten: „So etwas darf sich nie mehr wiederholen.“ Trotz diesen klaren Aussagen gegen S 21 und seine negativen Auswirkungen, stieß auf großes Unverständnis und Kritik, dass der DGB keinen offiziellen Vertreter des Aktionsbündnisses gegen S 21 als Redner auf der Hauptkundgebung sprechen ließ. Dies umso mehr, da Berthold Huber, Vorsitzender der IG Metall erklärte: Stuttgart 21 sei „ein typisches Beispiel, was passiert, wenn über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden wird.“ Erforderlich wäre also den gemeinsamen Widerstand ohne Ausgrenzung. Es gelte nach wie vor die alte Gewerkschaftslosung: Gemeinsam sind wir stark. Insgesamt aber wurde an diesem Tag eine wichtige Verbindung hergestellt zwischen Gewerkschaften und den Gegnerinnen und Gegnern von S 21, von Sozialprotesten und den Protesten gegen S 21.

Kein Stuttgart 21- sozial geht anders!

Viele Losungen auf Transparenten und Trageschildern zeigten diese Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes gegen Sozialabbau, gegen S 21 und für die Modernisierung des Kopfbahnhofes K21 auf. Darunter ein großes Transparent der DKP:“K21 und Gewerkschaften gemeinsam kämpfen. Einigkeit macht stark.“ Transparente aus Betriebsbelegschaften wie Daimler Benz, Bosch, Behr und andere machten dies ebenso deutlich. Unter dem Eindruck der kämpferischen Stimmung der über 45 000 Menschen, brachten Landgraf und Huber zum Ausdruck, dass die seitherigen Aktionen nicht das Ende des gewerkschaftlichen Widerstands seien. Landgraf erinnerte mit folgendem Zitat an den legendären IG Metall Bezirksleiter von Baden Württemberg, Willi Bleicher, „Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken“ und fügte hinzu: „Auch nicht vor der Macht des Kapitals … Eigentum verpflichtet - so steht es in unserem Grundgesetz. Es wird Zeit, diesen Artikel zu entstauben und auf Hochglanz zu polieren.“ Er forderte die Milliarden bei den Reichen zu holen die es sich ohne weiteres leisten können. Eine Politik die die Schwachen drangsaliert aber die Reichen schont sei zutiefst unsozial. Das werden wir nicht hinnehmen.

Sparpakete zurück an Absender

Nicht hinnehmen will die IG Metall Baden Württemberg die „Sparpakete“ der Bundesregierung. Mit Stolz berichtete der Bezirksleiter der IG Metall Jörg Hofmann dass innerhalb von zwei Wochen 150 000 Protestkarten in Metall – und Elektrobetrieben unterzeichnet wurden. Er betonte die IG Metall werde nicht nachzulassen im „breiten Widerstand gegen die Politik der Ungerechtigkeit, der sozialen Kälte bei den Zukunftsfragen unseres Landes.“ Und weiter: Wir legen nach. Die Protestkarten wurden in Dutzenden großen Paketen mit Aufschrift „Annahme verweigert – zurück an Absender“ mit einem LKW auf die Reise nach Berlin geschickt. Sie sollen dort Bundeskanzlerin Merkel als Protest übergeben werden, verkündete der IG Metall – Bezirksleiter Jörg Hofmann

Im Anschluss an die DGB Kundgebung demonstrierten 10 000 Menschen durch die Innenstadt zum Schlossgarten. Dort fand eine weitere Kundgebung der Initiative „GewerkschafterInnen gegen Stuttgart 21“ und den Parkschützern statt. Motto: Kein Stuttgart 21 – sozial geht anders! Bernd Riexinger (ver.di Bezirksgeschäftsführer Stuttgart) betonte in seiner Rede drei Gemeinsamkeiten von Stuttgart 21 und den Gewerkschaften. Das Milliardengrab Stuttgart 21 das Geld für dringende soziale und kommunalpolitische Aufgaben verschlingt. Die Fragen von Demokratie und Mitbestimmung und wie wir in Zukunft leben wollen.

Text/Fotos: Dieter Keller/Hans Jürgen Rettig

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