Wirtschaft

rentenkonzept igm 201626.08.2016: Vor 30 Jahren hatte der damalige Arbeitsministers Norbert Blüm Plakate verbreitet mit der Losung „Denn eins ist sicher: Die Rente.“ In einer Bundestagsdebatte zur „Rentenreform“ am 10.10.1997 wiederholte er: “Es gilt der Satz - zum Mitschreiben -: Die Rente ist sicher.“ Jetzt befürchtet er, dass das Rentenniveau in die Nähe der Sozialhilfe abgleitet. Die Sorge ist berechtigt.

 

Die Bundesbank hat „wissenschaftlich“ ermittelt, dass ein Rentenbeginn mit 69 notwendig sei, die FASZ verbreitet am 21.08.2016 begeistert eine ebenso wissenschaftliche Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), das einen Rentenbeginn mit 73 für unabdingbar hält. Der Übergang vom Werks- zum Friedhof wird einfacher und kürzer, so scheint es der Wunsch der Konzerne.

Auch die IG Metall fordert einen Kurswechsel in der Rentenpolitik. Unter dem Motto »Mehr Rente – Mehr Zukunft« hat der IG Metall-Vorstand ein Reformprogramm zum Neuaufbau einer solidarischen Alterssicherung und eine Rentenkampagne zur Durchsetzung entsprechender Forderungen beschlossen. Die IG Metall kritisiert, dass das Rentenniveau des Durchschnittsrentners nach 45 Beitragsjahren bis 2030 auf 43 % des Nettoentgelts sinken soll. Derzeit sind es 47,5 %, 2000 waren es noch 50 % des Nettoentgelts.

Nachfolgend ein paar Fakten und Anmerkungen zur Rentendebatte.

Eckrentner

In allen Debatten über Rentenhöhe und Rentenpolitik ist vom sog. Eck- oder Durchschnittsrentner die Rede. Der Durchschnittsrentner ist eine Person, die über 45 Erwerbsjahre immer das jeweilige Durchschnittseinkommen aller Berufstätigen bezog. Er erhält pro Jahr eine Rente von ca. 28 Euro, nach 45 Jahren also 1.260 Euro, abzüglich Kranken- und Pflegeversicherung netto ca. 1.150 Euro. Das ist aus mehreren Gründen eine sehr theoretisch konstruierte Erwerbsbiografie: in den ersten Jahren des sozialversicherungspflichtigen Erwerbslebens – also der Ausbildung – und den ersten Jahren nach der Ausbildung verdient mensch selten so viel wie der Durschnitt der Erwerbstätigen. Wer sein restliches Erwerbsleben in der Industrie verbringt, erhält möglicherweise den jeweiligen Durchschnitt. Wer zeitweise arbeitslos oder in Erziehungszeiten ohne Einkommen ist, unterschreitet den Durchschnitt und/oder kommt eher nicht auf 45 Beitragsjahre. Wer in schlechter bezahlten Berufen arbeitet, etwa in der öffentlichen Daseinsvorsorge, oder im Dienstleistungssektor tätig oder Mindestlohnempfänger ist, hat also keine Chance, die sog. Eckrente zu erhalten. Der studierte Erwerbstätige wird möglicherweise den größten Teil seines Erwerbslebens über dem Durchschnittseinkommen liegen, aber nicht 45 Jahre lang. Der Eckrentner ist also eine eher exotische Spezies.

Realrentner

Noch dramatischer ist die tatsächliche Nettorente: sie betrug 2015 für die 18 Millionen Bezieher von Altersrente in Ost- und Westdeutschland im Durchschnitt 821 Euro, Rentnerinnen im Westen erhalten durchschnittlich 575 Euro, die rund 1,8 Mio. Bezieher von Erwerbsminderungsrente erhalten im Durchschnitt 732 Euro.

Die Rentendebatte der IG Metall

Die IG Metall will jetzt eine gesellschaftliche Debatte entwickeln, wie die Zukunft der Renten und der Rentenbezieher aussehen soll. Auch andere Gewerkschaften und der Sozialverband VdK gehen das Thema an.

In der aktuellen Arbeitszeit-Debatte in der IG Metall ist endlich Selbstkritik zu hören, wenn der Vorsitzende Jörg Hofmann die defensive Haltung der Vergangenheit kritisiert. Diese Selbstkritik darf auch bei der Renten-Debatte nicht fehlen:

  • Die frühere Orientierung der IG Metall auf Senkung der „Lohnnebenkosten“ zur Sicherung des „Standort Deutschland“ hat nur zur Entlastung der Arbeitgeber und somit Erhöhung der Profite geführt, die Beschäftigten haben das mit höheren Beiträgen und schlechteren Leistungen bezahlt. Diese Orientierung folgte dem neoliberalen Märchen, dass die Gewinne von heute die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen seien, sie spielt in der IG Metall m. E. heute keine ernsthafte Rolle mehr.
  • Die „Riester-Rente“ wurde vom ehem. 2. Vorsitzenden der IG Metall auf gut bezahlten Vorträgen propagiert. Sie hat zu staatlich geförderten Gewinnen der Versicherungskonzerne geführt, aber nicht zu einer Verbesserung der Lage der Rentner. Das gilt ebenso für andere Formen der staatlich geförderten privaten Vorsorge.
  • Der VdK fordert eine paritätische Finanzierung der Betriebsrenten, die IG Metall verweist auf die Traditionen der anteiligen oder teilweise alleinigen Arbeitgeberfinanzierung. In der jetzigen Form trägt aber der Betriebsrentner auch den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung.

Betriebsrenten

Unter diesem Begriff (gerne als bAV, betriebliche Altersversorgung abgekürzt) verbirgt sich eine Vielzahl von Rentenansprüchen, die nur eines gemeinsam haben: die Beiträge zu dieser Art von Versicherung werden vom Betrieb, in dem ein Erwerbstätiger beschäftigt ist, an eine Versicherungsgesellschaft abgeführt, also weder an die gesetzliche Rentenversicherung noch werden sie vom Beschäftigten direkt an die Versicherung abgeführt. Die Auszahlung erfolgt klassisch als Rente, angesichts der Kapitalmarktorientierung der Unternehmen werden aber auch Kapitalzahlungen häufiger. In der Praxis existieren mehrere typische Formen, die auch gemischt vorkommen:

  • Arbeitgeberfinanzierte bAV: das Unternehmen zahlt für die Beschäftigten einen bestimmten Betrag pro Jahr an eine Versicherungsgesellschaft. Höhe und Voraussetzungen dieser freiwilligen Sozialleistung sind betrieblich geregelt, üblich war in den 90er Jahren 1 % des Jahresbruttoentgelts, in manchen Unternehmen und für manche Beschäftigtengruppen auch mehr. Für das Unternehmen sind diese Beiträge als Lohnkosten steuermindernd, das Unternehmen zahlt keine Sozialversicherungsbeiträge dafür. Für den Betriebsrentenempfänger ist das Einkommen aus dieser Versicherung vollumfänglich steuerpflichtig, außerdem muss er auf diese Einkommen den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmeranteil zur Kranken- und Pflegeversicherung, zusammen 17,2 %, zahlen.
  • Tarifvertrag AVWL: in tarifgebundenen Betrieben (der M+E-Industrie) haben tarifgebundene Beschäftigte Anspruch auf altersvorsorgewirksame Arbeitgeberzahlungen von jährlich gut 300 Euro für eine zusätzliche Altersversorgung. Besteuerung und Sozialversicherungspflicht richten sich nach der Art der AVWL. Diese Tarifverträge sichern die Arbeitgeberzahlungen gem. dem ehem. „624-Mark-Gesetz“, das sog. vermögenswirksame Leistungen absicherte.
  • Arbeitnehmerfinanzierte bAV: hier zahlt ausschließlich der Beschäftigte von seinem Brutto- oder Nettoentgelt einen bestimmten Betrag an eine Versicherungsgesellschaft zwecks Altersvorsorge. Per Gesetz sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, die Durchführung solcher Verträge anzubieten. Die Leistungen des Arbeitgebers beschränken sich auf die Abwicklung der Formalitäten. Besteuerung und Sozialversicherungspflicht richten sich insbesondere nach der Art der AVWL (Brutto- oder Netto-Umwandlung).

Drei Säulen der Altersvorsorge

Mit den ersten „Rentenreformen“ wurde verkündet, dass zukünftig angesichts sinkender Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung die Altersversorgung durch betriebliche und private Vorsorge als 2. und 3. Säule der Altersversorgung ergänzt werden sollten. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass den Beschäftigten somit die Lasten der privaten Vorsorge ganz, die der betrieblichen Vorsorge ganz oder zu Teilen und die der gesetzlichen Vorsorge hälftig aufgebürdet wurden, während die Unternehmen entsprechend entlastet wurden. Natürlich diente das alles der Sicherung des „Standort Deutschland“, ebenso wie die in dieser Zeit entstandenen angeblichen „Bündnisse für Arbeit“. Die Rente mit 67 ist ebenfalls ein Mosaikstein in diesem System der Umverteilung.

Erwerbstätigenversicherung

Die von IG Metall wie VdK geforderte Erwerbstätigenversicherung, in der alle Erwerbstätigen versichert sind, also auch Selbständige und Beamten, sollte zur Regelversicherung werden. Deren paritätische Finanzierung ist die beste Alternative zum Modell der drei Säulen. Mit dieser Erweiterung verbunden ist die Frage nach der Beitragsbemessungsgrenze (BBG). Derzeit werden auf alle Beiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze (2016: 6.200 Euro West und 5.400 Euro Ost) Rentenversicherungsbeiträge – paritätisch – abgeführt und nur aus diesen Beiträgen entstehen proportional Rentenansprüche. Sollten alle Einkommen der vollen Versicherungspflicht unterliegen, muss geklärt werden, ob die daraus entstehenden Rentenansprüche nach wie vor einer Bemessungsgrenze unterlegen sollen. Dazu findet sich bei der IG Metall der Satz: „Zu prüfen wäre in diesem Kontext, wie die Attraktivität der gesetzlichen Rentenversicherung für Einkommensbezieher jenseits der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) verbessert werden kann.“ Auch diese Frage muss in den anstehenden Debatten erörtert werden, da ihre Beantwortung Folgen für die Mobilisierbarkeit – oder den Widerstand – von Beziehern höherer Einkommen, Selbständigen und Beamten hat.

Eine nicht nur kosmetische Neuausrichtung der Rentenpolitik würde einen Bruch mit der neoliberalen Orientierung bedeuten. Die Auseinandersetzung um die Rente mit 67 hat uns gezeigt: einen solchen Kurswechsel werden wir nicht mit dem Stimmzettel bei der Bundestagswahl durchsetzen, dafür braucht es Druck in den Betrieben und auf der Straße, und es bedarf intensiver ideologischer Klärung und Kurskorrekturen, insbesondere in den Gewerkschaften und bei der Sozialdemokratie.

Text: Gebhard Hofner, ehem. KBR-Vorsitzender

Vorschläge der IG Metall für den Neuaufbau einer solidarischen Alterssicherung