Wirtschaft

verdi Kaufhof 2019 12 1228.12.2019: Nach langen Auseinandersetzungen wurde am 20. Dezember für Galeria Karstadt Kaufhof ein Sanierungstarifvertrag unterzeichnet. Bei der Bewertung sei nicht ausschließlich das Ergebnis, sondern auch der Weg dorthin einzubeziehen, meint der hessische ver.di-Sekretär Horst Gobrecht.

Die Unternehmer prägten zu Beginn des letzten Jahrhunderts das Wort, Tarifvereinbarungen seien "Waffenstillstandsverträge", mit denen der dauerhaft "erklärte Kriegszustand zwischen den Arbeitern und dem Unternehmertum zeitweilig unterbrochen" werde ("Deutsche Arbeitgeberzeitung" vom 3. September 1905). Diese unternehmerische Sichtweise gegenüber dem Engagement von Gewerkschafter/inne/n und Gewerkschaften ging nicht verloren, sondern beispielsweise 1922 erinnerte der Jurist Karl Korsch in seinem "Arbeitsrecht für Betriebsräte" daran, Tarifverträge bedeuteten "einen bloßen ‚Waffenstillstand’ im Klassenkampf". Seither wird immer wieder auf dieses Bild zurückgegriffen, wenn es um schwierige und schwere Kämpfe für die Anerkennung oder Verbesserung von Tarifverträgen geht (siehe "WeserKurier" vom 15. Oktober 2019).

Wer den Tarifkonflikt in den Unternehmen Galeria Kaufhof, Karstadt Warenhaus, Karstadt Sports und Karstadt Lebensmittel (kurz Galeria Karstadt Kaufhof) verfolgte, als Beschäftigte/r durchkämpfte oder bloß miterlebte, der wird möglicherweise geneigt sein, über diese "alte", scheinbar sogar als "veraltet" angesehene Einschätzung wieder neu nachzudenken. Nicht wenige sind gewohnt, den Erfolg einer solchen Auseinandersetzung "vom Ergebnis her" zu beurteilen. Dann wäre nüchtern festzustellen: Alle Angestellten "gewannen" dabei eine Beschäftigungsgarantie und die Sicherung aller Filialen, einschließlich der Doppel- und Mehrfachstandorte bis Ende 2024. Aber ebenso alle zahlen dabei drauf und das für die nächsten fünf Jahre nicht zu knapp; jedoch liegen ihre künftigen monatlichen Gehälter so nahe am Tarifvertrag für den Einzelhandel wie schon lange nicht mehr und kaum noch erwartet. Kann also trotzdem von einem tarifpolitischen Erfolg die Rede sein?

Wer das Wort vom "Waffenstillstand" nicht oberflächlich, sondern auch heute noch mit aller notwendigen Ernsthaftigkeit gebraucht, der weiß und bedenkt natürlich dabei, dass mit massiven Militäreinsätzen geführte Kriege in der Vergangenheit wie aktuell in der Regel auf jeder Seite nur Verlierer/ innen kennen.

… der Ausgangspunkt war durchaus problematisch

Bei der Bewertung des am 20. Dezember 2019 unterzeichneten Sanierungstarifvertrages für Galeria Karstadt Kaufhof ist also nicht ausschließlich das Ergebnis, sondern auch der Weg dorthin einzubeziehen. Für die Beschäftigten war der Ausgangspunkt durchaus problematisch: Nach jüngsten Berechnungen der ver.di lagen die Gehälter aufgrund ihrer unterschiedlichen unternehmensspezifischen Entwicklung der letzten Jahre beim Karstadt Warenhaus 15,65 Prozent, bei Galeria Kaufhof 3 Prozent, bei Karstadt Sports 18,17 Prozent und bei Karstadt Lebensmittel 7,3 Prozent unterhalb des Branchentarifvertrages. Zudem standen die Hauptunternehmen Galeria Kaufhof und Karstadt Warenhaus sich jahrzehntelang in direkter Konkurrenz gegenüber; nicht selten in der gleichen Stadt auf Sichtweite wie beispielsweise in Darmstadt, Frankfurt, Fulda, Sulzbach (Main-Taunus-Zentrum) und Wiesbaden. Es wäre eine Illusion oder falsche Hoffnung, zu erwarten oder zu meinen, der Verdrängungswettbewerb der beiden habe sich ausschließlich am "Markt" und nicht auch zwischen den jeweiligen Belegschaften und ihren Betriebsräten abgespielt.

Die Geschäftsführung mit dem Eigentümer René Benko (Signa Holding) im Rücken nutzte diese "Konkurrenz" seit der Übernahme von Kaufhof im Jahr 2018 selbstverständlich aus, um die Gemüter zu irritieren, indem zum Beispiel ein Spitzenmanager von Kaufhof noch zu Zeiten, als bereits die Übernahmeverhandlungen liefen, gegenüber Betriebsräten erklärte, das Unternehmen stehe wirtschaftlich derart gut da, dass es auch allein weiterbestehen könne.

Nach der Fusion von Kaufhof und Karstadt in diesem Jahr forderte die Geschäftsführung einen besonderen Warenhaus-Tarifvertrag, mit dem keine Verbesserung der tariflich geregelten Gehälter, Leistungen und Arbeitsbedingungen zu erwarten gewesen wäre, sondern eher ein angeblich "gerechtes" Einpendeln auf niedrigerer Stufe.

Schließlich drohten die neuen Chefs sehr früh und offen mit einer Verschmelzung von Kaufhof auf Karstadt und eine dadurch mögliche Anwendung des bei Karstadt seit 2016 geltenden Sanierungstarifvertrages. Für die Beschäftigten von Kaufhof stand also ab Januar 2020 eine weitere Absenkung der Gehälter um mehr als 12 Prozent in Aussicht. Es kann und darf darum nicht verwundern, wenn unter solchen künstlich zugespitzten Bedingungen manche Beschäftigten und sogar Betriebsräte den "Kopf verloren". Denn eine Bezahlung einer Verkäuferin wie bei Karstadt mit einem monatlichen Verlust von 350 Euro zum Vollzeittarifgehalt wäre für viele Angestellte, insbesondere für Teilzeitbeschäftigte, ohne staatliche Zuschüsse kaum zu verkraften gewesen.

Nicht nur dadurch, sondern auch aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten in allen vier Unternehmen der Galeria Karstadt Kaufhof stieg in den Belegschaften die Angst vor einem baldigen Arbeitsplatzverlust stetig an. Diese Stimmung wurde genährt durch ein "Trommelfeuer" in den Medien und nicht zuletzt der Filialgeschäftsleitungen, das Unternehmen sei ein "Sanierungsfall", obwohl der Eigentümer bereits einen dreistelligen Millionenbetrag investiert habe. Solche Botschaften lähmen eher die Kampfbereitschaft, als dass sie diese fördern.

… auf die eigenen Kräfte zu besinnen

Doch viele Beschäftigte aller Unternehmensteile hatten im Laufe der Tarifrunde für den Einzelhandel in diesem Jahr, spätestens aber nach den unverhohlenen ständigen Drohungen für sich entschieden, sich auf die eigenen Kräfte zu besinnen und der Auseinandersetzung zu stellen, weil auf eine Lösung am Verhandlungstisch allein nicht gehofft werden konnte.

Dabei mussten sich alle bewusst sein, dass am Ende keine Anerkennung der bestehenden Branchentarifverträge ohne Wenn und Aber, sondern wohl erneut ein Sanierungstarifvertrag stehen würde. Die seit August zwischen der Geschäftsführung von Galeria Karstadt Kaufhof laufenden Gespräche mit ver.di mündeten im November in erste Tarifverhandlungen, die lange Zeit keine Linie der Einigung erkennen ließen. Denn die Unternehmer versuchten mit allerlei rechnerischen Methoden, ständig bedrohlicher werdenden Informationen in den Filialen und eine manchmal haarscharf an der Wahrheit vorbeigehende Öffentlichkeitsarbeit ihr Hauptziel zu erreichen: die Anerkennung der Tarifverträge des Einzelhandels zu verhindern.

Die Verhandlung spitzte sich voraussehbar am 12. Dezember dramatisch zu. Deshalb rief ver.di für diesen Tag die Beschäftigten der durch keine tarifliche Friedenspflicht mehr gebundenen Unternehmensteile Galeria Kaufhof, Karstadt Sports und Karstadt Lebensmittel zum Warnstreik auf. Die Unterstützung durch die Belegschaften von Karstadt Warenhaus war ihnen verwehrt, weil die Geschäftsführung im Sommer dieses Jahres durch ein Gerichtsurteil erwirkt hatte, dass durch den geltenden Sanierungstarifvertrag dort die Friedenspflicht einzuhalten wäre.

Gleichwohl beteiligten sich Angestellte aus 68 Filialen der Galeria Kaufhof, 15 von Karstadt Sports und 8 von Karstadt Lebensmittel am 12. Dezember an Streiks und Aktionen. Die durch Flugblätter aufgeklärten Kund/inn/en zeigten sich trotz der zeitweisen "Behinderung" beim Weihnachtseinkauf durchweg aufgeschlossen und solidarisch. Selbstverständlich bestand auch hinsichtlich der Kampfbereitschaft noch deutlich "Luft nach oben", wirkten die in den Belegschaften gezielt geschürten Ängste nicht gerade motivierend, blieben viel zu viele Beschäftigte aus teilweise haarsträubenden "Gründen" abseits stehen, obwohl unmittelbar drohte, dass ihnen das "Fell über die Ohren" gezogen werden sollte. Dennoch wirkten die beherzten Streiks im Weihnachtsgeschäft am Verhandlungstisch wie ein Reaktionsbeschleuniger. Weitere Streiks wurden für den 20. und 21. Dezember vorbereitet, falls die bis zum 19. Dezember geplanten Verhandlungen ergebnislos verlaufen würden.

Die Aufregung in allen Filialen der Galeria Kaufhof, von Karstadt Sports und Karstadt Lebensmittel unterstrich die Notwendigkeit und Richtigkeit dieser geplanten verhandlungsbegleitenden Aktivitäten. Darüber hinaus sollten auch ausgewählte Karstadt-Häuser mit zuverlässig kämpferischen Belegschaften durch Solidaritätsstreiks in den Arbeitskampf einbezogen werden.

Das Verhandlungsergebnis

Das am 20. Dezember erreichte und einen Tag später von den Bundestarifkommissionen der Galeria Kaufhof, Karstadt Warenhaus, Karstadt Sports und Karstadt Lebensmittel angenommene Verhandlungsergebnis sieht vor:

  • die verbindliche und vollständige Rückkehr in die Branchentarifverträge des Einzelhandels zum 1. Januar 2025;
  • die Zahlung von 97 Prozent des Einzelhandeltarifs ab 1. Januar 2020 an die Beschäftigten von Kaufhof und Karstadt;
  • die zeitverzögerte Weitergabe der Lohnerhöhung von 1,8 Prozent für 2020, doch zum jeweils dann vereinbarten Termin die für 2021 bis 2024 für die Branche noch auszuhandelnden Tariferhöhungen;
  • die Vergütung der Auszubildenden ab 1. Januar 2020 entsprechend des Einzelhandelstarifs;
  • eine Vorteilsregelung für Mitglieder der ver.di: jährlich ein Einkaufsgutschein im Wert von 270 Euro.
  • einen Sanierungsbeitrag der Beschäftigten in Höhe des Unterschiedsbetrages der bisher schon bei Galeria Kaufhof "fehlenden" 3 Prozent zum Tarifgehalt sowie der Verzicht auf das vollständige tarifliche Urlaubs- und Weihnachtsgeld in den Jahren 2020 bis 2024.

  verdi Stefanie Nutzenberger"Wegen der wirtschaftlich schwierigen Lage der Unternehmen enthält der Abschluss auch schmerzhafte Punkte. Wir konnten Eingriffe in die monatlichen Entgelte abwehren, aber die Beschäftigten von Kaufhof, Karstadt Warenhaus und Karstadt Sports müssen auf ihr Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichten. Umso mehr erwarten sie von Eigentümer und Management, dass sie alles dafür tun, Kaufhof und Karstadt für die Zukunft gut aufzustellen."
Stefanie Nutzenberger, Leiterin des Fachbereichs Handel und Mitglied im ver.di-Bundesvorstand
 

 

Wer also den Tarifabschluss "vom Ergebnis her" beurteilt, der wird bei aufrichtiger Betrachtung nicht umhinkönnen, dabei die Auseinandersetzung bei Galeria Karstadt Kaufhof mit ihren Stärken, aber auch Schwächen einzubeziehen.

… für die nächsten fünf Jahre keine "Friedhofsruhe"

Auf Betriebsversammlungen äußerte zu Beginn der Zuspitzung des Konflikts kaum jemand die Hoffnung, dass dieser ohne "Schrammen" für die Beschäftigten beendet werden könnte. Nur besonders Blauäugige und allzu Vertrauensselige bildeten sich ein, alles werde doch irgendwie "gutgehen". Von allen anderen dürfte der "Waffenstillstand" vom 20. Dezember wie jeder seiner Art als ein End- und Ausgangspunkt zugleich empfunden werden: Die über Monate geführten betrieblichen und öffentlichen Kämpfe für die Anerkennung der Branchentarifverträge und gegen einen unerträglichen Einkommensverlust wurden mit einer Einigung beendet.

Doch diese verordnet den Beschäftigten für die nächsten fünf Jahre keine zähe "Friedhofsruhe". Sicher lassen sich auf ihrer Grundlage die letzten Reste falschen Konkurrenzdenkens untereinander überwinden. Und durch gemeinsames aktives Eingreifen in die bevorstehenden Tarifrunden für den Einzelhandel können sie sich auf jenen wichtigen Tag vorbereiten, an dem der Sanierungstarifvertrag auslaufen wird und als "Nagelprobe" die Branchentarifverträge wieder ungeschmälert gelten sollen.

Horst Gobrecht
übernommen von "Kuckuck" Nr. 133 vom 23. Dezember 2019 für Betriebsräte und Beschäftigte im Fachbereich Handel der ver.di Bezirk Südhessen

Wir danken für die Genehmigung zur Veröffentlichung auf kommunisten.de


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