Internationales

alt21.11.09: Kein guter Stern stand über dem UNO-Welternährungsgipfel der FAO, der vom 13.-17. November in Rom tagte. Zwar waren fast alle Staaten der Welt vertreten, aber meist durch zweitrangige Beauftragte, nur 60 Staats- und Regierungschefs nahmen teil und von den sogenannten G8-Staaten war nur Sivio Berlusconi für Italien anwesend - wohl auch nur deswegen, weil der Gipfel in Rom statt fand. Verbal wurde zwar der Wille bekundet, den Hunger in der Welt bis 2015 zu bekunden. Aber konkrete wirksame Vereinbarungen blieben aus - erschreckender Kontrast zum dramatischen Anstieg der hungernden Weltbevölkerung.

1996 versprachen die Regierungschefs ebenfalls in Rom, die Zahl der Hungernden auf der Welt bis 2015 unter 420 Millionen zu senken. Stattdessen stieg seither deren Zahl auf über eine Milliarde. Noch nie haben so viele Menschen auf diesem Planeten gehungert. Noch nie wurden gleichzeitig weltweit pro Kopf mehr Nahrungsmittel produziert als heute.  Effizient verteilt und eingesetzt könnten sie selbst die 2050 erwarteten 9 Milliarden Erdenbürger gesund und ausreichend ernähren. Dagegen ist die zentrale Botschaft der Welternährungsorganisation FAO und der Staatschefs des jetzigen FAO-Gipfels: Zur Überwindung des Hungers muss die landwirtschaftliche Produktion weiter drastisch (bis 2050 um 70%) erhöht werden. Aber eine um 70% gesteigerte Landwirtschaftsproduktion mit einem Fünftel der heutigen Treibhausgas-Emissionen (das wären die Bedingungen auf Grund der Forderungen auf dem Weltklimagipfel in wenigen Tagen in Kopenhagen) ist völlig unrealistisch.

Die zielorientierten Vorschläge des im vergangenen Jahr veröffentlichten Weltagrarberichtes, in dem nach 4 Jahren Arbeit über 500 Wissenschaftler und Experten den globalen Stand des Wissens über Landwirtschaft und Ernährung zusammenfassten und der im vergangenen Jahr von 58 Staaten (nicht der Bundesrepublik) verabschiedet wurde, spielte auf dem Rom-Gipfel keine Rolle. Wachstum und Liberalisierung des Welthandels stehen weiterhin an erster Stelle. Die einzige 'neue' Technologie, die ausdrücklich erwähnt wird, ist die Bio/Gen-Technologie.

Agrarökologie oder biologische Landwirtschaft, die Überwindung destruktiver Formen von industriellen Monokulturen und der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern sucht man dagegen vergebens. Begriffe wie Ernährungs-Souveränität und Multifunktionalität werden vermieden. Maßnahmen zur Sicherung der nationalen Selbstversorgung dürfen nach dem Wortlaut des Textes keinesfalls den Welthandel behindern. Agrarsubventionen in den Industriestaaten spielen ebenso wenig eine Rolle wie die besorgniserregende Konzentration, sprich Monopolisierung von Handel, Verarbeitung, Saatgut- und Agrarindustrie. Selbst der hochsubventionierte Agrarsprit-Boom und seine Spekulationsfolgen, die erst im vergangenen Jahr zu Preisexplosionen und Hungeraufständen führten, und die Spekulationen mit Nahrungsgütern (Teil der Finanzkrise) werden nicht kritisiert. Die beabsichtigte Versorgung von Kleinbauern mit Kunstdünger, Pestiziden und davon abhängigem Hochleistungssaatgut könnte das gegenwärtige Elend mittelfristig eher verstärken als lindern.

Alles Maßnahmen, die den wirtschaftlich und technologisch starken Industrieländern der G8 Vorteile und ihren Großkonzernen dicke Profite einbringen. Da überrascht es nicht, dass die Weltbank, die einst zusammen mit der UNO den Weltagrarbericht in Auftrag gab, ebenso wie die Vertreter der Agrarindustrie in den G8-Staaten, die Ergebnisse des Berichtes jetzt totschweigen. Die Organe der imperialistischen Profitwirtschaft arbeiten Hand in Hand, vor allem gegen die Dritte Welt.

Aber auch die entwickelten Industriestaaten sind nicht so weit vom Hungern entfernt, wie man meinen sollte. Fast gleichzeitig mit dem FAO-Gipfel wurde vor wenigen Tagen ebenfalls bekannt, dass Hunger und Ernährungselend jetzt auch massiv die USA, das Land mit dem nach Barack Obama besten politischen System der Welt (so schwärmte er auf seiner Ostasienreise vor wenigen Tagen in China), erreicht hat. Seltsam, dass dieses System den Menschen in den letzten Jahren zunehmend weniger Ernährungssicherheit bietet ('Ernährungssicherheit' ist laut FAO-Weltbericht 2001 eine Situation, die existiert, wenn die Menschen jederzeit physischen, sozialen und wirtschaftlichen Zugang zu genügend sicheren und nährstoffreichen Nahrungsmitteln haben, um ihre Bedürfnisse und Präferenzen für ein aktives und gesundes Leben zu erfüllen). Das ist das Ergebnis einer Studie des Ministeriums für Landwirtschaft der USA über 'Ernährungsunsicherheit' in den USA zum Stand Ende 2008, der jetzt veröffentlicht wurde.

Jeder siebente US-Amerikaner, das sind etwa 49 Mio. Menschen, hatte im Jahre 2008 Mühe, genug Essen zu bekommen. Davon waren 17 Mio. Personen von 'sehr großer Ernährungsunsicherheit', was die Grenze zu echtem andauerndem Hungern darstellt, betroffen (s. Bericht auf Seite 6). Im Jahre 1998, als dieser Bericht das erste Mal erstellt wurde, lauteten die Zahlen noch 36 Mio. bzw. 12 Mio. und außer in 1999 gab es sonst nur kontinuierliche Steigerungen dieser Zahlen. Während die sehr hohe Ernährungsunsicherheit in den vergangenen zehn Jahren aber in allen analysierten Bevölkerungssegmenten der USA zunahm, war sie in den Gruppen am größten, die in der Vergangenheit am wenigsten davon betroffen waren. So wurden in den letzten zehn Jahren überdurchschnittliche Zunahmen bei verheirateten Paaren mit Kindern (+ 153%), bei Mehrpersonenhaushalten ohne Kinder (+ 144%) und bei Haushalten, deren Einkommen mehr als 185% des offiziellen Armutsniveaus beträgt (+ 181%) verzeichnet. Bei alleinerziehenden Müttern nahm die Ernährungsunsicherheit um 81 % zu, bei farbigen, nicht-latino Haushalten um 79 % und bei Haushalten mit weniger Einkommen als 185 Prozent der offiziellen Armutsschwelle zwischen 83% und 96%. 17 Mio. Kinder (2007 noch 12 Mio.) lebten in Haushalten mit ungesicherter Ernährung, wobei 506.000 Kinder in sehr großer Ernährungsunsicherheit lebten, also regelmäßig in Hungersituationen waren (2007 noch 323.000).

Dass diese erschreckende Lage eines Siebtels des US-Bevölkerung bisher nicht zu physischem Elend wie in Afrika oder Indien geführt hat, liegt sicher an den noch funktionierenden Programmen der Ernährungsunterstützung, von denen das US-Landwirtschaftsministerium allein 15 organisiert und finanziert (s. Bericht S.28). Zusätzlich mildern Lebensmitteltafeln und Lebensmittelverteiler die Ernährungsnot auf wohltätiger Basis, i.a. von religiösen Gruppen organisiert. Mit dem Anwachsen des Ernährungselends in den USA stiegen auch die staatlichen Unterstützungsausgaben, im Jahre 2008 waren es 60,6 Mrd. Dollar. Und die Zahl der Bedürftigen wächst als Konsequenz der Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 09-2008 weiter an, wobei die erfasste Arbeitslosigkeit in den USA von jetzt schon über 10% ein wesentlicher Auslöser dafür ist: im Mai 2009 haben 34,4 Mio. Menschen das wichtigste staatliche Unterstützungsprogramm (SNAP, Lebensmittelmarken in Geld) in Anspruch genommen, inzwischen sollen es 36,6 Mio. Menschen sein. Das sind etwa 11% aller US-Amerikaner, 40% mehr als noch vor zwei Jahren.

Traurige Rekorde des kapitalistischen 'Musterstaates', der zwar sowohl zur Befriedigung des Profitsicherheit von Finanzinstitutionen und industriellen Großfirmen, als auch zur Führung seiner imperialistischen Kriegsabenteuer Billionen von Dollar ausgiebt, jedoch eines nicht schafft: menschenwürdige Arbeit mit ausreichendem Einkommen für ein Siebtel der eigenen Bevölkerung zu sichern.

Text: hth  /  Foto: R.B.Boyer (Food pantry in Pensylvania)