Internationales

alt15.07.2010:  Vor etwas mehr als einem Jahr führten die iranischen Präsidentschaftswahlen am 12. Juni zu einer breiten Protestbewegung großer Teile der Bevölkerung, besonders in den großen Städten und in der Hauptstadt des Landes.  Damals erklärte die kommunistische 'Tudeh-Partei des Irans' (TPI) ihre "ganze Unterstützung des Kampfes des iranischen Volkes gegen das diktatorische Regime" und bekräftigte gleichzeitig, ihre "feste Ablehnung jeder ausländischen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Irans." Dass diese strategische Linie weiterhin höchste Bedeutung hat, zeigen jüngste Ereignisse.

Millionen Menschen in der 'Grünen Bewegung' des Irans erhoben sich im letzten Jahr und demonstrierten für Demokratie, Frieden, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit, sowie für einen Rückbau oder sogar eine Aufhebung des theokratischen Herrschaftssystems. Wenn auch die öffentlichen Aktivitäten dieser Bewegung in diesem Sommer nicht mehr das Ausmaß des letzten Jahres haben, so ist die Bewegung selbst vorhanden und erfährt sogar aus anderen Bevölkerungsteilen neuen Zulauf. So etwa der heute im 7. Tag stehende Streik der Theheraner Basaris, die im letzten Jahr noch abseits standen und jetzt von der Regierung Ahmadinejad eine Rücknahme von Steuererhöhungen erzwingen wollen. Doch diese Widerstandsaktion lässt sich nicht gut für Einmischung von außen ausnutzen, so findet sie denn auch wenig Beachtung in unseren Medien und bei Menschenrechtlern.

Besser eignet sich da schon so ein Vorgang, wie die geplante, und jetzt ausgesetzte Hinrichtung der zum Tode durch Steinigung verurteilten 43-jährigen Sakineh Mohammadi Ashtiani aus der Provinz Ost-Aserbeidschan. Unabhängig von jeder Bewertung des Todesurteils und seiner Umstände und Hintergründe, bringt allein die Vorstellung der barbarischen mittelalterlichen Prozedur (11 Frauen und 3 Männer sind im Iran derzeit zu solchen Hinrichtungen verurteilt) sicherlich das Blut aller in Wallung, die zu menschlichem Mitgefühl Zugang haben.  Gerne würde man sich dem Protest anschließen und eine der dazu laufenden Unterschriftenaktionen mit der eigenen Unterzeichnung unterstützen.

Und dann merkt man hier beim genauen Hinsehen plötzlich, dass die Forderung nach "Druck auf die iranische Regierung ... zur sofortigen Freilassung" (am Ende des Artikels) von Frau Ashtiani u.a. an alle Außenminister bzw. Regierungen der EU adressiert werden soll.  Und bei einem per Mail weltweit verschickten Aufruf von Avaaz.org (am heutigen Tag schon über 350.000 Unterzeichner) stellt man u.a. fest, dass die 'unabhängigen' Organisatoren fast gleichzeitig Jubel-Unterschriftenaktionen zum 75. Geburtstag des Dalai Lamas veröffentlichen, 2007 und 2008 antichinesische Petitionen zu Tibet organisiert haben, dabei 2007 den früheren britischen Premierministers Gordon Brown als 'Helfer' einspannten und mit seinen Dankes- und Freundschaftsschreiben Werbung für sich machen.

Alles Staaten, Hintermänner oder 'Retter in der Not', die nie Probleme mit der Verletzung von Menschenrechten im Irak (man denke etwa an die durch verstrahltes Uran aus Bomben geschädigten Kinder), in Pakistan und Afghanistan (hier die zivilen 'Kollateralschäden' bei Bombardierungen) oder in den Gefängnissen Abu Ghraib, Bagram oder Guantanamo hatten. Wo hätte sich je einer von ihnen praktisch wirksam gegen die Entrechtung der Palästinenser durch Israels Zionisten gewehrt und 'Druck' ausgeübt? Der Dalai Lama steht zudem für die Wiedererrichtung eines theokratischen Systems, welches zumindest vor 1959 gegenüber dem im Iran noch mittelalterlicher war.  Und er steht für dauernde Anstrengungen zur Spaltung Chinas im Bündnis mit den USA und deren CIA, letztmalige Großaktionen in Lhasa im März 2009. Sich an solche 'Wölfe im Schafspelz' bei der Unterstützung des iranischen Volkes wenden - wohin sollte das führen?

Nicht nur die ganz spezifischen Menschenrechtsaspekte im Iran sind ein Einfallstor für die Anstrengungen der imperialistischen Zentren zur Instrumentalisierung von Widerstand und Protest für eigene Zwecke.

Am 26. Juni fand in der Nähe von Paris, in der Kleinstadt Taverny, eine Großkundgebung mit - nach Angaben der Organisatoren - 100.000 Exiliranern, darunter 35.000 aus der BRD, statt (hier ein Bericht der Stadt Taverny (!) mit einigen Bildern). Angeblich ging es um "Unterstützung der iranischen Bevölkerung und deren Widerstand und Opposition". Organisator war der Nationale Widerstandsrat Irans (NWRI), ein Dachverband von Exiliranern, der als politischer Arm der sogenannten Volksmudjahedin des Irans (VMI) gilt. Die VMI sind seit 1997 von den USA als 'terroristische Organisation' eingestuft, die EU hob diese Einstufung für ihr Gebiet am 26.1.2009 auf. Groß-Britannien hatte den Schritt schon am 24.6.2008 vollzogen. Welch zufällig günstiges zeitliches Zusammenfallen mit den verschärften Anstrengungen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands um Unterbindung des iranischen Atomprogramms und wie passend rechtzeitig vor den Präsidentschaftswahlen im Iran ...

Die Großkundgebung in Taverny fand unter Losungen statt, wie "Verurteilt die Menschenrechtsverletzungen im Iran" und "Wir rufen einstimmig zur Freiheit auf". Die Vorsitzende des Widerstandsrats, Maryam Rajavi, rief zum Aufbau einer neuen Gesellschaft in ihrer Heimat auf, die auf Freiheit, Gleichheit, und Achtung der Menschenrechte beruhen müsse.  Wenn man das Programm des Widerstandes für den Iran von Morgen des NWRI aus dem Jahre 2006 den Aktivitäten des NWRIs zu Grunde legt, gibt es Weniges, das man nicht voll und ganz verwirklicht sehen möchte. Und doch fällt auf, dass es praktisch keine Forderungen zur sozialen Befreiung in ihm gibt. Stattdessen wird das Ziel einer 'Marktwirtschaft' im Iran und die Aufhebung aller Beschränkungen für 'Selbständige' hoch gehalten. Das bekommt dann noch ein ganz anderes Gewicht, wenn man die Liste der Gastredner in Taverny ansieht. Als Gastredner waren nämlich der frühere US-Vertreter bei den Vereinten Nationen, John Bolton, und der frühere spanische Ministerpräsident José Maria Aznar mit von der Partie.

Ein bemerkenswertes Ereignis: John Bolton nimmt an der Veranstaltung des politischen Armes einer terroristischen Organisation aktiv teil. Seine Grundhaltung aus dem Jahre 1994 zu internationalen Beziehungen: "Es gibt eine internationale Gemeinschaft, die aber nur von der einzigen verbleibenden Supermacht angeführt werden kann, den Vereinigten Staaten (von Amerika)".  Mehr über die durch und durch reaktionäre Politik, für die Bolton steht, sind dem lesenswerten Eintrag in Wikipedia (insbesonder der Abschnitt 'Ansichten') über ihn zu entnehmen.

José Maria Aznar, der frühere spanische Ministerpräsident, ist gleichfalls dem extrem rechten Lager der europäischen Bourgeoisie zuzuordnen. Er unterstützte der Irak-Krieg massiv, quasi als verlängerter Arm von G.W. Bush in Europa. In den 1970er Jahren war er in faschistisch tradierten Organisationen Mitglied und sprach sich gegen einen Wandel Spaniens zu einer bürgerlichen Demokratie aus. In Taverny äußerte er u.a. : “Die Weltgemeinschaft hat vor einem Jahr eine wichtige Gelegenheit nicht genutzt und den Freiheitskämpfern auf den Straßen iranischer Städte keine starke Unterstützung gewährt. ... Nun beschließen wir (Anm.: der UN-SR) Sanktionen, aber ich halte das nicht für ausreichend. ... Nach meiner Auffassung haben die liberalen Demokratien die Verpflichtung, Freiheit dorthin zu bringen, wo es sie nicht gibt, wohl aber der Wunsch bei den Menschen stark ausgeprägt ist.” (Hier der dokumentierte Teil seiner Rede).

In einer gemeinsamen Erklärung von 3500 Parlamentariern aus Europa und Nordamerika, die auf der Großkundgebung der Vorsitzenden des NWRI übergeben wurde, wurden nun u.a. noch weiter reichende Sanktionen gefordert. Trommeln für den Ernstfall eines militärischen Angriffs auf den Iran?

Die hier behandelten Ereignisse machen deutlich, dass die politischen Vorkämpfer der Zentren des imperialistischen Weltsystems, vor allem in den USA und der EU, große Anstrengungen unternehmen und nicht wenig Erfolg dabei haben, den Kampf des iranischen Volkes um seine Emanzipation und die Sympathie der Menschen in aller Welt mit diesem Kampf unter eigene Kontrolle zu bekommen und zu missbrauchen: Rosstäuscher am Werk! Solchen zu folgen, wird niemals zur Befreiung eines Volkes führen: nicht im Irak, nicht in Afghanistan, ... und nicht im Iran. Aber es gibt auch und insbesondere im Iran die einleitend zitierten Positionen der Tudeh-Partei. Nur daran sich zu orientieren lohnt.

Text: hth  /  Foto: Wiki