Internationales

alt28.09.2010:  Mit Jubel und Triumphgeschrei feierten zionistische Siedler im Westjordanland am vorgestrigen Sonntag das Ende des angeblichen Baustopps in den besetzten arabischen  Gebieten. Als Zeichen für 2.000 neue Wohnungen in der Siedlung Revava ließen dort die gleiche Anzahl von Siedlern 2.000 blau-weiße Luftballone aufsteigen. Der dabei anwesende Likud-Abgeordnete Danon klagte über die Behandlung der Siedler "als Bürger Israels zweiter Klasse" und sprach die eigentliche Kriegserklärung aus: "Wir kehren mit neuer Energie und neuer Entschlossenheit zurück, um im ganzen Land Israel zu bauen und dieses Land zu bevölkern."

In anderen Siedlungen wurden Grundsteine für neue Bauten gelegt und Baugeräte für die Aufnahme von Bautätigkeiten umgehend am Beginn dieser Woche in Stellung gebracht. Denn die zionistischen Siedler können sich auf 'ihre Regierung' verlassen. Schon seit Wochen hatte Ministerpräsident Netanjahu bekundet, dass es eine Verlängerung des Baustopps nicht geben werden. Und niemand sonst in seiner Regierung ließ daran einen Zweifel. "Unsere Entscheidung war von Anfang an klar", sagte Israels Außenminister Liebermann gestern vor einem Gespräch mit dem österreichischen Außenminister Spindelegger in New York. Und voll selbstgerechtem Zynismus bezeichnete er den Raubverzicht von Land und Ressourcen des besetzten Westjordanlandes (und Ost-Jerusalems) als "unilaterale Geste des guten Willens." Auf jeden Fall eher nur eine symbolische. Denn wie die israelische Menschenrechtsorganisation 'Frieden jetzt' dargestellt hat, wurde in den besetzten arabischen Gebieten die Neubautätigkeit nur um 50% eingeschränkt und Ausbau oder Erweiterung von Wohnungen und Häusern nur um 10%.

Ministerpräsident Netanjahu ließ sich da nicht lumpen und rief Palästinenserpräsident Abbas auf, die bisher "guten Gespräche" in den nächsten Tagen weiterzuführen, um ein Friedensabkommen zwischen beiden Seiten zu erreichen. Er sei sehr zuversichtlich und guten Willens, dass ein Friedensabkommen innerhalb des nächsten Jahres zustande käme. Dabei zeigte er sich bisher gegenüber allen palästinensischen Forderungen und gleichlautenden aus den USA und der EU nach Verlängerung des Baustopps in jeder Hinsicht kompromisslos. Nur - zuviel des Aufsehens scheint im nicht zu behagen. Seine Minister hatten anscheinend ein Sprechverbot bekommen, und diskrete Sendboten sollen Siedlerfunktionäre gebeten haben, sich mit Zeremonien und sonstigen Shows für die Kameras zurückzuhalten. Eine wahre Schmierenkomödie: hier Friedenstauben zum Ablenken und dort dem Gegner unverfroren den Boden unter den Füßen wegziehen.

Es würde der ganz normalen Selbstachtung einer Partei entsprechen, sich unter solchen Bedingungen auf keine (Schein-)Verhandlungen einzulassen. Aber Mahmud Abbas ist dem Druck der USA ausgesetzt und diesem nicht gewachsen. Schon die Aufnahme der sogenannten Friedensgespräche vor etwa drei Wochen erfolgte - gegen die von Abbas früher formulierte Vorbedingung eines vollständigen Siedlungsstopps Israels in den besetzten Gebieten - auf massiven Druck der Obama-Regierung, wie vor wenigen Tagen selbst Israels Außenminister Lieberman herablassend feststellte. Und in diesen Tagen möchten die USA Präsident Abbas erneut zwingen, trotz Beendigung des Baustopps die Verhandlungen mit Israel weiter zu führen. Bisher hat Abbas in den Verhandlungen, wie etwa seine Rede in der UN-Vollversammlung vor wenigen Tagen zeigt, keine Rechte seiner Nation preisgegeben. Israel und die USA spekulieren jedoch offenbar darauf, solche 'Kompromisse' zu erzwingen.

Ein wichtiger Schritt in diese oder jene Richtung wird die Entscheidung zur Fortsetzung der 'Friedensgespräche' in den nächsten Tagen sein. Mahmud Abbas will eine Entscheidung beim nächsten Treffen der Arabischen Liga am kommenden Montag (4.10.) herbeiführen und absichern lassen. Gegenwärtig fordert er offenbar eine Verlängerung des Baustopps israelischer Siedlungen um drei bis vier Monate, gemäß seiner Aussage in der UN-Vollversammlung: "Israel muss wählen zwischen Frieden oder weiterem Siedlungsbau." Sicher eine notwendige Strategie für die palästinensische Nation, sich um die Unterstützung und Rückendeckung des arabischen Umfeldes zu bemühen. Aber dieses Umfeld ist durchaus nicht immer sicher und zuverlässig, wie die Vergangenheit wiederholt gezeigt hat.

Letztlich können nur das 'Vertrauen auf die eigene Kraft' und die Einheit der palästinensischen politischen Führer eine sichere Grundlage für die Rechte Palästinas sein. Die direkten Friedensgespräche zwischen Mahmud Abbas und Ministerpräsident Netanjahu wirken diesbezüglich wie ein Katalysator. Am Samstag der letzten Woche (25.9.) erklärte die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) die Beendigung ihrer Mitarbeit im Exekutivkomitee der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). In einer offiziellen Verlautbarung heißt es dazu u.a.:

"Die PFLP ruft die Massen unseres Volkes, die Fraktionen, politischen Kräfte (…) auf, die breitest-mögliche Volksbewegung aufzubauen, um die Verhandlungen zu stoppen und den katastrophalen Weg der Oslo-Abkommen zu beenden.  ... (Die direkten Verhandlungen) bieten der Besatzung bei ihrer Politik einen Schutz, während der Siedlungsbau weiter geht, Land beschlagnahmt wird, Vertreibungen, Blockaden, Verhaftungen und Morde fort gesetzt werden. Weiters wird unsere palästinensische Position weiter geschwächt, und die verheerende innere palästinensische Spaltung vertieft sich. ... Wir rufen zu einer umfassend berechtigten internationalen Konferenz unter Aufsicht der Vereinten Nationen auf, die sich auf internationale Resolutionen und internationales Recht stützt, um die palästinensischen Rechte umzusetzen und das zionistische Gebilde zu zwingen, die UN-Resolutionen umzusetzen, insbesondere die UN Resolution 194, welche das Recht der Flüchtlinge auf ihre Häuser, aus denen sie vertrieben worden sind, festschreibt, sowie den Abriss der illegalen Siedlungen und die Entfernung der Siedler."

Diese Erklärung weist viele Parallelen auf zu einem ähnlichen Aufruf der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) vom August 2010, wo es z.B. heisst: "Zurückweisung aller direkten oder indirekten Verhandlungen, die die Kolonisierung von Jerusalem und der Westbank nicht vollständig stoppen." Auch in dieser "Neuen politischen Strategie, die den Weg zur Rettung Jerusalems und der besetzten arabischen Territorien ebnet" wird u.a. die stärkere Einbindung der UNO gefordert, der Aufbau und die Förderung einer umfassenden arabischen Front gegen Israel, die Stärkung der PLO und der politischen Einheit der Palästinenser. Zu Letzterem erklärte die DFLP: "Der interne Dialog ist zu erneuern, um die Einheit in der PLO wieder herzustellen, die Parlaments- und Präsidentenwahlen in der Heimat und im Ausland durchzuführen, und ebenso Wahlen des Nationalrates der PLO abzuhalten ..." Damit war der Ende 2009 begonnene und von Ägypten moderierte Versöhnungsdialog zwischen der im Westjordanland herrschenden Fatah und der im Gazastreifen regierenden Hamas gemeint.

Und als wäre dieser Wunsch erhört worden, gaben Vertreter der beiden größten politischen Organisationen der Palästinenser am letzten Samstag in Damaskus (Syrien) bekannt, dass man sich über wichtige Elemente eines Versöhnungsvertrages geeinigt habe. Die Erklärung erfolgte nach einer vierstündigen Beratung der Delegationen beider Seiten unter Leitung von Khaled Mashaal (Exilführer der Hamas) und Azzam Al-Ahmed (Fatah). Es wurden keine Einzelheiten veröffentlicht, aber es ging um eine Regelung der Kontrolle der palästinensischen Sicherheitskräfte und die Termine der oben erwähnten Wahlen. In der Erklärung hieß es, dass die zwei Seiten eine "Verständigung in der Mehrheit der Streitpunkte" erzielt hätten. Hamas-Vertreter Izzat Rashaq kündigte an, dass das nächste Treffen in der ersten Oktoberwoche in Kairo stattfinden solle und dass man beabsichtige, dort das Versöhnungsabkommen zu unterzeichnen.

Die Erfahrungen der Vergangenheit lehren, dass der Weg zu einer echten und gesicherten Einheit der palästinensischen Nation mühsam, voller Hindernisse, Umwege und Verwerfungen ist. Und es sind nicht nur die inneren Kräfte, die dieser Einheit entgegen stehen. Präsident Mahmud Abbas äußerte sich am Rande der UN-Vollversammlung (25.9.) über die Rolle der USA bei den Spannungen zwischen der Hamas und der Fatah laut der arabischen Nachrichtenagentur Quds ungewöhnlich offen: "Die USA verhindern die Versöhnung zwischen der Hamas und der Fatah. Das Weiße Haus stellt sich gegen die Unterzeichnung des Abkommens durch die Fatah in Ägypten. Denn dieses Abkommen wird die Differenzen beenden." Möge Letzteres Wirklichkeit werden.

Text: hth  /  Foto: afps14 (Protest in Bethlehem Mai-2010)