Internationales

02.10.2010: Augenzeugenbericht vom Putschversuch
Am 30. September haben in Ecuador Polizeieinheiten einen Staatsstreich versucht. "Instrumentalisiert von Kräften des Imperialismus und der rechten Opposition, die von Lucio Gutiérrez und der Partido Sociedad Patriótica geführt wird, haben sich Polizeieinheiten gegen die rechtmäßige Regierung von Rafael Correa erhoben", heißt es in einer Solidaritätserklärung der Kommunistischen Partei Paraguays. Im folgenden dokumentieren wir einen Augenzeugenbericht aus Ecuador:

 


Liebe Leute,
hier ein Bericht aus Ecuador, wo ich mich derzeit aufhalte:
In Ecuador werden derzeit verschiedene Gesetzte verabschiedet, die u.a. den öffentlichen Dienst und das Hochschulsystem neu regeln sollen. Aus verschiedener Richtung (sowohl von links als auch von rechts) hat es in den letzten Wochen Kritik an den neuen Gesetzen gegeben. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf einzelne Kritikpunkte im Detail einzugehen. Aber es geht v.a. darum, dass die Angestellten im öffentlichen Dienst bisher sehr viele Priviligien gehabt haben, die nun eingeschränkt werden sollen. Das Gesetz zur Neuregelung des öffentlichen Dienstes ist gestern (29.9.) durch die Asamblea Nacional Ecuadors verabschiedet worden.

Heute morgen (30.9.) hat sich ein landesweiter Polizeiaufstand realisiert. Die Polizei hat in großen Teilen des Landes ihren Dienst eingestellt, und Polizeieinheiten haben den Flughafen besetzt. Präsident Correa hat sich in Quito zu einem Polizeiregiment begeben, um den Dialog zu suchen. Als er den aufgebrachten Polizisten entgegen gerufen hat "Wenn ihr mich töten wollt, tötet mich!", sind ihm von den Polizisten Tränengasgranaten entgegen geworfen worden. Er ist dann von der Polizei in ein Polizeikrankenhaus gebracht und dort behandelt worden.
Anschließend wurde er den ganzen Tag von der Polizei in dem Krankenhaus gegen seinen Willen festgehalten.

Die im Aufstand befindlichen Polizisten haben in einigen Städten Straßen (mit brennenden Reifen!) blockiert. So haben sie z.B. in der Stadt Ibarra für mehrere Stunden eine wichtige Verbindungsbrücke blockiert. Aufgrund der Einstellung der regulären Tätigkeit der Polizei ist es v.a. in Quito, aber auch in anderen Städten dazu gekommen, dass Geschäfte geplündert und Banken angegriffen wurden. Wegen dieser unsicheren Lage sind am Nachmittag im ganzen Land die Schulen und Hochschulen geschlossen worden, viele Geschäfte und Banken haben ebenfalls geschlossen.

Im Laufe des Tages haben immer mehr Organisationen, Politiker,... ihre Unterstützung für Correa erklärt und haben gefordert, dass die Demokratie nicht gefährdet wird. Auch die Armee hat sich auf die Seite der Demokratie und damit auf die Seite des gewählten Präsidenten Correa gestellt. In Quito haben sich viele Tausend Menschen versammelt und haben die Freilassung Correas gefordert. Die OAS hat eine Notsitzung einberufen, viele lateinamerikanische Präsidenten, aber auch die USA und die EU haben ihre Solidarität mit der ecuaodorianischen Regierung signalisiert. Die ecuadorianische Regierung hat am Nachmittag den Notstand ausgerufen.
In weiten Teilen des Landes hat sich gegen Abend die Lage wieder beruhigt. In der Stadt Guyaquil hat die Polizei ihren Dienst wieder aufgenommen, so auch in anderen Städten des Landes. Die Feuerwehr und örtliche Sicherheitseinheiten haben begonnen zu patroullieren, um die öffentliche Sicherheit wiederherzustellen. In Quito hat die Polizei allerdings weiter den Präsidenten festgehalten und hat erneut den Flughafen besetzt. Einzelne Personen, die den Polizeiaufstand unterstützt haben, haben einen öffentlichen Fernsehsender erstürmt. Es ist ihnen aber nicht gelungen, die Ausstrahlung zu unterbinden.

Kurz nach 21 Uhr (Ecuadorianische Ortszeit) haben Armeeeinheiten begonnen, das Polizeikrankenhaus, in dem Präsident Correa festgehalten wurde, zu stürmen. Diese Erstürmung ist live im ecuadorianischen Fernsehen übertragen worden (nicht nur im staatlichen, sondern auch im privaten Fernsehen - parallel auf allen Sendern). Ca. 20 min gab es Gefechte zwischen der Armee und der Polizei, wobei wohl mind. ein Polizist getötet worden ist. Alles live im Fernsehen, die Lage sehr unübersichtlich. Gegen 21.30 Uhr ist es dann der Armee gelungen, in Anwesenheit des Außenministers Rafael Correa aus dem Polizeikrankenhaus zu befreien.

El pueblo unido jamás será vencido

Bereits wenige Minuten nach seiner Befreiung hat Präsident Correa vom Balkon des Präsidentenpalast in Quito eine Rede zu seinen Anhängern (und wiederum live übertragen in allen Fernsehsendern) gehalten. In dieser hat er deutlich gemacht, dass nicht die gesamte Polizei für den Aufstand verantwortlich ist, sondern einzelne Einheiten und dass seiner Meinung nach hinter dem Aufstand der ehemalige Präsident Lucio Guitiérrez steckt (viele Indizien sprechen dafür und es zweifelt hier kaum jemand daran, dass dem so ist).

Zudem hat Präsident Correa erklärt, dass das Gesetz zur Neuregelung des Öffentlichen Dienstes nicht verändert werden wird. Der Polizei hat er vorgeworfen, dass diese das Gesetz nicht einmal gelesen hat. Er schloss seine Rede mit den Worten, dass "Nichts und niemand die Bürgerrevolution stoppen wird. Hasta la victoria siempre!"

Im Anschluss an seine Rede wurde zunächst die ecuadorianische Nationalhymne gespielt und gesungen, und dann das Lied "El pueblo unido". Dabei hat Correa zusammen mit seinen Ministern und vielen Tausend Anhängern auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast dann in den Refrain eingestimmt: "El pueblo unido jamás será vencido."

Soweit einige Informationen und Impressionen aus Ibarra, Ecuador - ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit.
Muchos saludos
M. R. (noch bis zum 4.10. in Ecuador)