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25.07.2016: "Anstatt Schritte zur Demokratisierung zu unternehmen, zielt die AKP darauf ab, ihre dominierende Rolle zu festigen und den Genozid an der kurdischen Bevölkerung zu intensivieren", heißt es in einer Erklärung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zur Situation nach dem gescheiterten Militärputsch. Die PKK tritt für die Bildung eines radikal-demokratischen Blocks ein. Selahattin Demirtas, Co-Vorsitzender der Demokratische Partei der Völker (HDP), bezeichnete in einem Interview (siehe unten) den versuchten Putsch als "Putschversuch von Putschisten gegen Putschisten“ und ruft zu einem verstärkten Kampf für die Demokratie auf.

 

In der Türkei hat eine Armee, die auf eine lange Geschichte "erfolgreicher“ Staatsstreiche zurückblicken kann, einen dilettantischen Versuch unternommen, die Macht an sich zu reißen. Der Putschversuch hat Erdogans Stellung zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Sein Scheitern gibt ihm nun einen Grund in die Hand, um seine eigene Machtposition zu stärken. Tausende Richter, Beamte und Lehrer sind entlassen oder inhaftiert, die Armee wird 'gesäubert', Dekane an den Universitäten ihres Amts enthoben (darunter viele Unterzeichner eines Friedensaufrufs), 10.000 Pässe wurden für ungültig erklärt. Inzwischen hat Erdogan den Ausnahmezustand über das ganze Land verhängt, um noch massiver gegen missliebige Oppositionelle vorgehen zu können. Eine Militärdiktatur wurde abgewendet, aber dafür nutzt Erdogan die Gunst der Stunde, um eine 'zivile' Diktatur zu errichten.

Erdogan will seine Herrschaft festigen, indem er einen Staatsstreich durchführt, sagt Cemil Bayik, Co-Vorsitzender der Union der Gemeinschaften Kurdistans KCK. Erdogan habe mit der Vorbereitung dieses Coups bereits im April 2015 begonnen, als er die Isolierung von Abdullah Öcalan anordnete, meint Cemil Bayik. Die Wahlniederlage im Juni 2015 sei ein weiteres Motiv für Erdogan und die AKP gewesen, einen Staatsstreich vorzubereiten. "Wenn es keine Freiheit, keine Demokratie und Gerechtigkeit gibt, dann wird es immer diese Art von Entwicklungen geben", sagt Bayik und zitiert Öcalan. " Der Mechanismus des Staatsstreichs läuft immer, auch wenn er manchmal etwas langsamer läuft. Schau auf Erdogan, er startete sofort einen Coup, als er seine Macht bedroht sah. Denn genau das ist es, was er gegen das Dolmabahce Abkommen (Anm.: ein 10-Punkte Friedensplan, der am 28. Februar 2015 von der türkischen Regierung und der HDP verkündet worden war) nach den Wahlergebnissen vom 7. Juni und dem 1. November unternahm."

einen radikal-demokratischen Block bilden

Das Exekutivkomitee der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ruft angesichts der Entwicklung in der Türkei zur Bildung eines radikal-demokratischen Blocks auf. Die radikal-demokratischen Kräfte müssten die Türkei demokratisieren, um weitere Staatsstreiche zu verhindern und um die Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu beenden, heißt es in der Erklärung.

Die Gefahr von Staatsstreichen werde so lange bestehen, wie das Land nicht demokratisiert und die kurdische Frage nicht gelöst ist, heißt es weiter. Mit der Abkehr vom Dolmabahce Abkommen nach der Wahlniederlage vom 7.Juni habe die AKP-Regierung eine Allianz mit der ultra-nationalistischen MHP und Kräften des Ergenekon (Anm.: 'tiefer Staat' aus Militärs, Geheimdienst- und Polizeiapparat) gebildet und dem Militär freie Hand zu Bekämpfung der kurdischen Bevölkerung gegeben. Dadurch sei der "Mechanismus des Staatsstreichs" reaktiviert worden, so das Exekutivkomitee der PKK. Die Ausrufung des Ausnahmezustandes richte sich nicht gegen den Staatsstreich, sondern sei ein Mittel, um die Zerstörung kurdischer Städte fortzusetzen, die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung zu verschärfen und die dominante und autoritäre Rolle der AKP-Regierung in der Türkei zu festigen.
"Es besteht die dringende Notwendigkeit, einen Block der radikal-demokratischen Kräfte zu bilden, die das Land demokratisieren, weitere Staatstreiche verhindern und Unterdrückung und Ungerechtigkeit beenden", appelliert die PKK an die demokratischen Kräfte der Türkei. "Wir laden die zivilgesellschaftlichen Organisationen, Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler, die gesellschaftliche Sektoren repräsentieren, ein, Demokratie einzufordern und unverzüglich einen demokratischen Block zu bilden." Dabei könne an die Wahlen vom 7. Juni und die damit verbundenen Hoffnungen auf Demokratisierung angeknüpft werden.


Demirtas : "Putschversuch von Putschisten gegen Putschisten“

Als "Putschversuch von Putschisten gegen Putschisten“ bewertet Selahattin Demirtas, CO-Vorsitzender der Demokratische Partei der Völker (HDP) den versuchten Putsch und fügte hinzu: "Es muss eine klare Haltung gegen beide Lager der Putschbefürworter (die des Militärs und die Erdogans) geben. Der Kampf muss verstärkt werden, da die Lager, die versucht haben die Macht durch militärische Kräfte zu ergreifen, illegal sind." Demirtas erinnert daran, dass Abdullah Öcalan Erdogan während der Friedensgespräche vor den "Putsch-Mechanismen“ gewarnt hat. "Sagt ihm, er hat es nicht verstanden, er verhält sich wie ein Idiot“, habe Öcalan gesagt. "Bei einer Fortführung des Friedensprozesses würde ich ihn unterstützen, sollte dieser jedoch gestoppt werden, würden sich die 'Putsch-Mechanismen' in Gang setzen und mit ihm (Erdogan) würde es das gleiche Ende nehmen, wie mit Mohammed Mursi in Ägypten“.

Die kurdische Befreiungsbewegung habe den versuchten Putsch nicht für ihre Zwecke genutzt, betont Demirtas. Die Guerillaeinheiten hätten Vorteile aus diesem Putsch ziehen und Städte erobern können, aber das hätte den Befürwortern des Putsches nur entgegengespielt, meint er. Die kurdische Bewegung, die keinen Unterschied zwischen den beiden befürwortenden Lagern eines Putsches macht, bleibt bei einer würdevollen Haltung, die auf dem demokratischen Kampf der Menschen fußt. Menschen wie Erdogan besitzen jedoch nicht Fähigkeit, diese würdevolle Haltung zu verstehen.

Der Co-Vorsitzende der HDP ruft zur Solidarität auf, und warnt davor, dass die rassistischen und jihadistischen Gruppen, die nach dem versuchten Putsch auf die Straße gingen, lynchen und massakrieren.



Interview mit Selahattin Demirtas (gekürzt). 

Was in der Türkei stattgefunden hat, bedarf immer noch einer grundlegenden Erklärung. Um was handelte es sich genau bei den Vorfällen in der Türkei?
 
Erst einmal, ist es offensichtlich, dass es einen versuchten Militärputsch gab, als die Armee in einer militärischen Aktion versuchte, durch Bombardierungen auf das Parlamentsgebäudes , die Regierung zu stürzen und die Macht des Parlaments zu ergreifen. Dass dies von der Armee begangen wurde, von den bewaffneten Einheiten, verlangt, dass es offensichtlich als Putschversuch zu verstehen ist.

Die Bedingungen, unter welchen der Putschversuch stattfand, diejenigen, die den Putschversuch auslösten, die Haltung der AKP Regierung, das sind die Punkte, die erklärt werden müssen, da die gegenwärtige Macht die Macht ist, die mittels einer zivilen Coups regiert. Putschversuch der Putschisten gegen Putschisten ... Wenn das nicht genau bestimmt wird, kann das Geschehene nicht erklärt werden. Somit wäre die bezogene Position eine falsche und solch ein Fehler würde der AKP unter einer 'Anti-Staatstreich'-Parole in die Hände spielen/.

Es ist wichtig, gegen beide Lager der Putschisten klar Position zu beziehen und folglich einen Kampf dagegen zu führen. Es ist ein 'ziviler Putsch', die Gesellschaft mittels einer Wahl zu regieren, die in einem Zustand von Krieg, Gewalt, Bombardierung von Städten durchgeführt werden.  Das ist genauso illegal wie die Putschisten, die versucht haben, die Macht mit militärischen Mitteln, mit Panzer und Waffen, an sich zu reißen.

Wir leisten dem AKP Putsch schon seit einem Jahr Widerstand. Die AKP kann nicht freigesprochen werden, nur weil eine Clique innerhalb der Armee gerade versucht hat, die Macht an sich zu reißen. Wir sind prinzipiell gegen den Putsch; wir stehen für unsere Positionen und verlangen die sofortige Beendigung. Es ist wichtig eine Politik zu machen, die nicht darauf abzielt, den Putsch, der auch von der AKP selbst begangen wurde, reinzuwaschen. In unseren Erklärungen orientieren wir auf ein demokratisches Bündnis, das sich gegen beide Lager das Putsches – innerhalb der AKP und innerhalb des Militärs - richtet. Die Alternative ist das demokratische Bündnis, denn die bevorstehenden Ereignisse werden über die Zukunft des Landes entscheiden. Entweder wird die AKP gänzlich untergehen und die demokratischen Kräfte werden die Macht übernehmen oder die AKP wird ihren eigenen, permanenten Putsch vollziehen und dafür den geschehenen Militärputsch als Vorwand nutzen.


Wie konnten die Putschisten daran glauben, dass ihr Putsch hätte funktionieren können? In wen oder was haben sie ihr Vertrauen gesetzt?
 
Das ist unbekannt. Eine Staatsstreich-Clique, die keine politische Unterstützung hat ist wahrscheinlich  die erste in der Welt. Es wird erzählt, dass der Putsch durchgeführt wurde, ohne eine politische Alternative zu haben. Es gibt nur eine Sache, die ich weiß: Es ist auf keinen Fall eine Clique, die sich auf die HDP oder Kräfte, die die HDP repräsentiert, beziehen! Das ist das einzige, worüber wir uns absolut sicher sind. Hatte die Clique aber vielleicht Kontakt zu anderen politischen Kräften oder wurde der Putsch gar von solchen geplant? Das wissen wir nicht. Das könnte sich in den kommenden Wochen und Monaten klären. Bisher gab es in der Türkei immer einige, die die Hoffnung auf Hilfe in einem Putsch sahen. Es gab immer schon eine pro-Putsch Mentalität, die glaubt, dass nur die Armee in der Lage sei, die Demokratie zu festigen. Aber ich weiß nicht, mit wem diese Leute politische Beziehungen führen.


Haben Sie schon einen früheren Putschversuch erwartet? Haben sie Spekulationen darüber mitbekommen oder konnten Sie es vorhersehen?
 
Natürlich ist es schwierig eine solche Vorhersage zu machen, aber in einem Interview in Imrali (Anm.: Gefängnisinsel im Marmarameer auf der Abdullah Öcalan inhaftiert ist) beschrieb Herr Öcalan die 'Putsch Mechanismen' und veranschaulichte diese mit historischen Beispielen. Er hat sehr gut dargestellt, wie die sogenannten 'Putsch-Mechanismen' in der Türkei funktionieren und wie sie in Gang gesetzt werden, wenn der Friedensprozess scheitert. In diesem Zusammenhang hat er Erdogan mehrmals gewarnt. Er sagte: "Sagt ihm, dass er es nicht versteht. Er verhält sich wie ein Idiot“. Er fügt hinzu, dass er ihn (Erdogan) am Leben halten könnte, wenn er den Friedensprozess fortführen würde. "Ist der Prozess einmal vorüber, werden die Putsch-Mechanismen eingreifen und er wird wie Mursi (Anm.: ehem. Regierungschef Ägyptens) enden“.

 

Wie sind die Putsch-Mechanismen nach dem Ende des Friedensprozesses praktisch eingetreten?

Der Krieg gegen die KurdInnen, die Zerstörung Kurdistans, die Anstrengungen der Armee die Initiative wieder zu übernehmen, als Erdogan die Macht an die Armee übergab, sein Vorschlag für eine Allianz mit dem nationalistisch-faschistischen Block, seine Bemühungen, alles zu tun, damit dieser Block den Krieg gegen die KurdInnen gewinnt – das waren die Zeichen für den angelaufenen Staatstreich-Mechanismus.


Hat der Block des türkischen Staats, der als Konsequenz des Kriegs gegen die KurdInnen gebildet wurde, diesen Putsch angeführt?
 
Der Generalstab hat von Erdogan alle Versprechen erhalten, bevor die Kämpfe in den Städten begannen. Das Präsidialsystem sollte aufgegeben werden, vor allem sollte eine Präsidentschaft mit politischen Parteien eingeführt werden, Erdogan würde die Vorstellung aufgeben, die gesamte Staatsmacht bei sich selbst zu konzentrieren. Er würde das Gesetz der Straflosigkeit verabschieden und es gäbe keinen Weg zurück zum Friedensprozess. Solche Versprechungen wurden gemacht. Folglich begann die Armee mit den Kämpfen in den Städten. (..)

Es waren exakt die Putsch-Mechanismen, von denen Öcalan gesprochen hat. Sie haben perfekt funktioniert. Solange Frieden und Übereinkünfte nicht geschlossen werden und keine Allianz mit den Kurden angestrebt wird, löst der Krieg gegen die Kurden diese Putsch Mechanismen aus.

In diesem Fall sollten sie über den versuchten Putsch nicht verwundert sein, oder?
 
Nein, bin ich nicht. Wir haben so etwas erwartet, aber natürlich war es uns unmöglich etwas über den Putsch zu erraten oder vorherzusagen. Jedoch waren wir nicht überrascht, als es geschah, denn es hat sich offensichtlich genähert. Nur, wie es stattfinden sollte, war noch ein Geheimnis. Würde es ein postmoderner Putsch wie am 28. Februar (Anm: Militärputsch am 28. Februar 1997 gegen die Regierung von Necmettin Erbakan) oder würde die Armee den Putsch machen, indem sie Erdogan Schritt für Schritt drängt, so wie die Armee langsam die Kriegsinitiative gewonnen hatte. Bekannt war auch, dass es sich nicht nur um eine Clique innerhalb der Armee handelte. Religiös-militaristische Gruppen, chauvinistische, nationalistische und amerikanische Strukturen haben sich in Cliquen abgesondert. Es lässt sich nicht sagen, dass diese Gruppen zu 100% untereinander und mit Erdogan übereinstimmen. (..)


Hat nach dem Putsch irgendjemand aus der Regierung versucht sie anzurufen oder sie anderweitig zu kontaktieren?
 
Nein niemand. Unsere Kollegen tauschten sich untereinander aus. Die Regierung ließ nichts von sich hören.

 

Was wird als nächstes passieren? Wird es einen Wandel in Bezug auf den Krieg gegen die KurdInnen geben? Wird der Frieden Teil der Tagesordnung werden, oder wird die Politik der Gewalt weiter ansteigen?
 
Das hängt natürlich von Haltung ab, die Erdogan und die AKP einnehmen werden. Tatsächlich gibt es eine Chance. Öcalan spricht schon lange von einer Parallelstruktur innerhalb der Regierung. "Die Putsch-Mentalität war schon immer ein Hindernis für die Lösungsfindung“, warnte er. Wenn diese Putsch-Mentalität wirklich aufgelöst werden würde und wenn wir einen Punkt erreichen würden, an dem zivile Politik und die Lösungswege für das kurdische Problem nicht ständig von Provokationen begleitet werden: wenn Erdogan die Warnungen von Öcalan wirklich ernst nehmen würde, könnte ein gesunder und dauerhafter Prozess in Richtung Frieden geführt werden. Die Schwächung der pro-Putsch-Mentalität und der pro-Putsch-Tradition in Armee, zivilem Leben, Rechtsprechung und Bürokratie ist letztlich zum Vorteil für die Demokratie. Solange es jedoch ein anderes Lager der Putsch-Befürworter, wie die AKP, gegen uns gibt, wird es kein Verständnis für Demokratie geben.
 

Was ist für eine Entwicklung in einer anderen Richtung erforderlich?

Es kann sich als eine Möglichkeit herausstellen, wenn Erdogan und die Kreise um ihn herum so klug sind, das Ausmaß der Gefahr zu überblicken und zu erkennen, dass die Putsch-Mechanismen nicht verschwunden sind und dass die Gefahr eines Putsches so lange existiert wie die kurdische Frage nicht in Frieden gelöst ist und institutionelle Demokratie und freiheitliche Verfassung nicht existieren. Es ist eine sehr kleine Chance, denn die AKP hat diese Möglichkeiten immer genutzt, um ihre eigene Macht zu festigen, und nicht zu Gunsten der Demokratie. (..) Das Ergebnis der Wahl vom 7.Juni 2015 war eine Möglichkeit für Demokratisierung und Versöhnung, aber die AKP wollte dies nicht nutzen. Sie wollte sich wieder stärken, indem sie den Krieg für die nächste Wahl am 1. November instrumentalisierte.

Es besteht die Möglichkeit, nach einem gescheiterten Putsch sich in Richtung einer neuen Demokratie zu bewegen. Jedoch ist die AKP keine Partei, die dazu fähig wäre, und Erdogan ist kein Führer, der dazu in der Lage wäre. Anstatt Erwartungen in die AKP und Erdogan zu setzen, müssen wir das demokratische Lager verbreitern und hartnäckig gegen beide pro-Putsch-Mentalitäten kämpfen. Die Spannungen werden steigen (..)


Zahlreiche Kreise sprechen von einer besorgniserregenden Bewegung in den Straßen, die ihre eigene Lynchjustiz vollzieht.
 
Das stimmt. Dabei handelt es sich um IS-Sympathisanten und pro-IS-Gruppen, einschließlich der HÜDA-PAR, eine islamistische Partei im Norden Kurdistans, der AKP, aller religiösen, reaktionären Gruppen, die durch die Straßen ziehen und ihr Verständnis von Demokratie vorführen. (..) Die, die bis gestern "Märtyrer sind unsterblich, das Heimatland ist vereint“ geschrien haben, foltern und lynchen nun die Soldaten, schneiden ihre Kehlen durch. Diesbezüglich sind diese reaktionären Gruppen die größte Gefahr. (..)


Welche Haltung hat die kurdische Freiheitsbewegung gegen den Putsch eingenommen?
 
Erdogan hat die kurdische Bewegung beschuldigt, zusammen mit den parallelen Strukturen eine Verschwörung gegen ihn zu führen. Damit versucht er die Beendigung des Waffenstillstandes zu rechtfertigen. Der Putschversuch verdeutlicht ganz eindeutig, dass dies nicht der Fall ist.

Die kurdische Bewegung zeigte aber keinerlei Rohheit, während der Putsch im Gange war. Das sollte in die Geschichtsbücher eingehen. Der Krieg geht zwar immer noch weiter, doch in dieser Nacht hat nicht ein einziger Guerilla der kurdischen Bewegung eine Kugel abgefeuert. Die Guerillas haben für keine der beiden Putsch-Lager Partei ergriffen. Die kurdischen Guerillas hätten einen Vorteil aus diesem Putschversuch ziehen und in zahlreiche Städte eindringen können. Aber das hätte den Putschisten nur in die Karten gespielt. Die kurdische Bewegung hat nicht zwischen den beiden Lagern der Putschbefürworter ausgewählt, sondern hat eine ehrenhafte Haltung eingenommen, beharrlich im Kampf der Bevölkerung für Demokratie. Aber Mentalitäten wie Erdogan haben nicht die Fähigkeit, diese ehrenhafte Haltung zu verstehen.

Wir müssen uns auf jeden Fall auf eine schwierige Herausforderung einstellen. Wir müssen uns auf kompliziertere Kämpfe auf allen Ebenen vorbereiten. (..) Nach dem Putsch versucht die AKP wieder einmal alle und jeden einzusperren oder zu entlassen, den sie als Bedrohung ansehen. In Erdogans Welt gibt es keinen Platz für Gerechtigkeit oder Gleichheit. Jetzt werden alle oppositionellen Sektoren aus Armee und Justiz gesäubert. Dies erfordert Wachsamkeit. Natürlich sollen Putschisten vor Gericht gestellt werden. Aber unter dem Deckmantel der Anti-Putsch-Operationen werden oppositionelle Sektoren unterdrückt, Fernsehkanäle und neue Medien geschlossen. All dies erfordert Wachsamkeit. Wir werden bei ungerechter Politik nicht still sein. Und natürlich ist es unabdingbar die Leute in der Zwischenzeit zu organisieren.


Aber wie? In der kurdischen Gesellschaft und in der demokratischen Bewegung gibt es Konfusion. Kurz gesagt, was kann getan werden, um sich in den Prozess miteinzumischen?
 
Der Putschversuch ist erst vor kurzem geschehen und er ist immer noch nicht vollständig unter Kontrolle. Es werden immer noch fehlende Hubschrauber und Militäroffiziere gesucht, deren Aufenthalt unbekannt ist. Diesbezüglich sind Erdogan und seine Mitstreiter immer noch nervös. Offensichtlich ist der Putschversuch noch nicht völlig niedergeschlagen worden. Der systematische und große Teil des Putsches ist beendet, aber es existieren noch lokale Herde. Die Gesellschaft ist gegen die Putschisten, aber Straßen werden von den AKP-Horden gemeinsam mit Jihadisten, IS-Mitgliedern mit reaktionären Demonstrationen beherrscht, so dass die breite Gesellschaft ihre Anti-Putsch-Haltung nicht auf den Straßen und Plätzen demonstrieren kann. Nur der von der AKP organisierte Mob überschwemmt die Plätze.

Natürlich wird es in den kommenden Tagen mehr Klarheit geben. Wir dürfen die breite Masse jedoch nicht in die Hände dieses reaktionären Mobs geraten lassen. Wir müssen öffentliche Plätze mit der Losung "weder der AKP Putsch, noch der des Militärs“, "es gibt keine andere Lösung, als die Demokratie“, besetzen. Wir müssen gegen putschistischen Lager auf die Straße gehen. Falls die AKP versucht den Protest auf den Straßen zu unterdrücken, müssen wir auf die Straße gehen und jeder sollte die AKP an die Legitimität des Protests auf der Straße erinnern.

Lynchjustiz auf den Straßen gehört schon zur Gewohnheit. Privatpersonen werden abgeschlachtet. Doch über diese Menschen verliert Erdogan kein Wort. Bitte erinnert euch daran, als wir die Menschen für den Widerstand in Kobane auf die Straße riefen haben wir nicht zur Gewalt aufgerufen und doch wurden 48 HDP Mitglieder von insgesamt 55 Menschen ermordet. Sogar dafür versuchte uns die AKP verantwortlich zu machen. Heute lynchen sie Menschen vor laufender Kamera, sie ermorden junge, unschuldige Wehrpflichtige, die Kraft des Gesetzes zur militärischen Pflicht einberufen wurden, während der Premierminister von einem "Fest der Demokratie“ spricht und der Präsident der Republik es als "Demonstrationsrecht“ auslegt. Die Menschen müssen sich vor ihnen in acht nehmen. Sollten diese Gruppen die Herrschaft im Land erhalten, wird es die größte Befriedigung für sie sein, jeden zu ermorden. Sie wollen mit dieser Mentalität regieren und wir müssen die Straße übernehmen, um sie zu stoppen.


Also fürchten sie eine Bedrohung durch Lynchjustiz und Massaker?
 
Die AKP könnte diese Massen, diese Gruppen lenken, um bestimmte Nachbarschaften zu attackieren. Jeder muss vorsichtig sein. Kurdische Nachbarschaften, alevitische Nachbarschaften und Linke können zum Ziel werden. Jeder hat das Recht, sich vor solchen Attacken zu schützen. Im Falle einer solchen Situation, wird eine Kraft des legitimen Widerstands benötigt, die eingreift, unabhängig davon, wer angegriffen wird.

Wir gehen durch kritische und schwere Zeiten. Der Putsch ist noch nicht vorüber. Andere Gruppen könnten sich auch auf einen Putsch vorbereiten. Die AKP missbraucht diese sozialen Empfindungen, provoziert sie, mit dem ständigen Versuch, unseren Anti-Putsch-Kurs für ihre Zwecke zu missbrauchen. Das wiederum könnte weitere soziale Bewegungen auslösen. Wir haben keine andere Wahl, als gut organisiert und vorsichtig zu sein, bereit für alles.

Quelle: https://hdpenglish.wordpress.com/2016/07/19/and-then-he-would-end-up-just-like-morsi-ocalan-had-said/ , 19.7.2016

txt: lm, mvb
Übersetzung des Interviews: Max van Beveren


 

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