Im Interview

mainz demo 040313 vm 0597 25014.03.2013: Seit dem 4. März ist für die rheinlandpfälzische Landesregierung (SPD und Grüne), aber auch für die CDU nichts mehr in Ordnung. Die Gewerkschaften der Landesbeschäftigten, GEW, GdP und ver.di hatten zum Warnstreik und zur Demonstration aufgerufen. Gemeinsam mit verschiedenen Verbänden im Beamtenbund brachten sie fast 4 000 Beschäftigte auf die Straße. Der große Aufreger in Politik und Medien schon Tage zuvor: Die GEW rief auch die beamteten Lehrer zum Streik auf. Die UZ sprach darüber mit Ernst Eggers, Vorsitzender der GEW im Kreis Bad Kreuznach.

UZ: Kollege Eggers, wie war denn die Reaktion auf Euren Aufruf?

Ernst Eggers: Für unsere Kolleginnen und Kollegen in Hessen und anderen Bundesländern ist der Beamtenstreik nichts Neues, aber für uns war es eine Premiere. Die vorherrschende Meinung ist, dass Beamte nicht streiken dürfen. Dabei steht nirgendwo im Grundgesetz, dass der Artikel 9 für Beamtinnen und Beamte nicht gelte, es seien lediglich „hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtums“ zu beachten. Schön, warum sollten wir Grundsätze aus dem Kaiserreich nehmen und nicht Grundsätze aus der Weimarer Republik; in der Weimarer Republik gab es kein grundsätzliches Streikverbot für Beamte. Jedenfalls ließen sich viele Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen Tagen nicht beirren, ungefähr 800 streikten und waren in Mainz mit vor der Staatskanzlei. Beschäftigtenrechte, auch das Streikrecht, kamen noch nie von selbst, sondern ihre gesetzliche Verankerung musste erkämpft werden.

UZ: Seitens der Landesregierung wurde von Verletzung der Dienstpflichten gesprochen und von Konsequenzen. Wie real sind solche Drohungen?

 

Ernst Eggers: Nach Artikel 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist das Streikrecht ein Menschenrecht. Das bestätigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte immer wieder; allenfalls Bereiche wie innere und äußere Sicherheit müssen nach Meinung der Richter Beschränkungen hinnehmen. Die damals alleine regierende SPD in Rheinland-Pfalz sah darin leider keinen Anlass, bei der Novellierung des Landesbeamtengesetzes im Jahre 2010 das Streikverbot für Beamte aufzuheben. Damit hätte sich die SPD in den Augen der ArbeitnehmerInnen sehr positiv von CDU/ FDP-Positionen abgehoben und ihre Bekundung greifbarer gemacht, in der Tradition der Arbeiterbewegung zu stehen. Obendrein hätte die Rechtsprechung Orientierung und würde von den Leuten nicht als Eiertanz empfunden zwischen dem europäischen Recht und dem Beamtenrecht mit disziplinarischer Bestrafung Streikender. Nach dem geltenden Recht wird die Besoldung per Parlamentsbeschluss festgelegt, die Gewerkschaften müssen nur „gehört“ werden. Wir wollen aber einen höheren Status, auch das ist ein Ziel bei der Forderung nach Streikrecht. Mein Wunsch ist, dass die neue Ministerpräsidentin Malu Dreyer in ihrer Partei als politischen Maßstab verankert, bestehende gewerkschaftliche und Arbeitnehmerrechte nicht nur zu erhalten, sondern im Sinne der ArbeitnehmerInnen auch auszuweiten.

UZ: In Kommentaren der regionalen Zeitungen wurde davon geschrieben, dass die Lehrerinnen und Lehrer hoheitliche Aufgaben hätten und deshalb nicht streiken dürften.

Ernst Eggers: Von einer Hoheit des Staates im Bildungssektor kann heute überhaupt nicht mehr die Rede sein. Im Jahre 1995 unterschrieben mehr als 150 Staaten, darunter auch die Bundesrepublik, das GATS Abkommen zur Privatisierung des Dienstleistungssektors. Zeitgleich wurde auf EU-Ebene die Privatisierung des Bildungssektors eingeläutet. Seitdem steigt die Zahl von privaten Bildungseinrichtungen, und Stiftungen verstärken ihr Engagement im Bildungssektor. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. In privaten Schulen unterrichten Kolleginnen und Kollegen als Angestellte, und der Staat stellt vermehrt Lehrkräfte im Angestelltenverhältnis ein, nicht verbeamtet, oft nur befristet in Teilzeit; diese Kolleginnen und Kollegen haben Streikrecht. Die Forderung nach Streikrecht für beamtete Lehrerinnen und Lehrer ist demnach eine Anpassung an die derzeitige Entwicklung des Bildungssektors.

UZ: In den Medien und an manchem Stammtisch wird das Bild gepflegt vom Lehrer, der viel verdient, mittags frei und drei Monate Urlaub hat. Er werde „amtsangemessen alimentiert“, wie das im Behördendeutsch heißt, und brauche deshalb keine Gehaltserhöhung.

Ernst Eggers: Dieses Bild ist typisch für unsere vom industriellen Denken geprägte Gesellschaft. Niemand zieht in Zweifel, dass die Aufrechterhaltung komplexer Produktionsprozesse relevant ist und angemessen vergütet wird. Dass die Erziehung und die Sorge um den Erwerb von Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen als zukünftige ArbeitnehmerInnen mindestens ebenso komplex und relevant ist, wird nicht wahrgenommen. Und die Zeiten einer angemessenen Vergütung sind längst vorbei, denn seit vielen Jahren wird bei den beamteten Lehrkräften gekürzt: Das 13. Monatsgehalt und das Urlaubsgeld sind längst vom Tisch; der staatliche Zuschuss für ärztliche Behandlungskosten als Ersatz für den Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung (Beihilfe) wird erst gewährt, wenn die Jahreskosten 300 Euro übersteigen. Schon vor Jahren wurde in Rheinland- Pfalz die Arbeitszeit der Lehrkräfte hochgesetzt – und dementsprechend Stellen gestrichen. Jetzt steht den Landesbeamten fünf Jahre lang jährlich ein Prozent Besoldungserhöhung ins Haus, das reicht nicht einmal als Inflationsausgleich.

UZ: Man wirft der GEW vor, mit ihren Streikaufrufen für Beamte den Beamtenstatus der Lehrkräfte insgesamt in Frage zu stellen. Solche Unkenrufe kommen nicht nur von konservativen Politikern, sondern auch vom Beamtenbund.

Ernst Eggers: Ich setze sogar noch eins drauf: Es gibt Leute, welche die Grundfesten des Staates erschüttert sehen, wenn Beamte Streikrecht haben. Nun, die Weimarer Republik hat gezeigt, dass Streikrecht und Beamtentum sehr wohl vereinbar sind, und sie ist nicht an Beamtenstreiks kaputt gegangen. Der Dienstherr hätte auch bei Beamten mit gewerkschaftlichen Verhandlungs- und Arbeitskampfrechten nicht wenige Vorteile, und Tarifpartner agieren nicht im gesetzlosen Raum. Die Kritik durch Beamtenbundsfunktionäre an unserem Streikaufruf verwundert viele, nicht nur GEW-Mitglieder. Die am Montag mit uns streikenden und im Beamtenbund organisierten Kommunalangestellten, Straßenwärter und andere haben jedenfalls die Beteiligung unserer beamteten Mitglieder am Streik und der Demonstration für unsere gemeinsamen Ziele begrüßt. Die ganzen Jahre haben staatliche Angestellte für Verbesserungen gestreikt, und die Beamten haben ohne eigenen Beitrag den Nutzen daraus gezogen. Jetzt, wo die Beamten im Arbeitskampf den Schulterschluss mit den Angestellten praktizieren, hat der Beamtenbund was dagegen – lächerlich.

UZ: Wie geht es jetzt bei Eurer Tarifrunde weiter?

Ernst Eggers: Wir hoffen, dass die staatlichen Verhandlungspartner die Signale nicht nur aus Mainz, sondern aus vielen Städten in ganz Deutschland gehört haben und am 7. und 8. März ein tragbares Angebot auf den Tisch legen. Arbeiter, Angestellte oder Beamte sind nicht länger bereit, die Folgen für eine verfehlte Steuerpolitik, für Schuldenbremsen und Fiskalpakte usw. zu bezahlen. Wir gewährleisten einen öffentlichen Dienst mit Leistungen zum Wohle der Allgemeinheit, ironischerweise sogar zum Wohle gut betuchter Nutznießer von großen Steuergeschenken. Ich erinnere an unser Motto: Wir sind mehr wert. Wenn das die staatlichen Verhandlungspartner überhören, kommen wir wieder, Arbeiter, Angestellte und Beamte gemeinsam.

UZ: Kollege Eggers, wir danken Dir für das Gespräch.

Das Gespräch für die UZ führte Volker Metzroth noch vor der dritten Verhandlungsrunde und dem Abschluss.

(Aus der UZ vom 15.03.2013)