Im Interview

14.08.2014: Volker Metzroth 08 14 swInterview mit Volker Metzroth zur Arbeitszeitverkürzung

Frage: Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Forderung nach einer radikalen Verkürzung der Wochenarbeitszeit in den Gewerkschaften derzeit bestenfalls eine untergeordnete Rolle spielt. Entspricht das auch deiner Wahrnehmung?

Volker Metzroth: Nach der Niederlage im Kampf um die 35-Stunden-Woche in der Ostdeutschen Metallindustrie war es lange Zeit wirklich so. Aber die Diskussion hat längst wieder begonnen. Anträge dazu beim ver.di- Bundeskongress 2011 forderten neue diesbezügliche Initiativen. Seither befasst sich u. a. eine Arbeitsgruppe beim Bundesvorstand mit dem Thema, in der VertreterInnen der Antragsstellenden mitarbeiten.

Beim DGB-Bundeskongress war sie wieder ein Thema. Anträge aus Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen verlangten entsprechende Aktivitäten der Gewerkschaften. Die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich tauchte aber noch nicht auf. Sie wird derzeit z. B. in Anträgen bei ver.di-Konferenzen erhoben.

Der DGB-Bundeskongress verlangte im Leitantrag „Für eine Neue Ordnung der Arbeit“ u. a. Maßnahmen gegen die Entgrenzung von Arbeits- und Freizeit, benannte Zusammenhänge von Arbeitszeitregelungen und Gesundheitsschutz und forderte die Einschränkung der Ausnahmeregelungen im Arbeitszeitgesetz. Das ist ein Katalog sinnvoller Anregungen für die betriebliche und gewerkschaftspolitische Arbeit, wo doch die reale Arbeitszeit Vollzeitbeschäftigter trotz tariflicher Arbeitszeiten von 35 bis 38,5 mittlerweile fast 42 Stunden beträgt. Es kommt hinzu, dass zusätzliches Arbeiten via Internet im Urlaub, am freien Wochenende, nicht registrierte Überstunden und ständige Erreichbarkeit nicht nur Familien- und gesellschaftliches Leben zerrütten, sondern auch die Gesundheit von Millionen abhängig Beschäftigten.

Dass mancher sagt: „30 Stunden? Ich wäre schon zufrieden, wenn es nur 40 wären!“ ist nachvollziehbar. Der richtige Ansatz, an den konkreten Problemen anzuknüpfen, rechtfertigt m. E. aber nicht den Verzicht darauf, ein konkretes Ziel wie die „30“ zu benennen.

Frage: Wo siehst du die Widerstände in den eigenen Reihen gegen Arbeitszeitverkürzungen? Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die sich mit dem Thema schwer tun?

Volker Metzroth: Das ist m. E. kein „Oben-Unten-Problem“. Ich erlebte jüngst bei einer Fachbereichsmitgliederversammlung, dass es nicht die Hauptamtlichen und die Freigestellten waren, sondern aktive Ehrenamtliche, die ihre Zweifel bezüglich der 30-Stunden-Woche formulierten. Das ging von der falschen Wahrnehmung aus, dass infolge früherer Arbeitszeitverkürzungen die Arbeitsdichte erhöht worden sei, bis hin zum Fachkräftemangel im Pflegebereich. Ich hatte selbst mal die 34-Stunden-Woche, musste aber nach einer Ausgliederung wie Zehntausende andere Betroffene trotz erheblichen Widerstands eine Erhöhung auf 38 ohne Lohnausgleich schlucken. Die „Lehre“ der meisten Kolleginnen und Kollegen daraus war nicht etwa die, dass im Kapitalismus kein einmal errungener Erfolg sicher ist und wir deshalb über Alternativen nachdenken müssen, sondern dass Arbeitszeitverkürzungen nichts brächten.

Dabei hat das die Praxis nicht nur bei VW (28,8-Stunden-Modell in der 90er Jahren) widerlegt. Die massenhafte Kurzarbeit in den Jahren 2009 und 2010 war doch nichts anderes als Arbeitszeitverkürzung zur Sicherung von Arbeitsplätzen. „Geht doch“, möchte ich da sagen. Ihr Fehler war, dass sie im Wesentlichen nicht zulasten der Profite, sondern durch Steuer- und Beitragsgelder sowie Lohnverzicht finanziert wurde.

1975 betrug der Anteil der Löhne am Volkseinkommen 75 Prozent, derzeit nur noch knapp über 60%. Hierin liegt auch die Antwort auf die von vielen Gewerkschaftsmitgliedern gestellte Frage nach der Finanzierbarkeit. Auch heute müsste kein Kapitalist betteln gehen, wenn diese Umverteilung von unten nach oben durch Arbeitszeitverkürzungen mit Lohn- und Personalausgleich rückgängig gemacht würden. Die „30“ ist zumindest rechnerisch kein zu ambitioniertes Ziel, liegt doch die durchschnittliche Arbeitszeit bei 27,7 Stunden. Nur eben halt für die einen bei über 50 und die anderen bei Null.

Eine weitere Erfahrung ist, dass nicht wenige vor allem ältere Beschäftigte ihre Arbeitszeit individuell reduzieren, so dass sie z.B. nur noch vier Tage in der Woche arbeiten müssen. All jene, die ich kenne, reden davon, wie gut das ihrer Gesundheit täte. Aber das kann sich nur ein kleiner Teil der Kolleginnen und Kollegen leisten, für Mindest- und Niedriglöhner ist das kein gangbarer Weg.

Frage: Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung ist rechnerisch richtig und logisch. Damit allein setzt sie sich aber nicht durch. Was ist zu tun?

Volker Metzroth: Es gilt, alle Möglichkeiten zu nutzen, in Betrieben und Gewerkschaften die Frage zu diskutieren. Den großen Kämpfen um die 35-Stunden-Woche der 80er Jahre ging eine langjährige Diskussion nicht nur in den Gewerkschaften voraus. Während der Streiks der IG Metall und der Gewerkschaft Medien gab es vielfältige Solidaritätsaktionen, natürlich auch von der DKP. Das war auch bitter nötig und wird es auch künftig sein; denn das Unternehmerlager wird jeder Regung in Richtung Arbeitszeitverkürzung mit massiven Propagandakampagnen entgegentreten. So wie Kohl damals die 35-Stunden-Woche „dumm und töricht“ nannte, würden auch Merkel und Co. tönen.

Es ist deshalb gut, dass es Unterstützung von außerhalb der Gewerkschaften für die „30“ gibt, von attac bis zur Katholischen Arbeitnehmerbewegung. Nicht zuletzt sei auch unsere Partei genannt, die die Arbeitszeitfrage als zentralen Bestandteil ihrer Arbeit benannt hat. Auch die Partei „Die Linke“ fordert die „30“. Mit Tarifpolitik alleine, ohne den politischen Kampf um entsprechende Gesetze, wird ein neues Normalarbeitsverhältnis flächendeckend kaum durchsetzbar sein.

Für die Gewerkschaften stellt sich hier aber auch eine existenzielle Frage. Wenn sie als Gegenmacht, als kämpferische Interessenvertretung der Arbeitenden weiter bestehen wollen, dann müssen sie um die Verteilung der Arbeitszeit auf alle, die arbeiten wollen, kämpfen und hierfür Verbündete suchen. Wenn in der Automobilindustrie 2020 mit der Hälfte der Belegschaft die gleiche Anzahl Fahrzeuge produziert werden wird wie heute, lässt das erkennen, welche Sprünge in der Produktivkraftentwicklung auf uns nicht nur in dieser Schlüsselindustrie zukommen. Doppelt so viele Autos zu bauen kann die Lösung wohl nicht sein. Erwerbslosenzahlen von 30 Prozent und mehr würden nicht nur fast alles bisher Erkämpfte in Frage stellen, sondern auch rechten und faschistischen Kräften den Weg ebnen. Arbeitszeitverkürzung ist auch eine Überlebensfrage für die bürgerliche Demokratie und für jeden gesellschaftlichen Fortschritt.

Dieser Artikel erscheint auch in der UZ vom 15.08.14

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