Der Kommentar

27.07.2011: Es geht nicht darum einen weiteren ferndiagnostischen Schnellschuss zu landen und dem von echten und selbsternannten „Experten“ nachzueifern, die schon feste Erklärungen bei der Hand haben, mit denen sie den antikommunistischen und antiislamischen Massenmörder von Norwegen im Hauruck-Verfahren zum schwerstgestörten Psychopathen erklären.

Alles Mögliche kann zu „psychologischen“ Deutungen herangezogen werden: sein Einzelgängertum könnte auf „frühkindliche Störungen“, seine kaltblütige, selbstherrliche Arroganz als „Narzissmus“, seine Freudenschreie, die er beim Erschießen der Jugendlichen ausgestoßen haben soll, auf eine unglaubliche Bestialität, Amoralität, Asozialität und allerschwerste „Persönlichkeitsstörung, kombiniert mit einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis“ interpretiert werden und dergleichen mehr.

Sein krasses Omnipotenzgefühl, das ihn dazu geführt hat, am 11. Juni – laut „Süddeutscher Zeitung“ – von „Gott“ nicht nur einen „Rat“ sondern „Gefolgschaft“ zu fordern, mag auf den ersten Blick Irre-Sein nahe legen, wenn er laut Tagebuch schrieb: „Ich habe Gott erklärt, dass er dafür sorgen muss (!!), dass die Krieger, die für den Erhalt des europäischen Christentums kämpfen, obsiegen müssen. Es sei denn, er wünscht, dass die Marxistisch-Islamische Allianz ... das Europäische Christentum vernichtet. Er muss (!!) sicherstellen, dass ich Erfolg habe mit meiner Mission, und dazu beitragen, Tausende andere revolutionäre Konservative / Nationalisten, Antikommunisten und Antiislamisten in der europäischen Welt zu inspirieren.“

Doch zu sehr passt alles nahtlos politisch zusammen. Deshalb überlassen wir besser das Thema „Psychopath“ den bevorstehenden psychiatrischen Untersuchungen und halten wir uns an die klaren eigenen Aussagen des Täters.

In seiner 1500 (!!) Seiten langen Erklärung „2083 Eine Europäische Erklärung der Unabhängigkeit“ erklärte Anders Behring Breivik, ehemaliges (?) langjähriges Mitglied (offiziell von 1999 - 2006) der „rechten“ norwegischen Fortschrittspartei mit zweijähriger verantwortlicher Funktion in deren Jugendverband, sein in sich logisches und stimmiges Motiv.

Er erklärt Kommunisten, Marxisten und Linken, den „Multikultis, Gutmenschen“ und Einwanderern den Krieg und ruft zu einem neuen Kreuzzug auf: gegen Kommunisten, gegen Islamisten, gegen alle, die nicht so „norwegisch“ aussehen wie er selbst und die nicht so denken wie er. Das im Internet anzusehende Video spricht für eine klare, gut strukturierte und professionell auf- und vorbereitete Aktion – ein Dummkopf und Medienlaie und Wirrkopf spricht hier nicht. Alles ist präzise und klar.

Der so gut und rational vorgehende Massenmörder – an dessen Einzelgängertum ich bei der umfangreichen und vieljährigen Vorbereitung und der hohen Professionalität absolut nicht glaube, hatte sich mit erschreckender Logik vorgenommen, die Nachwuchselite der norwegischen „Marxisten und Kommunisten“ zu liquidieren.

Genau so „rational“ und in sich stimmig war der Kommissarbefehl Hitlers vor dem Angriff auf die Sowjetunion. Die „politische Elite innerhalb des feindlichen Heeres“, der Roten Armee, musste und sollte sofort und gnadenlos liquidiert werden. Ohne Urteil, ohne Prozess, sofort bei Gefangennahme, ohne zu zögern und ohne Ausnahme.

Nicht anders die Vorgehensweise von Breivik. Eine in sich stimmige brutale Konsequenz, die er mit aller Raffinesse und Kaltschnäuzigkeit realisierte.

Ein Psychopath?

Nein, ein bis zum bitteren Ende „konsequenter“ Anti-Kommunist.

Und – er ist nur die Spitze eines Eisberges.

Dr. Hans-Peter Brenner (Diplompsychologe und Psychotherapeut)
(Vorabdruck aus der UZ vom 29.07.2011)