Der Kommentar

dkp pt20 ellen weber 233416.04.2014: Das Jahr 2014 ist noch jung und dennoch wurde in den wenigen Monaten seit Jahresbeginn mehr über Krieg und Kriegsgefahr gesprochen, geschrieben, gesendet als in vielen Jahren vorher zusammen. Altkanzler Helmut Schmidt wurde von der Wochenzeitung 'Die Zeit' gefragt, ob "angesichts der Ereignisse auf der Krim eine militärische Auseinandersetzung möglich" sei. Er antwortete trocken: "Denkbar ist das, notwendig ist es auf keinen Fall. Und zwangsläufig ist es erst recht nicht." Dennoch – die herrschenden Kreise der NATO, der europäischen Regierungen, die USA, prominente Vertreter der Bundesregierung arbeiten ausdauernd an dem Wort: Denkbar. Krieg ist wieder denkbar.

Zunächst ein paar Schlaglichter:

  • Die Nato verschärft den Kurs gegenüber Moskau und prüft eine deutlich Verstärkung der militärischen Präsenz in den östlichen Mitgliedsstaaten.
  • Deutschland stellt Jagdflugzeuge für die Sicherung des Luftraums im Baltikum zur Verfügung.
  • Bundespräsident Gauck fordert  auf der Münchener Sicherheitskonferenz das Ende der "Kultur der Zurückhaltung" bei Militäreinsätzen.
  • Von der Leyen fordert Nato-Präsenz an den Außengrenzen.
  • Der polnische Außenminister fordert die dauerhafte Stationierung von NATO-Soldaten in Polen.
  • Und schließlich hört man von Juliya Timoschenko aus der Ukraine: "Heute träumt jeder Ukrainer davon, das Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen".

Man müsste letztgenannte Sätze nicht ernst nehmen, stammten sie nicht von einer Frau, die sich als Präsidentschaftskandidatin in der Ukraine bewirbt und enge Kontakte zur der heutigen provisorischen ukrainischen Regierung unterhält. In dieser Regierung sind zum Beispiel vier Minister ausgewiesene bekennende Faschisten.

Präsident Obama, die Regierenden in Europa, die Bundregierung – sie alle enttarnen den gefährlichen Prozess in der Ukraine nicht nur nicht – sie feiern und unterstützen die Oligarchen und Milliardäre als Freiheitskämpfer und nutzen die soziale Not der Bevölkerung der Ukraine aus, um den Ruf zu befördern, das Land – die Ukraine – wolle nichts weiter als Mitglied der EU und Mitglied der NATO werden, so wie Polen – das laut Aussage seines Außenministers auch NATO-Soldaten in Polen stationieren möchte.

Die Regierungsvertreter der westlichen Welt tragen diese Wünsche vor sich her und verstecken damit ihre eigenen Absichten. Obama, Merkel und andere haben eigene strategische Pläne. Es geht ihnen um geostrategische Einflusszonen, um den Zugang zu Erdöl und anderen fundamentalen Rohstoffen. Es geht ihnen auch um die deutliche Schwächung des ebenfalls kapitalistischen russischen Konkurrenten.

Im 19. Jahrhundert wurde dieser Kampf um die Neuaufteilung der Einflusszonen mit zwei Weltkriegen ausgetragen. Millionen Menschen fanden den Tod. Der zweite Weltkrieg endete 1945 mit der Befreiung Deutschlands und Europas vom Faschismus und Krieg, das waren unsere, tief ins Bewusstsein eingegrabenen Werte. Von dieser Warte aus müssen heutige Konflikte, wie die der Ukraine, beurteilt werden. Krim und Ukraine haben eine lange Vorgeschichte.

Eine Vorgeschichte wie die bekannten Konflikte in Syrien, Afghanistan, Irak und um den arabischen Frühling. Auch sie wurzeln in der Kolonial- und Kriegsgeschichte der imperialistischen Länder des vorigen Jahrhunderts. Auch sie haben zu tun mit dem bis heute nicht beendeten Kampf um die Neuaufteilung der Welt nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Welt 1989/90.

Wie kurzsichtig sind – angesichts der Dimensionen der Konflikte und deren Geschichte – die psychologischen Debatten über: Putin den Machtmenschen, über Putins Hunde, über Putins Charakter, Putins Aussehen (nach dem Motto: wie der schon guckt!). Wir erleben, wie uns eine wohlgeleitete 'Bewusstseinsindustrie' Urteile und Meinungen andient, die einer politischen oder historischen Betrachtung der Konflikte nicht standhalten.

Ein gravierendes Beispiel der jüngeren Vergangenheit möchte ich in unsere Erinnerung rufen: Als die USA 2003 den Irak-Krieg vorbereiteten, waren im Vorfeld des militärischen Angriffs die "Massenvernichtungswaffen des Iraks" das Argument, mit dem der halben Welt die Angst vor einem mit Atomwaffen geführten Krieg durch Saddam Hussein beigebracht wurde. "Dagegen müssen die USA handeln, um die Welt zu retten", so klang die sorgfältig präparierte öffentliche Meinung in den Monaten vor dem Irak-Krieg.

Heute wissen wir, der Irak-Krieg begann mit einer fundamentalen Lüge. Es ging den imperialistischen Regierungen um den Ölreichtum des Landes. Massenvernichtungswaffen hatte der Irak nicht.

Durch den Irak-Krieg entstand nichts als Zerstörung und Tod. Keine politische Frage konnte gelöst werden. Alle Konflikte verschärften sich So ist es jetzt in Afghanistan. Nichts ist gut dort. Und in Syrien? Und was ist diesem wunderbaren arabischen Frühling? Im Vorfeld all dieser Ereignisse mischte die schon genannte 'Bewusstseinsindustrie' das Denken der Menschen auf. Wir bauten Schulen und Brunnen in Afghanistan. Wir befreiten Frauen. Die deutschen Soldaten waren eher technisches Hilfswerk als Krieger. Damals schrieb 'Der Spiegel': "Die Deutschen müssen das Töten lernen". Heute sagt Joachim Gauck "es gälte, die Kultur der Zurückhaltung aufzugeben" und endlich wieder militärische Präsenz zu zeigen.

Das findet in einer Zeit statt und gegenüber einem Land, das im vorigen Jahrhundert von Hitler überfallen wurde und 20 Millionen seiner Bürger auf den Schlachtfeldern des barbarischen zweiten Weltkrieges verlor, um – wie schon gesagt – Europa und auch unser Land, im Bunde mit den Alliierten, vom Faschismus zu befreien.

Nie wieder Faschismus nie wieder Krieg, das sicherten wir mit dem Schwur von Buchenwald unseren Nachbarn zu. Von deutschem Boden sollte nie wieder Krieg aus gehen. Der Schwur von Buchenwald wurde Staatsdoktrin – in der DDR – in einem Land also, an dessen fortlaufender ewiger Zerstörung die uns bekannte 'Bewusstseinsindustrie' mit überbordendem Eifer Tag und Nacht arbeitet.

Russland ist heute ein kapitalistisches Land. Die DDR gibt es nicht mehr. Ob und welche Auswirkungen das für die Frage von Krieg und Frieden in Europa hat, das ist ein neues anderes Thema, das zu untersuchen wäre. Eines aber kann man sagen: Wer immer heute mit Säbelrasseln, Raketen und Drohnen, mit NATO-Soldaten und Panzern an Russlands Grenzen rückt, wer die Nato vor russische Haustüren stellt, wer die "Kultur der Zurückhaltung" zur Unkultur der militärischen Einmischung wandelt, zündelt mit Krieg.

Wer bei der Auflösung der Warschauer Vertrages das Versprechen gegenüber Russland äußerte – dass es keine Osterweiterung der Nato geben wird – wer dieses Versprechen nicht einhält, bricht mit dem wichtigsten Selbstverständnis der europäischen Sicherheit.

Ich weiß, heute diskutiert die offizielle Politik die Frage, ob es denn einen Vertrag mit diesem Versprechen an Russland überhaupt gibt und ob das Versprechen somit überhaupt "gerichtsfest" sei. Wenn es nicht "gerichtsfest" sein sollte, müsste man es jetzt "gerichtsfest" machen. Wir alle brauchen Verständigung und Verhandlungen, Frieden und Abrüstung und keine NATO-Osterweiterung mit allen unverantwortlichen Folgen.

Text: Ellen Weber    /    Foto: mami