08.12.2016: Der IWF und Schäuble verlangen von Griechenland weitere Kürzungen. Bisher lehnt die Regierung in Athen dies ab. Die Dachgewerkschaften für den privaten und den öffentlichen Sektor haben für heute gegen die Austeritätspolitik und die von den Gläubigern neuerlich verlangten Kürzungen zu einem 24-stündigen Streik aufgerufen. "Es darf der Regierung, den Unternehmen und den Gläubigern nicht erlaubt werden, die Gesellschaft mit einem 4. Kürzungsprogramm zu belasten", heißt es von Seiten der Gewerkschaften.
Verwaltungen, Züge, öffentlicher Nahverkehr, Fähren, Krankenhäuser, Banken, Universitäten, .. stehen heute still. Die Dachgewerkschaften GSEE and ADEDY haben zu einem 24-stündigen Streik und zu Kundgebungen aufgerufen. Die Austeritätspolitik hat die Gesellschaft und die Wirtschaft zerstört und droht immer weiter zu gehen, erklären die Gewerkschaften und rufen zu energischen Protesten auf.
Zwar hat die Regierung versprochen, dass es keine weiteren Kürzungen bei den Renten geben wird und die Reform der Sozialversicherung abgeschlossen ist, aber das Misstrauen und die Sorge der griechischen Bevölkerung sind groß. Denn IWF und Schäuble haben jetzt wieder erklärt, dass die Kürzungen bei den sozialen Leistungen zu gering sind. Zudem fordert der IWF die Erleichterung von Massenentlassungen, weitere Einschränkungen für Gewerkschaftrechte, kollektive Tarifverhandlungen und beim Streikrecht. Am Freitag vergangener Woche (2.12.2016) hat der IWF in einer eMail die griechische Regierung aufgefordert, noch im Dezember ein Gesetz zu beschließen, damit 2017 die Geschäfte an allen 52 Sonntagen geöffnet werden können.
SYRIZA: Gemeinsam gegen die neoliberale Politik, den IWF und die interne Troika
Die Regierungspartei SYRIZA ruft zur Teilnahme am Streik auf. "Die Teilnahme von Allen am Streik und den Kundgebungen gegen die neoliberale Politik, die Arbeiterinnenrechte niederwalzt, ist die Antwort der Welt der Arbeit und der gesamten Gesellschaft auf den Versuch der Gläubiger, insbesondere des IWF, die Fortsetzung der Deregulierung der Arbeitsbeziehungen zu erzwingen. Gleichzeitig ist es die Antwort an die 'interne' Troika inländischer Interessen und ihrer politischen Unterstützer, an alle, die offen oder heimlich die destruktiven und extremen Kräfte unterstützen und mit neoliberalen Rezepten die Profitabilität der großen Unternehmensgruppen erhöhen wollen." SYRIZA ruft auf, "gemeinsam für eine effektive Wiederherstellung der Arbeitsrechte und dem Recht auf volle, andauernde, würdige und bezahlte Arbeit für alle zu kämpfen".
Auch der Internationale Gewerkschaftsbund unterstützt den Streik. Der Generalsekretär des IGB, Sharan Burrow sagt: "Wir fordern den IWF auf, mit dieser zerstörerischen Politik gegen Griechenland aufzuhören, die den ArbeiterInnen und ihren Familien immense Schmerzen zufügt und eine wirtschaftliche Verwüstung verursacht."
IWF und Schäuble verlangen neue Kürzungen
Dessen ungeachtet verlangen IWF und Schäuble zusätzliche Kürzungen in Höhe von 4,5 Mrd. Euro, damit über Jahre hinaus ein Primärüberschuss (Differenz von Staatseinnahmen und Staatsausgaben unter Ausschluss der Zinsausgaben) von 3,5% erreicht wird. Ein neues Austeritätsprogramm in dieser Höhe würde nichts anderes bedeuten wie höhere Steuern, niedrigere Renten und Lohnkürzungen.
Zwar gehen die Meinungen in der Euro-Gruppe auseinander, wie lange der für 2018 vereinbarte Primärüberschuss von 3,5% gelten soll – Schäuble fordert 10 Jahre, andere nur drei oder fünf -, aber bei der Sitzung der Euro-Finanzminister am vergangenen Montag konnte sich Schäuble durchsetzen. Entgegen den Vereinbarungen mit Griechenland gibt es in diesem Jahr keinen Abschluss der 'Reformüberprüfung'. Athen müsse warten, bis es im Stande ist im Rahmen des Quantitative Easing Programms (QE) Obligationen an die Europäische Zentralbank zu verkaufen bzw. an die internationalen Finanzmärkte zurückzukehren. Es liegt "ausschließlich an den Griechen, dass sich der Abschluss der Reformüberprüfung verzögert", äußerte Schäuble.
Der Hintergrund ist, dass der IWF immer noch nicht bereit ist, in das 86 Mrd.-Kreditprogramm für Griechenland einzusteigen. Schäuble hatte dies dem Bundestag fest zugesagt, um die Zustimmung der Abgeordneten des Regierungslagers zu bekommen. Unions-Abgeordnete drohen inzwischen mit Ausstieg aus dem Griechenland-Programm, falls der IWF nicht endlich dazu gebracht wird, sich zu beteiligen. Aber der IWF befürchtet zu Recht, dass Griechenland nicht in der Lage ist, die Kredite langfristig zu bedienen. Deshalb verlangt er Schuldenerleichterung durch die Gläubiger und weitere Kürzungen im griechischen Staatshaushalt sowie weitere Einschränkungen von ArbeiterInnenrechten.
Athen weist Forderungen zurück
Regierungssprecher Dimitris Tzanakopoulos wies die Forderungen des IWF und von Schäuble zurück: "Sie müssen aufhören darauf zu beharren, dass eine Politik der extremen Austerität fortgesetzt wird, die bewiesen hat, dass sie die Gesellschaft zerstört und auch wirtschaftlich unwirksam ist.”
Finanzminister Tskalotos hält die Forderung nach einem Primärüberschuss von 3,5% über viele Jahre aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen für unmöglich. "Nur sehr wenige Länder haben so etwas erreicht - Norwegen mit seinen Öleinnahmen". Auch die Wirtschaftswissenschaftler des IWF seien zu dem gleichen Ergebnis gekommen, sagt Tsakalatos. Aber anstatt, dass der IWF sich gegen die "starken Spieler in Europa" stellen würde, wälzt er die ganzen Lasten auf Griechenland ab, kritisiert Tsakalotos. "Die griechische Regierung hat alle im Memorandum of Understanding (MoU) vereinbarten Maßnahmen umgesetzt, wir haben auf konstruktive Weise einige Angelegenheiten verhandelt, die wir für übertrieben gehalten haben oder die gegen den sozialen Zusammenhalt gerichtet waren. Deshalb werden wir keine anderen Maßnahmen machen, nur weil es Meinungsverschiedenheiten zwischen dem IWF und einigen europäischen Ländern gibt", so Tsakalotos. Ebenso wandte er sich gegen eine Wiedereröffnung der Rentendebatte und verwies darauf, dass die Sozialausgaben gemessen am Bruttosozialprodukt in Griechenland bei 65% des EU-Durchschnitts liegen. "Die Renten in Griechenland sind nicht zu generös; das Gegenteil ist wahr", sagte er. (Rede vor der Amerikanisch-Griechischen Handelskammer, in englischer Sprache in der Anlage)
Kampf um Gewerkschaftsrechte
Als Falke erweist sich der IWF im Bereich der ArbeiterInnenrechte. Er fordert, das Recht von ArbeiterInnen kollektiv Arbeitsverträge auszuhandeln, noch weiter zu stutzen. Ebenso soll das Verbot der Aussperrung fallen. Am vergangene Freitag hat er die griechische Regierung in einer eMail aufgefordert, noch im Dezember ein Gesetz zu beschließen, damit 2017 die Geschäfte an allen 52 Sonntagen geöffnet werden können – zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit.
Vor der Krise war die Tarifbindung sehr hoch. Heute gilt nur noch für wenige abhängig Arbeitende ein Flächentarifvertrag. Die Senkung der Löhne konnte in Griechenland entscheidend dadurch durchgesetzt werden, dass das Tarifvertragssystem radikal verändert wurde. Das Günstigkeitsprinzip und die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen wurden abgeschafft. Eingeführt wurde ein Recht von nicht-gewerkschaftlichen Vertretungen, betriebliche Tarifverträge abzuschließen. Das führte dazu, dass heute 70% der Tarifverträge von nicht-gewerkschaftlichen Vertretungen abgeschlossen werden. All dies hat die ILO immer wieder kritisiert.
Im dritten MoU vom August 2015 war vereinbart worden, dass die griechische Regierung Arbeitsmarktreformen vornimmt, die die "besten Erfahrungen der EU" berücksichtigen. Eine Expertenkommission, die zur Hälfte von der Quadriga und zur Hälfte von der griechischen Regierung ausgewählt wurde, erarbeitete von April bis August 2016 Vorschläge für die Regierung in Athen. Der Expertenkommission gehörten an: Gerhard Bosch (Universität Duisburg-Essen), Wolfgang Däubler (Universität Bremen), Juan Jimeno (Zentralbank Spaniens), Ioannis Koukiadis (Universität Thessaloniki), António Monteiro Fernandes (Universität Lissabon), Pedro Silva Martins (Queen Mary Universität), Jan van Ours (Erasmus Universität Rotterdam), Bruno Veneziani (Universität Bari)
Expertenkommission unterstützt Regierung
Überraschenderweise – und zum Verdruss der Euro-Gruppe und des IWF – unterstützt die Expertenkommission die Position der griechischen Regierung zur Wiederherstellung von Gewerkschaftsrechten. (Anlage: Recommendations-Expertgroup-for-Greek-Labour-Market)
In einer Presseerklärung des "Instituts Arbeit und Qualifikation" der Universität Duisburg-Essen werden die Empfehlungen der Kommission so zusammengefasst:
"Sie schlägt vor die Tarifautonomie der Sozialpartner wieder herzustellen, was auch dem einstimmigen Wunsch der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände in Griechenland entspricht. Branchentarife sollen künftig wieder – wie in vielen andern EU-Ländern – für allgemeinverbindlich erklärt werden können, um gleiche Konkurrenzbedingungen für Betriebe zu schaffen und die weitere Zunahme geringer Löhne zu vermeiden. Voraussetzung ist, dass der Tarifvertrag entweder für 50 Prozent der Beschäftigten im Tarifgebiet gilt oder dass die Allgemeinverbindlichkeit im öffentlichen Interesse liegt. Angesichts der Struktur der griechischen Wirtschaft, wo Kleinbetriebe bei weitem überwiegen, ist die Allgemeinverbindlichkeit unabdingbar. Von Branchentarifen kann auf Betriebsebene nicht zu Lasten der Arbeitnehmer abgewichen werden, es sei denn, dass die Tarifpartner – wie in Deutschland – Öffnungsklauseln für den Fall gravierender wirtschaftlicher Schwierigkeiten vereinbaren.
Weiterhin soll der Mindestlohn, wie in Deutschland oder Belgien, allein durch die Sozialpartner festgelegt werden. Die bisherige Regelung, wonach Arbeitnehmer bis 25 Jahre einen reduzierten Mindestlohn erhalten, soll abgeschafft werden. Stattdessen soll es lediglich für Berufsanfänger im ersten Jahr einen Abschlag von 15 Prozent, im zweiten Jahr von 5 Prozent geben."
Tsakalotos zeigt sich zufrieden mit den Empfehlungen, denn die "einmütigen Entscheidungen dieses Komitees waren zu Gunsten der griechischen Regierung und unserer Positionen zu kollektiven Tarifverhandlungen und Massenentlassungen". Gleichzeitig kritisiert er die Europäischen Institutionen, die die "EU best practices" über Bord werfen, um einen Kompromiss mit dem IWF zu erreichen. Die Europäischen Institutionen hätten gegenüber den BürgerInnen Europas die Pflicht, innerhalb des Rahmens "besten Erfahrungen der EU" zu verhandeln. "Wir haben rechte populistische Tendenzen in Europa und zentrifugale Trends in der Eurozone, mehr und mehr ArbeiterInnen fühlen sich nicht als Teil des Erholungsprozesses. Im Gegenteil. Sie merken, dass sie die Lasten der Krise tragen und sie fühlen sich ausgeschlossen, wenn es wieder besser geht. .. Die Eurozone braucht einen Erfolg. Und Erfolg bedeutet, dass sie fähig ist politische Probleme zu lösen … und diese politische Lösung in eine Richtung geht, die die Arbeit einbezieht."
Schäuble: Reformen oder Grexit
IWF und Schäuble gehen in die entgegengesetzte Richtung. Schäuble verlangt wieder und wieder 'strukturelle Reformen'. Er ist von seiner Mission überzeugt, auf diese Weise Griechenland zu retten. "Die Aufgabe, Griechenland unter der Bedingung der Mitgliedschaft in der Währungsunion auf einen nachhaltigen Wettbewerbskurs zu bringen, ist langwierig und politisch ehrgeizig", sagte Schäuble nach dem Treffen der Euro-Gruppe und ergänzte an diejenigen gerichtet, die "im Wunsch von Griechenland verantwortlich sind": "Wir haben Alternativen besprochen, es gibt keinen dritten Weg.”
Nach Schäuble gibt es als 'alternative Wege' nur 'Strukturreformen' oder Grexit – wie er seit Sommer 2011, 2012, 2015 immer wieder wiederholt.
Die Süddeutsche Zeitung kommentierte: "Es ist möglich, dass die Hilfsprogramme für Griechenland auch deswegen in die Geschichte eingehen werden, weil sie am Ende noch jede Regierung in Athen zermürbt haben. Von Premier Alexis Tsipras mag jeder halten, was er will. Dass aber der Linkspolitiker nicht seinen Beitrag zur Rettung Griechenlands aus der Krise liefern würde, kann niemand mehr ernsthaft behaupten. Als Tsipras neulich sein Kabinett umbildete, geschah dies ausschließlich aus dem Grund, Brüssel entgegenzukommen. Wer noch ein bisschen Widerstandswillen gegen das Sparpaket aufbrachte, wurde aus der ersten Reihe der Regierung abberufen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die internationalen Kreditgeber Tsipras nie an der Spitze des Landes sehen wollten - und nun erkennen müssen, dass sie sich keinen besseren Vollzieher wünschen könnten." (SZ, 5.12.2016)
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