Im Interview

15.10.2015: Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE und Vorstandsmitglied der marxistischen linken, beschreibt den Abgas-Skandal als ein Grundproblem neoliberal geprägter Volkswirtschaften, in denen nicht der Wettbewerb um innovative Produkte im Vordergrund stehen, sondern der um die besten Lobbykontakte, die besten Steuervermeidungsstrategien, die besten Verkaufsstrategien.

Jahrelang haben Manager der Autoindustrie nach Strich und Faden manipulieren und betrügen können. Politik und Verwaltung haben still gehalten, obwohl sie Bescheid wussten. Lobbyisten der Autoindustrie sind in den vergangenen Monaten im Kanzleramt und den Ministerien ein und aus gegangen, wie die Bundesregierung jetzt in einer Antwort auf eine Linken-Anfrage eingeräumt hat. Weit über 20 Mal trafen sich Regierungsmitglieder allein mit Vertretern des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), der u.a. für Volkswagen und Daimler Lobbyarbeit betreibt. Oberster VDA-Lobbyist ist übrigens ein alter Bekannter: der frühere Verkehrsminister Matthias Wissmann. Wie der SPIEGEL berichtet, hat der CSU-Europaabgeordnete Albert Deß einen Änderungsantrag zu Abgasnormen ins Europäische Parlament eingebracht, der aus der Feder des Wolfsburger Autobauers stammt. Der Hinweis auf den VW-Konzern versteckt sich in den Metadaten eines Word-Dokuments. Der Kommentator Dirk Müller, auch "Mr. Dax" genannt, hält die Aufregung über den VW-Skandal für "überzogen". "Es geht lediglich um geschönte Abgaswerte", meint er. Die "ARD-Börsenexpertin" Anja Kohl will den nationalen Schulterschluss zugunsten der Automobilindustrie, um den "Wirtschaftskrieg gegen Deutschland" abzuwehren. Kaum eine Industriesparte hat eine so starke Lobby wie die Automobilindustrie.

Frage: Der Skandal um massiv erhöhte Abgaswerte bei VW-Autos hat in der letzten Woche mehrere kleine und größere Erdbeben in Politik, Medien, Industrie und Finanzwelt verursacht. Dabei war es ein Skandal mit Ansage. Sowohl die Bundesregierung als auch EU-Institutionen waren schon vor Monaten informiert. Warum ist seitdem nichts passiert?

Sabine Leidig: Die Verflechtungen zwischen Autoindustrie und Bundesregierung durch Seitenwechsler wie Wissmann (VDA), Steg (VW) und von Klaeden (Daimler), durch den direkten Zugang zum Kanzleramt sowie Parteispenden legen nahe, dass hier eine völlig falschverstandene Rücksicht genommen wurde. Die  Autolobby konnte immer davon ausgehen, dass die Bundesregierung ihre „schützende Hand“ über sie hält. Der direkte Zugang der Autoindustrie zur Bundesregierung zeigt sich auch in den Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der Linksfraktion: Zwischen November 2013 und Sommer 2015 wurden Spitzenvertreter der Autoindustrie (Konzerne und VDA) in Kanzleramt und Ministerien und Staatsekretären empfangen. Mit Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel gar haben 23 solche Treffen stattgefunden.

Frage: In der Fragestunde des Bundestages musste sich der Parlamentarische Staatssekretär des Verkehrsministeriums den Abgeordneten erklären. Was ist dabei herausgekommen?

Sabine Leidig: Es war sogar der Verkehrsminister Dobrindt selbst da. Aber herausgekommen ist nichts. Die wesentlichen Informationen in diesem Fall durfte das Parlament aus der Presse erfahren. Nun hat die Bundesregierung eine Untersuchungskommission eingesetzt, die aus Sachverständigen des Verkehrsministeriums und des Kraftfahrzeugbundesamtes besteht – also die Institutionen, die bisher nicht „funktioniert“ haben.

Frage: Was muss die Bundesregierung jetzt tun, um die Betrügereien aufzuklären?

Sabine Leidig: Das wichtigste wäre, eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen, die sich zusammensetzt aus Expertinnen und Experten, die von den Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen, dem VCD und Automobilclubs benannt werden.
Um die Beschäftigten des Konzerns, die nichts mit dem Skandal zu tun haben, vor den Folgen zu schützen, muss die Bundesregierung alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, die Verursacher (Topmanager) und Profiteure (die milliardenschweren Eigentümer) der Manipulationen voll haftbar zu machen.
Es muss genau ermittelt werden, welche Gesundheits- und Umweltschäden durch die erhöhten Abgasemissionen entstanden sind und welcher Schaden den Autofahrer*innen dadurch entstanden ist, dass der Treibstoffverbrauch deutlich höher ist als angegeben.
Es muss ermittelt werden, welche Steuerausfälle dem Fiskus entstehen, weil bis zu drei Millionen VW-Diesel-Pkw mit deutlich zu wenig Kraftfahrzeugsteuer belastet wurden. Der entsprechende Steuerausfall ist nach dem Verursacherprinzip dem VW-Konzern in Rechnung zu stellen.
Es sind zudem Vorschläge zu erarbeiten, wo eine unabhängige Kontroll- und Aufsichtsbehörde angesiedelt und mit welchen Befugnissen und Ressourcen sie ausgestattet sein müsste, damit sich ein solcher Skandal nicht wiederholt.

Frage: Inwieweit sind Verbraucherinnen und Verbraucher von den Schiebereien betroffen?

Sabine Leidig: Die Bundesregierung muss darauf drängen, dass der VW-Konzern bis spätestens Frühjahr 2016 die betroffenen knapp drei Millionen in Deutschland zugelassenen VW-Diesel-Pkw mit deutlich überhöhten Abgaswerten zurück ruft und so umrüstet, dass die vorgegebenen Grenzwerte eingehalten werden. Gelingt dies nicht, stehen Fahrverbote – zumindest in Umweltzonen – auf der Tagesordnung, weil die hohen Schadstoffe die Gesundheit stark gefährden.

Frage: Die Automobilindustrie gilt als Schlüsselbranche der deutschen Wirtschaft. Immer noch zurecht?

Sabine Leidig: Für das herrschende Wirtschaftsmodell ist das so, ja. Mit 200 Milliarden Euro Umsatz kommt Volkswagen nahe an das Bruttoinlandsprodukt von Dänemark heran; der Profit von 10 Milliarden Euro entspricht etwa dem dänischen Staatshaushalt. Die Multimilliardäre des Porsche-Piëch-Clans und ihre millionenschweren Manager Winterkorn & Co. wähnen sich als die Herren der Welt, die vor allem ihren eigenen Gesetzen der Profitlogik zu folgen haben. So wird auch das Interesse von Volkswagen und anderen transnationalen Konzernen an TTIP nachvollziehbar: Lästige, die Profite mindernde Regelungen haben zu verschwinden, und im Zweifel werden die Staaten vor privaten Schiedsgerichten verklagt.
Der Auto-Abgas-Skandal zeigt ein Grundproblem der neoliberal geprägten Volkswirtschaften im Weltmarkt: Sinnvoller Wettbewerb um hochwertige Produkte wird überlagert vom Wettbewerb bei Verkaufs- und Werbestrategien; vom Wettbewerb um so wenig Rücksicht auf Klima und Umwelt, wie gerade noch machbar; vom Wettbewerb nach den besten Steuervermeidungsstrategien; vom Wettbewerb um den besten Zugang zur Politik. Auch dafür steht die Automobilindustrie als „Schlüsselbranche“.

Frage: Gleichzeitig liegt die Autoindustrie gleichauf mit Waffenschmieden und Energiekonzernen, was Lobbyismus betrifft. Fällt den Autokönigen jetzt diese Strategie, die sich weniger an Innovationen als an der Absicherung günstiger gesetzlicher Rahmenbedingungen orientiert, auf die Füße?

Sabine Leidig: Offensichtlich ist das so. Betrug und Dreistigkeit lässt sich nicht unbedingt geheim halten. Am Ende ist nicht nur das Ansehen eines Konzerns, sondern die ganze Autoindustrie und sogar das Label „made in Germany“ beschädigt. Und VW scheint nicht in der Lage zu sein, wirklich sparsame Autos anzubieten oder gar alternative Produkte für den öffentlichen Nahverkehr.

Frage: IT-Konzerne wie Google und Apple arbeiten an selbstfahrenden Autos. Tesla treibt die Optimierung von Elektroautos voran. Wenn Sie an die Zukunft des Individualverkehrs denken: Worauf käme es in den nächsten zehn Jahren hier an?

Sabine Leidig: Entscheidend ist, dass Autos kleiner, leichter, wirklich sparsam und mit klugen Konzepten verknüpft und geteilt werden. Es ist widersinnig, dass die Pkw-Modelle von Jahr zu Jahr schwerer, PS-stärker und mit immer mehr ergänzenden Motoren für Hilfsfunktionen ausgestattet werden. Heute wiegt ein Auto durchschnittlich doppelt so viel wie 1975, hat etwa die dreifache Motorenleistung und treibt mindestens ein halbes Dutzend „Komfort“-Motoren, die zusätzliche Energie brauchen.
Für die notwendige Verkehrswende brauchen wir vor allem soziale Innovationen und nicht noch mehr High-Tech. Der motorisierte Verkehr muss weniger werden – zu Gunsten von Bus und Bahn, Fußgängerinnen und Fahrradfahrern.

Wir sprechen über Palästina

Gazakrieg Grafik Totoe 2024 04 07

mit Rihm Miriam Hamdan von "Palästina spricht"

Wir unterhalten uns über den israelischen Vernichtungskrieg, die Rolle Deutschlands (am 8. und 9. April findet beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag die Anhörung über die Klage Nicaraguas gegen Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord statt), die Situation in Gaza und dem Westjordanland und den "Tag danach".

Onlineveranstaltung der marxistischen linken
Donnerstag, 18. April, 19 Uhr

https://us02web.zoom.us/j/82064720080
Meeting-ID: 820 6472 0080


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Logo Ratschlag marxistische Politik

Ratschlag marxistische Politik:

Gewerkschaften zwischen Integration und Klassenkampf

Samstag, 20. April 2024, 11:00 Uhr bis 16:30 Uhr
in Frankfurt am Main

Es referieren:
Nicole Mayer-Ahuja, Professorin für Soziologie, Uni Göttingen
Frank Deppe, emer. Professor für Politikwissenschaft, Marburg

Zu diesem Ratschlag laden ein:
Bettina Jürgensen, Frank Deppe, Heinz Bierbaum, Heinz Stehr, Ingar Solty

Anmeldung aufgrund begrenzter Raumkapazität bis spätestens 13.04.24 erforderlich unter:
marxlink-muc@t-online.de


 

Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
hier geht es weiter zum Text


 

 

UNRWA Gazakrieg Essenausgabe

UNRWA Nothilfeaufruf für Gaza
Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
Zivilisten sterben, während die Welt zusieht. Die Luftangriffe gehen weiter. Familien werden massenweise vertrieben. Lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Der Zugang für humanitäre Hilfe wird nach wie vor verweigert.
Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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