von Bettina Jürgensen
18.11.2017: Am Montag in aller Frühe kam die Nachricht, dass es bei unserem Genossen Kerem Schamberger aus München eine Hausdurchsuchung gegeben hat! Die erste Frage war: Was wollen DIE schon wieder von Kerem? In letzter Zeit wurde immer häufiger seine Facebookseite gesperrt, vor fast genau einem Jahr sollte die Zulassung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni in München verhindert werden, Kerem kämpfte erfolgreich gegen sein drohendes Berufsverbot. Jetzt musste er bei seiner Hausdurchsuchung zusehen und Handy, Laptop, USB-Sticks wurden beschlagnahmt.
Ich stimme den zahlreichen Protesten zu, die die Bundesregierung als willfährige Büttel der Erdogan-Diktatur brandmarken.
Das politische Auftreten von Kerem ist besonders in den Solidaritätsbewegungen für die Rechte der kurdischen Bevölkerungen, für Rojava, aber auch für viele andere internationale Solidaritätsprojekte bekannt. Er nutzt seit Jahren unterschiedliche Wege, um auch in diesem Land über die Situation in der Türkei und den Widerstand gegen die repressive Politik zu informieren.
Die ihm nun vorgeworfene Darstellung der Fahnen der YPG, ist fadenscheinig. Kerem Schamberger hat weder auf seinen öffentlichen Veranstaltungen, in seinem Internetblog oder auf facebook verschwiegen, dass seine Solidarität eben diesen Organisationen und ihren Kämpfen gilt. Sowohl bei der Hausdurchsuchung als auch auf den beschlagnahmten Datenträgern wird "Material" der solidarischen Unterstützung zu finden sein. Eine Solidarität für die Kerem weit über linke politische Gruppen hinaus Anerkennung findet. Die Reaktion in fortschrittlichen, demokratischen Medien auf die Aktion der politischen Polizei belegt dies, wie auch den Respekt vor seinem Auftreten - wie es z.B. der Artikel in der ver.di-Zeitung belegt.
Die Aktion der staatlichen "Sicherheits-"Behörde im Morgengrauen hat sicher auch nicht das Ziel etwas über die politischen Aktivitäten von Kerem Schamberger zu erfahren. Die sind bekannt, sie sind Teil des öffentlichen Auftretens von Kerem. Es geht anscheinend darum Kerem für seine geübte internationale Solidarität, für sein Eintreten gegen den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung, gegen die Unterdrückung der politischen Meinungsfreiheit in der Türkei einzuschüchtern.
Die marxistische linke stellt in ihren "Thesen zur Internationalen Politik" fest:
"Unsere internationalen Beziehungen beruhen nicht auf einer ideologischen Basis, sondern darauf, einen umfassenden Dialog mit allen progressiven, emanzipatorischen Kräften – zivilgesellschaftlich, politisch, staatlich – zu entwickeln. Für uns sind die Leitlinien: Demokratie und Sozialismus, Kritik an autoritären Staatsmodellen und einem »reaktionären Antiimperialismus«, Kritik an patriarchalen Strukturen, Kritik am kapitalistischen Modernisierungsprozess, die Idee des universellen und progressiven Werts der Demokratie und des Friedens, der umweltverträglichen Entwicklung."
Kerem ist einer von uns, der nicht nur darüber redet, sondern aktive Solidarität übt, der diesen von uns gewünschten, und oft nur theoretischen Anspruch an Dialog mit anderen Kräften sucht und durch seinen aufrechten Gang auch findet. Wenn es ihm möglich ist, fährt in die Türkei, nach Rojava, nach Palästina, in afrikanische Staaten, ist solidarisch weit über verbale Bekundungen hinaus.
Die Repression gegen Kerem wird mit dem Mittel der Hausdurchsuchung ein weiteres Mal erhöht.
Mit diesem kalkulierten und bewussten Eingriff in seine Privatsphäre soll Kerem zur Räson gebracht, verunsichert und politisch zum Schweigen gebracht werden. Denn auch dies ist klar: hier wird nicht nur die politische Seite von Kerem getroffen, eine Hausdurchsuchung dringt tief in privates, persönliches Leben ein.
Welch ein Widerspruch:
Während die Freilassung politischer (deutscher) Häftlinge aus den Gefängnissen der Türkei gefordert und begrüßt wird, werden gleichzeitig in diesem Land junge Aktivist*innen derart kriminalisiert.
Dabei gibt selbst in der Türkei jetzt ein bemerkenswertes Urteil, von dem sich die deutsche Justiz vielleicht sogar etwas abschauen könnte: Der junge Kurde Atilla Sanka wurde am 3. Mai festgenommen, weil er auf Facebook Bilder von Abdullah Öcalan gepostet hatte, die mit "Serok Apo", also "Anführer Apo" betitelt waren. Ein türkisches Gericht hatte Sanka bereits am 9. September freigesprochen und aus dem Gefängnis entlassen. In der Urteilsbegründung des Gerichts heißt es, ein solches Posting sei durch die Gedanken- und Meinungsfreiheit gedeckt, die "im Kampf gegen den Terror am meisten von Einschränkungen betroffen ist".
Ein sehr interessantes Urteil. Und gleichzeitig ein Hinweis darauf, dass dieses Vorgehen gegen Kerem eine Warnung an alle sein soll, die ähnlich aktiv sind oder es werden wollen.
Zufall oder gewollt?
Am 15.11. nur zwei Tage nach der Hausdurchsuchung in München machte diese Twittermeldung im Morgengrauen um 4:44 Uhr die Runde: "NEWS: Soeben stand die Polizei Hannover überfallartig vor meiner Haustür. Es wurde ein zweites Verfahren wegen eines facebook-posts gegen mich eröffnet. Ebenfalls angestrengt von der Polizei Hamburg. Ebenfalls wegen G20."
Unnötig festzustellen, dass auch die vermeintlich kleinen Schritte in den Auseinandersetzungen für soziale, friedliche und gleichberechtigte Veränderungen von Bedeutung sind. Weshalb sonst wird versucht diese zu verhindern?
Kerem und anderen, die wegen ihrer Aktivitäten gegen die Politik des Wegduckens und Wegguckens unter Druck gesetzt werden, gehört unsere Solidarität!
Bettina Jürgensen, marxistische linke
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