Aus Bewegungen und Parteien

Refugees-welcome flickr Rasande-Tyskar24.01.2017: "Wir schämen uns für unsere Regierung“ schreiben HelferInnenkreise in einem offenen Brief * die zweite Gruppe Afghanen ist in ihre vom Krieg zerrütteten Heimat abgeschoben worden * Boris Palmer (Grüne) hält Chicago für gefährlicher als Afghanistan * Asylbewerbern mit geringer Bleibeperspektive wird die Arbeitserlaubnis entzogen * in Bayern vernetzen sich AktivistInnen aus HelferInnenkreisen zur 'Kampagne für Demokratie und Solidarität'

"Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt."

Heute ist die zweite Gruppe abgeschobener Asylbewerber in Kabul eingetroffen. 26 junge Männer wurden in einer Sammelabschiebung nach Afghanistan deportiert. Nach Ansicht der Bundesregierung ist Afghanistan ein sicheres Herkunftsland. Doch selbst das Auswärtige Amt (AA) schreibt auf seiner Internetseite: "Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt." Das deutsche Generalkonsulat in Masar-e Scharif ist wegen eines Anschlags "vorübergehend nicht erreichbar". Wer nach Afghanistan reist "muss sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein", warnt das AA.

Für Innenminister de Maizière und die Bundesregierung sind das aber offenbar beste Voraussetzungen für die Rückführung abgelehnter Asylbewerber.

Boris Palmer: Chicago gefährlicher als Afghanistan

Claudia-Stamm tz Chicago-AfghanistanAuch der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) sieht keinen Grund, nicht nach Afghanistan abzuschieben. Das Risiko, in Chicago ermordet zu werden sei höher als in Afghanistan, meint der grüne OB. Seine grüne Parteikollegin, die bayerische Landtagsabgeordnete Claudia Stamm, hat Palmer daraufhin einen Vorschlag gemacht: Wenn er ein Jahr nach Afghanistan geht, dann geht sie ein Jahr lang nach Chicago. "Billige PR" und "Reine Gesinnungsethik", entgegnet Palmer und sagt, dass er nicht nach Afghanistan geht: "Als Westler ist man dort sofort Zielscheibe. Für Afghanen gilt das nicht. Es gibt dort 30 Millionen Menschen." (Zitate aus den Facebook-Kommentaren von Palmer)

Im Gegensatz zu Bundesregierung und Boris Palmer erklärten die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und der Paritätische Wohlfahrtsverband, dass die Abschiebungen in ein Kriegs- und Krisengebiet inhuman und unverantwortlich sind. Dieser Meinung waren auch die knapp 100 Menschen, die gestern Abend am Frankfurter Flughafen gegen die Abschiebungsaktion demonstrierten. (siehe auch "Eisiges Europa")

Auch der Bayerische Flüchtlingsrat rief zur Teilnahme an der Demonstration am Frankfurter Flughafen auf. In der Erklärung "Abschiebung nach Afghanistan: Brutalität geht weiter" heißt es: "Viele der betroffenen Männer leben seit langem in Deutschland, bemühten sich um Praktika, Ausbildung und Arbeit. Einer der Betroffenen stand kurz vor Beginn seiner Ausbildung. Aus Bamberg wurden gleich mehrere Männer inhaftiert, die in berufsbezogenen Maßnahmen waren.
Die erste groß angelegte Abschiebung nach Afghanistan fand am 14.12.2016 unter großem Protest von Unterstützer*innengruppen und Menschenrechtsorganisationen statt. Elf Personen konnten mit Hilfe ihrer Rechtsbeistände, aufgrund noch laufender Folgeverfahren oder Reiseunfähigkeit, erstmal vor einer Abschiebung in das vom Bürgerkrieg zerrüttete Land bewahrt werden. Aus Bayern sind derzeit 4 Personen in Kirchenasylen. Der Bayerische Flüchtlingsrat begrüßt die Bereitschaft vieler Kirchengemeinden, Afghanen vor einer lebensgefährlichen Situation in Afghanistan zu schützen."

Offener Brief der HelferInnenkreise: "Wir schämen uns für unsere Regierung“

Die Bayerische Staatsregierung hat im Dezember angewiesen, dass Asylbewerber aus Ländern, die von der Regierung nicht als unsicher eingestuft werden, keine Arbeitserlaubnisse mehr erhalten dürfen. Betroffen von der Weisung sind v.a. Flüchtlinge aus Afghanistan, Pakistan und Nigeria.
Diese Anordnung stößt auf heftigen Protest von HelferInnenkreisen aus dem Landkreis Freising bei München. Dort sind zwei Drittel aller Flüchtlinge durch diese Weisung betroffen.

In einem offenen Brief (im Wortlaut weiter unten) erklären sie: Das Verhalten der Bayerischen Staatsregierung und des Landratsamts Freising, das die Anweisung des Innenministeriums umsetzt, "empfinden wir als unmenschlich, unmoralisch, skandalös und wenig rechtsstaatlich, und es zielt aus unserer Sicht nur darauf hin, die Geflüchteten zu zermürben“.

Als Begründung für diese Maßnahme, so schreiben die Vertreter der Asylhelferkreise weiter, werde die geringe Bleibeperspektive der Menschen aus diesen Ländern genannt. "Aus unserer Sicht kann aber eine pauschale Quote der Anerkennung für ein Land nicht als Maßstab genommen werden.“ Die Entscheidung über ein Bleiberecht sei immer eine Einzelfallentscheidung. "Zudem liegt die Anerkennungsrate zum Beispiel bei Afghanen bei zirka 64 Prozent, was das Gegenteil von gering ist.“ "Die Vermutung drängt sich auf, dass die Gründe hierfür die kommenden Wahlen und die politische Konkurrenz von rechts sind“, heißt es in dem offenen Brief an den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und den Erdinger Landrat Josef Hauner.
Und weiter: "Wir möchten, dass Ihnen bewusst wird, dass Sie und die Staatsregierung durch diese Praxis die Integrationsbemühungen der Asylsuchenden und den ehrenamtlichen Einsatz aller freiwilligen Helfer mit Füßen treten.“ Man habe sich aufgrund der gültigen Rechtslage dafür eingesetzt, die Asylbewerber in Arbeit und Ausbildung zu bringen. "Nun hat sich die Rechtslage nicht geändert – aber die politische Meinung! Dadurch wird der Großteil unserer Arbeit der vergangenen Monate und Jahre ad absurdum geführt.“

'Kampagne für Demokratie und Solidarität': Helfern eine Stimme geben und Demokratie stärken

In Bayern gibt es wie in andern Bundesländern in vielen Städten und Gemeinden HelferInnenkreisen für Geflüchtet. (http://www.asylhelfer.bayern/)

Claudia-Stamm Mut-zu-MutJetzt haben sich AktivistInnen aus der Flüchtlingshilfe vernetzt. Sie sind enttäuscht von der Polemik der Politik und wollen nicht mehr tatenlos zusehen wie Wenige mit menschenfeindlichen Äußerungen die Diskussion bestimmen. Während man von denen nichts hört, die regelmäßig helfen, die täglich anpacken und Geflüchtete beim Ankommen vor Ort unterstützten. Burkhard Hose, katholischer Hochschulpfarrer aus Würzburg brachte es bei der Gründungsversammlung der "Kampagne für Demokratie und Solidarität" auf den Punkt: “Es gibt keine größere politische Bewegung, als die Millionen die aktiv helfen.”

Im Grundlagenpapier heißt es: "Im Jahr 2016 hat nichts so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie die sogenannte 'Flüchtlingskrise'. Der eigentliche Kern dieser 'Krise' aber wird von den politisch Verantwortlichen nicht thematisiert: Mit der großen Zahl an Geflüchteten sind die Folgen einer sich weitenden Schere zwischen arm und reich offenkundiger geworden. Mehr noch: Wenn ein Zusammenhang zwischen Flucht und sozialer Frage hergestellt wird, dann werden Vorurteile geschürt – dass man nämlich den Sorgen der Einheimischen Vorrang vor den Geboten der Mitmenschlichkeit einräumen müsse. Unsere 'Kampagne für Demokratie und Solidarität' stellt sich dem Rückbau sozialer Rechte entgegen, der fortschreitenden Entsolidarisierung und Entdemokratisierung der Gesellschaft. Wer dies tun will, muss eine positive Vorstellung gesellschaftlicher Zukunft entwickeln – und gemeinsam aktiv werden, um für diese Vorstellung einzutreten. Das tun wir – und wir freuen uns auf viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter." (http://www.mutzumut.de/grundlagenpapier-mut-zu-einem-solidarischen-miteinander/ ) 

fotos: flickr|Rasande-Tyskar; Mut-zu-Mut


Dokumentiert

Offener Brief der HelferInnenkreise: "Wir schämen uns für unsere Regierung“

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Seehofer, sehr geehrter Herr Landrat Hauner,

seit kurzer Zeit setzt das Landratsamt Freising und einige andere eine Weisung des bayerischen Innenministeriums um, laut der Asylbewerber u. a. aus Afghanistan, Pakistan und Nigeria keine Arbeitserlaubnis mehr erhalten beziehungsweise ihre bereits erteilten Arbeitserlaubnis wieder verlieren. Als Begründung für diese Maßnahme, die übrigens unseres Wissens nach nur in Bayern in dieser Form umgesetzt wird, wird die geringe Bleibeperspektive der Geflüchteten aus diesen Ländern genannt.

Aus unserer Sicht kann eine pauschale Quote der Anerkennung für ein Land nicht als Maßstab genommen werden. Die Entscheidung über ein Bleiberecht ist immer eine Einzelfallentscheidung, bei der einzig die persönlichen Fluchtgründe des Geflüchteten eine Rolle spielen und nicht sein Herkunftsland. Zudem liegt die Anerkennungsrate, zum Beispiel bei Afghanen, bei zirka 64 Prozent, was das Gegenteil von gering ist.

Es ist uns nicht ersichtlich, wie diese Einzelfall-Entscheidung der zuständigen Behörde, dem BAMF, vorweg genommen und aufgrund dessen im Vorhinein pauschal das Leben der betroffenen Geflüchteten im großen Maße einschränkt wird? Die Vermutung drängt sich auf, dass die Gründe hierfür die kommenden Wahlen und die politische Konkurrenz von rechts sind.

Ist es nicht sinnvoller, auch denjenigen die Arbeitsaufnahme bzw. Arbeitsweiterführung zu ermöglichen, bei denen das Asylverfahren noch in Bearbeitung ist, als sie der Untätigkeit auszusetzten? Das Asylverfahren wird dadurch doch in keiner Weise beschleunigt? Halten Sie diese Maßnahme gerade im Bezug auf die innere Sicherheit in unserem Lande wirklich für geeignet? Frustrierte, gelangweilte Asylbewerber sind doch sicher ein höheres Risiko, als Leute, die hier ein Einkommen haben und beschäftigt sind.

„Sie treten den ehrenamtlichen Einsatz mit Füßen“

Wir ehrenamtlichen Helfer möchten, dass Ihnen bewusst wird, dass Sie und die bayerische Staatsregierung durch diese Praxis die Integrationsbemühungen der Asylsuchenden und den ehrenamtlichen Einsatz aller freiwilligen Helfer mit Füßen treten. Die meisten von uns Helfern im Landkreis Freising sind seit 2015 aktiv. Wir betreuen die Geflüchteten und helfen in vielen Bereichen (Deutschkurse, Alltagsbegleitung, Behördengänge, Stellensuche und Vertrauensbildung bei Bürgern und Unternehmen). Und wir machen das gerne und aus voller Überzeugung.

Aufgrund der gültigen Rechtslage und der im vergangenen Jahr gängigen politischen Meinung haben wir begonnen, die Asylbewerber in Arbeit und Ausbildung zu bringen. Nun hat sich die Rechtslage nicht geändert, aber die politische Meinung! Dadurch wird der Großteil unserer Arbeit der letzten Monate und Jahre ad absurdum geführt. Das mit Mühe erarbeitete Vertrauen der Arbeitgeber in die Fähigkeiten und die Einsatzbereitschaft der Geflüchteten wird auf diese Weise zu Nichte gemacht und sie stehen plötzlich ohne bereits eingearbeitete Mitarbeiter da.

Sie und die bayerische Staatsregierung scheinen aber vermehrt speziell ein Ziel zu verfolgen, nämlich unsere Bemühungen und das Leben eines jeden einzelnen Geflüchteten zu erschweren und eine funktionierende Integrationsarbeit zu vereiteln. Von offiziellen Stellen wird immer wieder betont, wie unverzichtbar der Einsatz der Freiwilligen ist und wie wichtig die eigenen Bemühungen der Geflüchteten sind, sich zu integrieren. In unseren Augen nur heiße Luft, denn die Realität vor die Sie uns alle stellen, sieht anders aus.

„Was für eine Vergeudung von öffentlichen Geldern“

Flüchtlinge, die mittlerweile arbeiten und damit in alle Sozialsysteme einzahlen, ihre Steuern bezahlen, sich an den Unterbringungskosten beteiligen und selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen, werden durch die Umsetzung dieser Weisung genötigt, sich wieder in soziale Abhängigkeit zu begeben. Statt unsere Kassen zu entlasten, wird nun wieder bewusst in Kauf genommen, dass diese dadurch zusätzlich belastet werden - was für eine Vergeudung von öffentlichen Geldern!

Das Verhalten des Landratsamts Freising und das der bayerischen Staatsregierung empfinden wir als unmenschlich, unmoralisch, skandalös und wenig rechtsstaatlich und es zielt aus unserer Sicht nur darauf ab, die Geflüchteten zu zermürben! Gerade Sie, als Repräsentanten der Christlich Sozialen Union, sollten doch auch für christlich und soziale Werte einstehen. Wir vermissen diese Werte. Als Bayern müssen wir uns in der letzten Zeit immer er öfter eingestehen, dass wir uns für das Verhalten unserer bayerischen Landesregierung schämen.

Die Helferkreise Eching-Dietersheim, Marzling, Wang, Neufahrn, Mauern, Hörgertshausen, Wippenhauser Straße Freising, Kirchdorf und BI Au 2012, außerdem Vertreter weiterer Helferkreise