12.07.2012: In nur 57 Sekunden hat der deutsche Bundestag am 28. Juni das neue Meldegesetz in zweiter und dritter Lesung beschlossen. Anwesend waren gerade einmal 26 Abgeordnete, weil gleichzeitig das EM-Fußballspiel zwischen Deutschland und Italien stattfand. Es gab keine Aussprache, die Reden wurden zu Protokoll gegeben. Es gab diesmal keinen Antrag auf Feststellung der Beschlussfähigkeit. Einen Tag vorher war der Gesetzestext auf Initiative von CDU/CSU und FDP noch in einem entscheidenden Punkt geändert worden.
War ursprünglich vorgesehen, dass Meldebehörden persönlichen Daten nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Bürger zu Werbezwecken weitergeben dürfen, wurde mit dem veränderten Gesetzestext beschlossen, dass die Meldeämter mit den persönlichen Daten handeln dürfen, wenn nicht der Bürger ausdrücklich Widerspruch eingelegt hat. Und für bereits verkaufte Daten gibt es überhaupt kein Widerspruchrecht mehr. Das ist nicht nur ein Geschenk für die Werbewirtschaft, das ist ein ausdrücklicher Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Die Änderung wurden nicht zufällig vorgenommen. In der Begründung heißt es, der Änderungsantrag verbessere die Nutzung der Daten aus dem Melderegister. In der zu Protokoll gegebenen Rede von Helmut Brandt (CDU/CSU) ist zu lesen: „Das Melderegister ist zwar in erster Linie ein behördeninternes Register, das sowohl dem innerdienstlichen Gebrauch der Meldebehörde dienen als auch das Informationsinteresse anderer Behörden befriedigen soll. Es hat aber auch den Zweck, dem Informationsbedürfnis des privaten Bereichs, insbesondere der Wirtschaft, Rechnung zu tragen.“
Zu den anderen Behörden, die nun einen leichteren Zugriff auf die Daten bekommen sollen, werden im Gesetz ausdrücklich die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Bundesnachrichtendienst und der Militärischer Abschirmdienst aufgelistet. Und den Kirchen dürfen sogar die Daten von Familienangehörigen übermittelt werden, die nicht Mitglieder der anfragenden Religionsgemeinschaft sind.
Behandelt wurde das neue Gesetz, das am 1. Januar 2014 in Kraft treten soll, weil seit der Föderalismusreform von 2006 das Meldewesen in die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes fällt. Mit dem Gesetz ist nun auch der automatisierte Zugriff auf die 5200 Melderegister ermöglicht. Jan Korte von der Partei Die Linke verweist zurecht darauf, dass damit faktisch ein Zentralregister geschaffen wurde, wie es mit der Einführung der Steuer-ID-Nummer als einheitliche Identifikationsnummer unter Schäuble vorgesehen war.
Das Gesetz erleichtert nun die Datenweitergabe der im Melderegister gespeicherten Daten. Die Meldebehörde darf diese Daten durch ein automatisiertes Abrufverfahren übermitteln. Im Kabinettsentwurf des Gesetzes war noch formuliert, dass der Bürger der elektronischen Form der einfachen Melderegisterauskunft widersprechen kann. Auch dies ist mit dem verabschiedeten Entwurf gekippt worden. Manuel Höferlin von der FDP sagt dazu: "Diese rückwärtsgewandte, rationalen Argumenten völlig verschlossene Haltung sind wir entgegengetreten und behandeln nun analoge und digitale Bearbeitung gleich, Dies im Gesetz verankerte Hindernis für die Digitalisierung der Melderegister haben wir beseitigt.“
Die Datenschützer von Bund und Ländern haben besonders auf die datenschutzrechtlichen Fragen bei der Melderegisterauskunft hingewiesen. Der überfallartige Änderungsantrag sollte auch ihre Mitwirkung ausschalten. Für die Werbewirtschaft war vor allem wichtig, dass der Bürger der Weitergabe seiner Daten an die Privatwirtschaft nachträglich nicht mehr widersprechen kann. Zwar kann der Bürger der Weitergabe seiner Daten zu Zwecken der Werbung und des Adresshandels widersprechen, dieser Widerspruch gilt aber nicht, „wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung und zur Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden.“ Und in der Begründung heißt es: „Der Änderungsantrag verbessere die Nutzung der Daten aus dem Melderegister. Er eröffne die Möglichkeit der in der Wirtschaft rechtmäßig erlangten Daten jetzt auch im Unternehmen einzusetzen.“
Die Oppositionsparteien haben im Ausschuss und im Parlament gegen das Gesetz gestimmt und gegen die Änderungsanträge der Koalition gesprochen. Aber es brauchte den Protest der Netzgemeinde und der Datenschützer, damit die Öffentlichkeit davon Kenntnis nahm. Bei einer online-Abstimmung auf campact haben innerhalb kürzester Zeit über 100.000 Bürger Einspruch eingelegt. Inzwischen distanziert sich selbst die Bundesregierung von dem Gesetzentwurf, mit der Ausrede, die Änderungen seien ohne Wissen und Zustimmung der Fraktionen vorgenommen worden. Dabei ist der Formulierungsvorschlag für die Änderungen durch das Innenministerium erarbeitet worden.
Da der Bundesrat noch seine Zustimmung geben muss, gibt es Chancen, das Gesetz noch zu ändern, wenn der öffentliche Druck nicht nachlässt.
Text: mami