Deutschland

strompreise_bernd_buecking17.10.2012: Strom wird für Privathaushalte in Deutschland langsam zum Luxusgut. Über sechs Milliarden Euro mehr müssen die Verbraucher nächstes Jahr für den Strom zahlen. Der Grund: Die Umlage nach dem Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) steigt um fast 50 Prozent (47%) von derzeit 3,592 Cent je Kilowattstunde auf die Rekordhöhe von 5,277 Cent. Das haben die vier Netzbetreiber Amprion, Tennet, 50 Hertz und Transnet BW am 15.10.12 mitgeteilt. Für einen Drei-Personen-Durchschnittshaushalt (Verbrauch 3000 Kilowattstunden) bedeutet das eine jährliche Mehrbelastung von 60 Euro. Da der Staat über die Mehrwertsteuer zusätzlich abkassiert, sind es sogar über 70 Euro.

Die EEG-Vergütungen, die von Betreibern alternativer Energieanlagen kassiert werden und in erster Linie von Privathaushalten aufgebracht werden, summieren sich damit 2013 auf insgesamt 20,4 Milliarden Euro, vor fünf Jahren waren es erst 7,6 Milliarden Euro. Die Erhöhung zeigt auch, was ein Kanzlerwort wert ist: Die Umlage „soll nicht über die heutige Größenordnung von 3,5 Cent je Kilowattstunde steigen“, verkündete Merkel noch im Juni 2011.

Ein Jahr später wird deutlich: Die Kosten der Energiewende werden fast ausschließlich den Privathaushalten aufgehalst – Energiekonzerne und Großindustrie profitieren davon (siehe dazu: Franz Garnreiter, Zum Stand der Energiewende, isw ).

Es sind drei Ursachen-Komplexe, weshalb die Energiewende immer mehr zu Lasten von Otto Normalverbraucher geht:

  • da ist einmal das chaotische Management von Politik und Energiekonzernen bei der Umsetzung der Energiewende. „Die Verbraucher zahlen die Rechnung für eine schlecht geplante, ineffiziente und unnötig teure Energiepolitik“, sagt Gerd Billen, Chef des Spitzenverbandes der deutschen Verbraucherzentralen VZBV (zit. nach Spiegel, 27.8.12)
  • zum zweiten ist es das Subventions- und Privilegiengeflecht, das beim Strompreis um Konzerne und Großunternehmen herum aufgezogen und mit der Energiewende verdichtet wurde
  • und schließlich treibt die Abzocke der Energiekonzerne - auch als Trittbrettfahrer der Energiewende - den Strompreis immer weiter in die Höhe

„Energiewende: Unternehmen sparen – wir zahlen“

So titelte eine Münchner Boulevardzeitung (tz, 12.10.12). Während die Privathaushalte für die Energiewende mit zig-Milliarden bluten müssen, ist für Konzerne und Großindustrie ein enges Auffangnetz von Privilegien geknüpft worden. Dokumentiert seien hier die wichtigsten Vergünstigungen:

  • EEG-Aufschlag: „Hätten im Jahr 2011 alle Stromverbraucher den EEG-Aufschlag von 3,53ct/kWh gezahlt, dann wären über 21 Mrd. Euro zusammen gekommen“, schreibt Franz Garnreiter (a.a.O.). „Tatsächlich wurden nur 13,5 Mrd. Euro eingesammelt, also knapp zwei Drittel des Sollwertes. Das liegt an den vielen und und in den letzten Jahren noch vermehrten Reduzierungen und Freistellungen der industriellen Stromverbraucher von dieser Umlage. Wer mehr als 1 Million kW Strom verbraucht, zahlt nur ein Zehntel dieser Umlage; wer mehr als 100 Mio kW verbraucht, zahlt nur eine Umlage von 0,05 ct/kW, also ein Hundertstel des Wertes für die Haushalts- und Gewerbekunden“. Ein ökologischer Irrsinn: Je höher der Verbrauch, desto billiger die Tarife. 
    Zudem wurde und wird die Zahl der Begünstigten immer weiter erhöht: 2011 waren es 813, 2013 soll ihre Zahl auf über 2000 ansteigen.
  • Netzentgelte: Die Kosten für den Ausbau der Netze (neue Hochspannungsleitungen, Netzanbindung der Offshore-Windanlagen, etc.) werden nach Kalkulationen der Netzbetreiber für die kommenden zehn Jahre auf rund 20 Milliarden Euro geschätzt (FAS, 14.10.12). Auch beim Netzausbau werden große Unternehmen begünstigt. „Ähnlich der Ökostrom-Umlage werden auch die Kosten für das Leitungsnetz von Stromkunden per „Netzentgelt“ erhoben. Großverbraucher der Industrie können sich davon befreien lassen“ (SZ, 16.8.12).
  • Stromsteuer: Eine ähnliche Situation besteht auch bei der Stromsteuer. Würden alle den Sollsatz von 2,05 ct/kWh bezahlen, dann würde der Staat gut 12 Milliarden Euro einnehmen. Wegen der vielen Ausnahmen im Industriestrombereich belaufen sich die Steuereinnahmen jedoch nur auf 6 bis 7 Milliarden Euro (BDEW 2011 = Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft).
  • Konzessionsabgabe: Das gleiche Bild bei der Konzessionsabgabe (in etwa die Miete für städtischen Grund und Straßen für die Stromverteilung): Für Haushaltskunden beläuft sie sich auf 1,8 ct/kWh, industrielle Stromverbraucher zahlen so gut wie gar nichts dafür.
  • Mehrwertsteuer: Mit den zusätzlichen Belastungen der Haushalte über EEG-Abgabe und Netzentgelt, kassiert der Staat über die Mehrwertsteuer beim Ökostrom zusätzlich ab. So kommt z.B. zu den ab 2013 5,3 Cent je kWh EEG-Abgabe noch ein Cent Mehrwertsteuer dazu, macht 6,3 Cent kWh – 0,33 Cent mehr als vorher. Allein an der Erhöhung der EEG-Abgabe verdient der Staat über eine Milliarde Euro zusätzlich an Mehrwertsteuer. Dabei ist die Erhebung des vollen Mehrwertsteuersatzes von 19 Prozent auf Strom ohnehin eine unsoziale Großtat. Strom hat den Charakter eines öffentlichen Gutes, ist ein unentbehrliches Mittel zum Leben und dürfte, wie andere Lebensmittel, bestenfalls mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent belegt werden.
  • Sonderverträge: Die industriellen Strom-Groß- und Größtverbraucher werden nicht nur steuerlich und abgabenmäßig begünstigt, sie erhalten von den Energiekonzernen zudem Extra-Konditionen in Form der Sonderverträge mit Strompreisen von deutlich unter 10 ct/kWh  (der durchschnittliche Preis für Haushaltsstrom betrug 2011 21,0 ct/kWh ohne Mehrwertsteuer).  Das deckt in der Regel gerade noch die Erzeugerkosten und einen Teil der Leitungskosten. Diese Sonderverträge sind geheim.

Alles in allem addieren sich die Stromvergünstigungen der Großindustrie auf jährlich zig-Milliarden Euro. Alles im Namen der internationalen Konkurrenzfähigkeit – damit die deutsche Exportwalze weiter wie geschmiert läuft.

Die Abzocke der Energiekonzerne

„Die Stromrechnung für Privatkunden wird 2020 wahrscheinlich um 30 Prozent höher sein als heute“, verkündete Tuomo Hatakka, der Vorstandsboss von Vattenfall Europe im Handelsblatt-Interview (3.712). Strom dürfte schon im kommenden Jahr um insgesamt zehn Prozent teurer werden, erwarten Energieversorger und Vergleichsportale wie Verivox (vgl. SZ, 16.10.11). Der Hauptgrund sei die Steigerung der EEG-Förderung auch in den kommenden Jahren und die Netzumlage. Die Regierung treibt in der Tat den Strompreis auf Rekordhöhe, entgegen Merkels Versprechen, Privathaushalte müssten auch künftig „mit bezahlbarem Strom versorgt werden“. Für 200.000 Hartz-IV-Empfänger war der Strom schon im vergangenen Jahr nicht mehr bezahlbar, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband schätzt. Ihnen wurde wegen unbezahlter Rechnungen der Strom abgestellt. „Stromarmut“ nennt der VdK das neue Phänomen und spricht von einer „eklatanten Verletzung sozialer Grundrechte“ (zit. nach Spiegel, 8.10.12).

Doch nicht nur die Bundesregierung geriert sich als notorische Strompreistreiberin. Im vergangenen Jahrzehnt haben vor allem auch die Stromkonzerne kräftig abgezockt. Bei einem Drei-Personen-Haushalt erhöhten sich die monatlichen Stromkosten von 40,66 Euro im Jahr 2000 auf 75,08 Euro in 2012 - eine Erhöhung um 85%. Dabei stiegen die enthaltenen Steuern, Abgaben und Umlagen von 15,52 Euro auf 34,10 Euro = + 120 Prozent (BDEW, April 2012). Das Segment  Erzeugung, Transport und Vertrieb am Strompreis erhöhte sich von 25,14 Euro auf 40,98 Euro, gleich 63% - dreimal so schnell wie die übrigen Lebenshaltungskosten.

Die Abzocke der großen Stromkonzerne kann deshalb so gnadenlos exekutiert werden, weil sie unter sich die Bundesrepublik in vier Strom-„Besatzungszonen“ aufgeteilt haben, wo jeweils ein Stromkonzern ein Quasi-Monopol besitzt. Es sind dies E.on von Nordwesten über Hessen bis Bayern, RWE in NRW, Rheinland-Pfalz und Saarland, EnBW in Baden-Württemberg und Vattenfall im Osten (vgl. isw-report 73, Klima-Killer-Konzerne, S. 34 – 39). Insgesamt beherrscht die „Viererbande“ 80% der deutschen Stromerzeugung. Die Konzerne diktieren weitgehend die Strompreise, geben z.B. Preissenkungen an der Leipziger Strombörse nicht weiter (vgl. SZ, 12.10.12).

Mit der Energiewende haben sie eine weitere Profitquelle aufgetan, langen sie noch zusätzlich kräftig hin.  So wollen sie sich z.B. die Einsatzbereitschaft ihrer Reserve- und Spitzenkraftwerke extra und zusätzlich bezahlen lassen (vg. Garnreiter, a.a.O.). Finanziert durch eine weitere Umlage, wollen sie dafür neue Gaskraftwerke bauen, die dann Angebotsschwankungen bei den erneuerbaren Energien (EE) ausgleichen könnten.

Insgesamt haben die Energiekonzerne im vergangenen Jahrzehnt zig-Milliarden an Profit gemacht (siehe Tabelle).  Nach kurzzeitigen Minderungen im Rahmen der Wirtschaftskrise, laufen sie jetzt wieder zu Profit-Höchstform auf. Im ersten Halbjahr 2012 stieg der Nettogewinn (nach Steuern) bei E.on auf 3,3 Milliarden Euro (das operative Ergebnis, d.h. Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen = EBITDA - auf 6,7 Milliarden Euro), bei RWE auf 1,67 Mrd. Euro (operativer Gewinn 5,1 Milliarden Euro). Ihren Profit wollen sie zusätzlich durch Kostensenkung, sprich! Arbeitsplatzvernichtung in die Höhe treiben. RWE will im Rahmen seines Sparprogramms RWE 2015 10.400 Stellen der jetzt 72.000 Arbeitsplätze abbauen; E.on plant bis 2015 die Liquidierung von 11.000 der 80.000 Arbeitsplätze.

Zu erwähnen bleibt, dass alle vier Besatzer-Konzerne ehemals staatliche Energieunternehmen waren oder, wie im Fall Vattenfall, sich staatliche Energiebetriebe auf dem Gebiet der ehemaligen DDR  einverleibten. Wären die Konzerne nicht privatisiert worden, dann hätten die über 80 Milliarden Euro Nettogewinn, die sie in den vergangenen zehn Jahren erwirtschafteten,  in staatliche Kassen fließen können. Damit wäre ein Großteil der Umstellung auf regenerative Energiequellen zu finanzieren gewesen und hätte – bei entsprechendem politischen Willen - die Energiewende schon viel früher eingeleitet werden können.  So aber wurden die Milliarden Profite für Dividenden an die Aktionäre und zur Expansion und Einverleibung anderer Energieversorger quer durch Europa, zum europaweiten Einfluss und Ausbau der Macht der Stromgiganten vergeudet.

Das unterstreicht: Eine sozial und ökologisch gestaltete Energiewende bedarf der Vergesellschaftung unter demokratischen Kontrolle dieser Konzerne, verbunden mit einer demokratischen, gesamtgesellschaftlichen Energieplanung (vgl. Alternativen zur Energiewirtschaft, in: isw-report 73, S. 51 ff).

Fred Schmid, isw   Grafik: Bernd Bücking