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cebit 2013 Kancelaria Premiera19.03.2013: Die laut Eigenwerbung immer noch "weltgrößte Computermesse" CeBIT in Hannover fand diesmal unter dem Leitmotto "Shareconomy" stattt. Hauptanliegen der IT-Konzerne auf der Messe: Nutzer sollen Programme, Musik, Fotos und Datenbanken auf riesige Rechnerfarmen weniger Anbieter auslagern und auf diese Daten über das Internet zugreifen. Bei der Eröffnungsfeier der Messe wurde das Teilen ("share") intensiv beworben. Ressourcen, Infrastruktur, Informationen, aber auch jede Menge persönlicher Daten - die Nutzer sollen alles modernen Datenkraken wie beispielsweise Facebook anvertrauen. Mit dem vermeintlich sozialen Begriff vom Teilen soll der Run auf die digitalen Goldadern verschleiert und "Big Data" gefüttert werden.

"Big Data" lautet das neue Zauberwort, das den IT- und Handelskonzernen in Zukunft weitere Profite in ihre Kassen spülen soll. Gemeint ist damit der noch effizientere Umgang mit zentral gespeicherten Daten, die in Echtzeit analysiert und strukturiert werden sollen. Führende IT-Unternehmen – so SAP in Deutschland – arbeiten an einer neuen Generation von Datenbankprogrammen, die diese Datenanalyse bewerkstelligen. "Zillionen von Daten harren auf Auswertung und sinnvolle Nutzung" titelte die FAZ in ihrer Verlagsbeilage zur diesjährigen CeBIT.

Wie diese sinnvolle, sprich profitable Nutzung aussehen könnte, wurde Mitte Januar in München erörtert: Auf einer vom Burda-Konzern veranstaltete Konferenz der Internet-Branche ("Digital, Life, Design"), diskutierten 800 Fachmänner und -frauen die zentrale Frage, "wie Konsumentenwünsche ortsbasiert entschlüsselt und für das Kaufverhalten nutzbar gemacht werden können." Amazon z.B hat bereits Millionen in ein eigenes Zentrum für Datenanalyse investiert und weitere Konzerne wollen folgen. Der im Herbst 2012 erfolgte Börseneinstieg von O2 (einer Tochtergesellschaft des spanischen Telefonica-Konzerns) verlief nach Einschätzung von O2-Chefs Schuster auch deshalb so positiv, weil "wir besonders stark im Geschäft mit mobilen Daten sind – und darauf bauen wir auch in Zukunft." Als erste Mobilfunkfirma plante O2 mit Bewegungsprofilen seiner Smartphone-Kunden Geld zu machen. In Zusammenarbeit mit der Nürnberger Marktforschungsfirma GfK sollten sogenannte Bestandsdaten - also etwa Alter und Geschlecht - mit Bewegungsdaten für die Werbeindustrie zusammengeführt werden. So bekämen beispielsweise Einzelhändler Erkenntnisse über das Verhalten ihrer Kunden: Woher kommen die Kunden? Wie lange halten Sie sich in einer Einkaufsstraße auf? Nach Kritik an den Plänen des "gläserner Shoppers" durch Datenschützer machte O2  aber erst einmal einen Rückzieher und will nach eigener Aussage vorerst keine Bewegungsdaten von Kunden in Deutschland analysieren und vermarkten.

Eine andere Big-Data-Anwendung könnte so aussehen: Banken bewahren für den Kunden virtuell sämtliche Quittungen und Kaufbelege auf, da sie die zugrunde liegende Finanztransaktion ja ohnehin speichern. Zudem könnten sie dann auf der Basis ihres "Wissens" durchaus Empfehlungen zur Optimierung der privaten Haushaltsführung geben oder auch "Angebote" machen, z.B. im regionalen Kundenvergleich den günstigsten Stromversorger, die günstigste Autoversicherung, Krankenkasse o.ä. heraussuchen.

Auf der CeBIT wurden den Personalchefs unter dem Stichwort "Arbeitszeitmanagement für flexible Belegschaften" die neuen Werkzeuge für ihre erfolgreiche Arbeit präsentiert: Mittels Tablets oder Smartphones funktionieren Arbeitszeitmanagement und Dienstplanung nun auch von unterwegs. Und das ist angesichts flexibler Ladenöffnungszeiten, einer Vielzahl von Arbeitszeitmodellen und einem großen Anteil von Zeitarbeitskräften auch unumgänglich, damit notwendige Umplanungen der Ware Arbeitskraft jederzeit vorgenommen werden können – und natürlich haben die Vorgesetzen mit der neuen Technik auch jederzeit die An- und Abwesenheit "ihrer" Mitarbeiter ständig im Blick.

Und dann wächst ja auch das Heer der "digitalen Nomaden" beständig an, jener "Heimarbeiter", die von zu Hause, im Hotel, im Internetcafé oder in öffentlichen Bibliotheken ihrer Arbeit nachgehen. Ihr Arbeitsplatz ist dort, wo ein Internet-Zugriff besteht. Vielfach handelt es sich um Web-Designer, Software-Entwickler, „freie“ Journalisten und andere Arten von Wissens-Arbeitern. Dieser "Trend zum gemeinschaftlichen Arbeiten" (als Begriff der "shareconomy"-Ideologie auf der CeBIT) ist aber nicht Ausdruck einer neuen Freiheit vieler Angestellter, sondern  Ausdrucksform neuer Ausbeutungs- und Selbstausbeutungsmechanismen und erspart es Arbeitgebern, reale Arbeitsplätze mit entsprechender sozialer Absicherung bereitzustellen.

Neben diesen technologischen Möglichkeiten und Visionen, die auf der CeBIT präsentiert wurden blieb ein Ereignis weitgehend unbeachtet, das in engem Zusammenhang damit zu sehen ist aber aus gutem Grunde fast völlig ausgeblendet wird.

Vor fünf Jahren (Ende Februar 2008) verkündete das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur "Online-Durchsuchung" und postulierte damit ein sogenanntes "IT-Grundrecht" – von seiner Bedeutung her vergleichbar mit dem Urteil zur Volkszählung (1983) mit seiner Betonung des individuellen "informationellen Selbstbestimmungsrechtes".

Dem in diesem Urteil vom Verfassungsgericht verkündeten Grundrecht auf  "Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme" war ein langer politische Streit vorausgegangen, ob und inwieweit Polizei und Nachrichtendienste heimlich in Computer und Telefone eindringen und auf diesem Wege Daten ausspähen dürfen. Gegenstand der  Entscheidung des Bundesverfassungsberichts waren Verfassungsbeschwerden gegen das Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalens, das ausdrücklich die Möglichkeit von Online-Durchsuchungen vorsah. Darunter zu verstehen ist der Zugriff auf einen Rechner (PC / Smartphone) mittels einer Spionagesoftware, die einen Zugang zu sämtlichen auf dem Rechner befindlichen Daten ermöglicht. Mit so einem Zugriff ist es also möglich, sich ein umfassendes Bild über die Persönlichkeit des ausspionierten Menschen zu machen.

Das Verfassungsgerichtsurteil zum "IT-Grundrecht" stärkt formaljuristisch den Schutz des Bürgers vor Zugriffen auf seine Rechner ausdrücklich – allein die gesellschaftliche Realität sieht anders aus.  Abgesehen vom dubiosen  und unkontrollierten Unwesen der Geheimdienste (Verfassungsschutz, BND, MAD) treten auch Konzerne dieses Grundrecht billigend mit Füßen. Die Präsentationen der IT-Konzerne auf der CeBIT illustrierten dies nachdrücklich. Ein Beispiel: So werden  heutzutage häufig Programme oder Updates auch ohne Zutun oder Zustimmung des Nutzers auf dem Rechner installiert. Dadurch werden dann z.B. der Standort des Nutzers oder bei Nutzern von e-books das Leseverhalten an den Absender (sprich: Konzern) gefunkt.

"Dass die Schattenseite von Big Data den Namen Big Brother trägt, wollte die fröhliche Stimmung auf der CeBIT nicht trüben. Datenschutz und Privatsphäre waren die Buhworte" wird ein Besucher der Messe zitiert.

Text:gst  Foto: Kancelaria Premiera