Europa

paris jesuischarlie 110115 Olivier Ortelpa12.01.2015: Zu Hunderttausenden sind die schwarzen Plakate mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“) in den Tagen nach dem 7. Januar auf spontanen Trauerkundgebungen und Demos in allen Teilen Frankreichs mitgeführt und in den sozialen Netzwerken im Internet herumgeschickt worden - Zeichen der Solidarität mit den Opfern und des Protestes und Abscheus über den religiös motivierten Mordanschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris.

„Charlie Hebdo“ ist nach dem „Canard Enchaîné“ („Die gefesselte Ente“) mit einer wöchentlichen Auflage von 45 – 60 000 Exemplaren das zweitgrößte satirische Wochenmagazin Frankreichs. Der Name ist von der Comic-Figur Charlie Brown bei den Peanuts abgeleitet, die in den ersten Ausgaben von Charlie Hebdo nachgedruckt worden sind. Hebdo ist eine in Frankreich übliche Abkürzung für eine wöchentlich erscheinende Publikation.

Ursprünglich war das Blatt in gewisser Weise ein Produkt der 68er-Bewegung. Es ging 1969 aus dem seit 1960 erscheinenden und mehrfach verbotenen satirischen, dem Anarchismus zuneigenden Magazin Hara-Kiri hervor. Ab November 1970 kam es regelmäßig wöchentlich unter dem Namen „Charlie Hebdo“ heraus. Am 23. Dezember 1981 musste das Erscheinen mangels einer ausreichenden Zahl ständiger Bezieher eingestellt werden. Erst mehr als zehn Jahre später, im Juli 1992, gelang eine Wiederbelebung mit einer neuen Redaktionsmannschaft.

Die Zeitschrift war keineswegs „islamfeindlich“, wie in letzter Zeit von manchen behauptet wurde. Sie verband einen in alle Richtungen respektlosen Enthüllungsjournalismus mit beißenden Karikaturen gegen Rechtsextremisten und Rassisten, führende Politiker, reaktionäre Phrasendrescher, autoritäre Kleriker und „Fundamentalisten“ aller Religionen, gegen kleinbürgerliches Spießer, Dunkelmänner und Duckmäuserei. Manche Veröffentlichungen trugen ihr auch den Ruf einer  allzu großen sexuellen Freizügigkeit ein. Obwohl der Hauptteil gegen rechte Politiker und Denkmodelle gerichtet war, verschonte das Blatt auch die Linksparteien nicht, ob sie an der Regierung waren oder nicht. Eines der Hauptziele ist das bedingungslose Eintreten für die „Laizität“, das heißt ein absolut weltliches, religionsfreies Verhalten des Staates und aller öffentlichen Institutionen sowie des Schulwesens, wie es der Tradition der französischen Revolution und der geltenden französischen Verfassung entspricht.

Aus diesem manchmal als „libertär“ etikettierten Gesamtkontext heraus hatte sich Charlie Hebdo 2006 auch dazu entschlossen, die zuerst in der dänischen Zeitung Jyllands Posten veröffentlichten Mohammed-Karikaturen nachzudrucken, zusammen mit eigenen anti-islamistischen Karikaturen. In einem Prozess, den der französische Rat der Muslime daraufhin anstrengte, wurde das Blatt 2007 jedoch von einem Pariser Gericht freigesprochen. Nur zwei Jahre später war Charlie von einer ultrakonservativen katholischen Vereinigung mit einem Prozess überzogen worden, weil es anlässlich des Papst-Besuches 2008 in Frankreich einen Artikel veröffentlicht hatte, in dem der Jesus zugeschriebene Satz „Lasset die Kindlein zu mir kommen“ mit dem Skandal des pädophilen Missbrauchs von Jugendlichen durch katholische Kleriker in Verbindung gebracht wurde. Auch dieser Prozess ging zugunsten der Pressefreiheit des Blattes aus. Auch der rechtsextremistische Front National von Marine Le Pen hatte nicht versäumt, Charlie Hebdo gerichtlich zu verklagen, glücklicherweise ebenfalls vergeblich. Da hatte die Zeitschrift auf der Titelseite eine französische Fahne veröffentlicht, auf der in der Mitte ein brauner Misthaufen dampfte, verknüpft mit der Inschrift „Marine Le Pen, die Kandidatin, die euch vereinigt“.

2011 kündigte der Verlag nach dem Wahlerfolg der islamistischen Ennadha-Partei in Tunesien ein Sonderheft zum Thema Islamismus an. Darin war scherzhaft Mohamed zum Gast-Chefredakteur ernannt worden, der in einer Karikatur auf der Titelseite äußerte: „Wenn ihr euch nicht totlacht, gibt es hundert Peitschenhiebe“. Dies hatte am 2. November 2011 einen Brandanschlag auf die Redaktion zur Folge. Glücklicherweise wurde niemand verletzt, aber die Redaktionsräume waren unbenutzbar geworden. Die Blattmacher mussten zwei Monate lang die Gastfreundschaft der linken Tageszeitung „Libération“ in Anspruch nehmen.

Mehrere Mitglieder des Charlie Hebdo Teams unterhielten gute Beziehungen zur kommunistischen Tageszeitung „Humanité“ und deren Wochenendausgabe „Humanité Dimanche“. Sie waren zeitweilig, ohne Kommunisten zu sein oder der PCF anzugehören, regelmäßige oder gelegentliche Mitarbeiter der „Huma“. So der Zeichner Georges Wolinski, der von 1977 - 1984 regelmäßiger Comic-Zeichner auf der 1. Seite der „Huma“ war, bevor er wieder in die Redaktion von Charlie Hebdo eintrat. Nach mehrfachen Kuba-Besuchen war Wolinski in den 90er Jahren auch ein aktiver Förderer von Hilfsprojekten für kubanische Kinder („Ein Schiff für Kuba“) und ein entschiedener Gegner der US-amerikanischen Blockade der Insel geworden. Er war Ehrenpräsident der damals neu geschaffenen Vereinigung Cuba Si France. Auch die Zeichner Cabu (Jean Cabut), Charb (Stéphane Charbonnier, seit 2009 Publikationschef von Charlie) und Tignous (Bermard Verlhac) sowie der Wirtschafts-Chronist Bernard Maris, die wie Wolinski bei dem Attentat getötet wurden, gehörten zu den regelmäßigen oder gelegentlichen Mitarbeitern der „Humanité“ und zu den regelmäßigen Besuchern und Gästen des jährlichen zentralen Huma-Pressefestes in Paris, auf dem Charlie Hebdo einen eigenen Stand hatte..

Am 8.1. veröffentlichte die „Humanité“ folgende Kurzbeschreibung von Charlie Hebdo: „Hier in der Redaktion der Humanité herrschen Schmerz und Wut. Die Comic-Streifen von Charlie, das waren unsere Kampfgefährten, unsere Brüder mit der Feder, um Dummheit und Ignoranz anzuprangern. Sich zu empören. Die Pfaffen und die Unternehmerbosse zu verspotten. Die Rassisten aller Sorten, die Dunkelmänner aller Art zu verkloppen, die Machos und die Drecksäcke zu verhöhnen…

Eine bissige linke Zeitschrift, die die Satire handhabte wie keine andere. Diejenigen, die durch den Hass und die Dummheit ermordet wurden, waren dabei, eine Sondernummer gegen Rassismus zu schreiben und zu zeichnen. Da kommen uns Titelseiten in Erinnerung, lustige und grausame, die Woche für Woche mit einer wohltuenden Hartnäckigkeit alle die Sarkozys, Hollandes, Valls, Copés, die Le Pens Vater und Tochter, Tapie, DSK, Zemmour oder Nabilla an den Pranger stellten. Aber auch die Merkel, Putin, den Papst, den Fußball, die Religionsdiener in Prunk, mit Bart oder mit der Neigung zur braunen Kutte, die Wahl der Miss Frankreich…

An die Humanité schickten uns Luz, Babouze, Jul und Charb, ein Teil der scharfsinnigen Mannschaft von Charlie, je nach Tag, ihre Zeichnungen. Eine brandaktuelle Zeichnung, um zu kommentieren, zusammenzufassen, den roten Faden aus einer überschäumenden Aktualität aufzugreifen, den Zustand der Welt mit einigen wenigen Worten zu schildern… Schwer sich zu sagen, dass man Wolinski nicht mehr auf dem Fest der Huma begegnen wird, einen Bleistift in der Hand, einen Mochito in der anderen. Das waren liebenswerte Typen, böse Strolche, die über alles lachten. Aufmerksam gegenüber der Welt, besorgt und hellsichtig, hatten sie den Humor und den Spott gewählt, um den Integrismus und den Faschismus, die Dummheit und den Hass anzuprangern. Mit treffenden Strichen aus Filzstift und Füller. Manchmal fragwürdige Späße, aber immer absolut komisch.“

Text: Pierre Poulain    Foto: Olivier Ortelpa

Charlie Hebdo Honore 07012015
„Die besten Wünsche zum Fest – auch für Al Baghdadi. Und vor allem Gesundheit!“

Die letzte Karrikatur von Honoré, verbreitet am 7. Januar 2015 um 11.28 von Charlie Hebdo per Twitter wenige Minuten vor dem Attentat, seitdem tausendfach per Internet weiterverbreitet und zum Symbol für die Freiheit der Meinungsäußerung geworden.


 

Carb Humanite Dimanche 2015
Die letzte Karrikatur von Carb in der „Humanité Dimanche“ vom 8. Januar 2015
Stimme aus dem Radio: „Die Kälte hat wieder einen Obdachlosen getötet“ – Reaktion: „Was?! – Es ist nicht die Kälte, die tötet! Es ist das Fehlen von Wohnungen und Sozialpolitik!!“ – Zweite Person: „Vorsicht! Sich in Wut zu versetzen, verbrennt Kalorien. Sie werden den Winter nicht überstehen…“


Wolinski Humanite arbeiterklasse

Nichts ist zu schön für die Arbeiterklasse“ – Zeichnung von Georges Wolinski für die „Humanité“


 

Wolinski Humanite kuba

Karrikatur von Charlos Latuff mit der Forderung „Hebt das Embargo auf“, „Humanité“, 7. Februar 2012


 

Charlie Hebdo Sondernummer

Charlie Hebdo – Sondernummer: Mohamed von den Integristen übertroffen - Sprechblase: „Es ist hart, von Idioten geliebt zu werden“