Europa

14.12.2015: Ende November hat das Parlament in Athen die von der Eurogruppe geforderten "prior actions" beschlossen. Besonders umstritten war das Thema der Zwangsräumungen bei Zahlungsverzug von Immobilienkrediten. Wer dachte, damit ist die Angelegenheit erledigt, hat sich getäuscht. Jetzt verlangen die Gläubiger mehr "prior actions", damit Griechenland die neuen Kredite erhalten könne. ESM-Chef Regling droht wieder einmal mit Grexit.


In der Nacht auf den 20. November hat das griechische Parlament in einem Eilverfahren einem weiteren Austeritätspaket zugestimmt. Die Eurogruppe hatte den Abgeordneten wenig Spielraum gelassen. Zwei SYRIZA-Abgeordnete stimmten gegen die Regierungsvorlage – und gaben ihr Parlamentsmandat zurück. Einer davon war der ehemalige Regierungssprecher Gavriil Sakellaridis, ein Jugendfreund von Tsipras, Parteimitglied seit seiner Studienzeit und Mitglied der Fraktion 53+. Er begründete seinen Rücktritt damit, dass er die Sanierungspolitik der Regierung nicht länger unterstützen könne. Er kündigte seinen Rückzug aus der Politik an. Der Verlust wiegt auch deswegen schwer, weil der populäre 35-Jährige in Athen für SYRIZA überraschen viele Stimmen bei den Kommunalwahlen im Mai 2014 geholt hatte - in der Stichwahl verlor er mit 48,4% nur knapp gegen den amtierenden Bürgermeister.

Zwangsversteigerung von Immobilien: Nur 6 Prozent werden keinen Schutz haben

Besonders umstritten war der Umgang mit faulen Immobilienkrediten. (siehe Geier-Fonds über Griechenlands Wohnungen) Ungefähr 320.000 Wohnungsbesitzer sind mit ihren Ratenzahlungen im Rückstand. Bislang waren sie vor der Zwangsräumung aus ihrem Hauptwohnsitz geschützt. Die Gläubiger, angeführt von der Eurogruppe, verlangten als bedingung für die Kredite zur Sanierung der Banken die rasche Zwangsversteigerung Troika bei den faul gewordenen Krediten und die Pfändung aller vorhandenen Sicherheiten bei den Kreditnehmern. Nach den Vorschlägen der Quadriga - Troika + ESM – wären ca. achtzig Prozent der betroffenen Kreditnehmer von Zwangsversteigerung ihrer Wohnungen betroffen gewesen. Premierminister Alexis Tsipras hatte bei seiner Wiederwahl versprochen, die Härten, die die Vereinbarung mit der Eurogruppe für die Bevölkerung mit sich bringen, abzumildern. Er werde nicht zulassen, dass es zu "massenhaften Zwangsräumungen" komme, so Tsipras.

Genau dies werde jetzt erfolgen, behaupten die griechischen Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten. In ihrer scheinheiligen Kritik – denn die früheren ND- PASOK-Regierungen hatten der Eurogruppe zugesagt, das Verbot der Zwangsräumung des Hauptwohnsitzes aufzuheben, und dann von Tsipras stets verlangt, ein Abkommen mit den internationalen Gläubigern um jeden Preis anzustreben - klagen sie die Regierung der "sozialen Kälte" an.

Wie ist die tatsächliche Lage:

  • Für diejenigen, die bereits vor Gericht – nach dem sog. Katseli-Gesetz – einen Schutz vor Zwangsräumung erhalten haben, bleibt dieser Schutz bestehen.
  • Auch jene Wohnungsbesitzer, deren Wohnung weniger als 170.000 Euro wert sind und die bei zwei Kindern über ein monatliches Familieneinkommen von brutto 1.720 Euro verfügen, sind künftig von der Zwangsvollstreckung ausgenommen. Dies betrifft 58.000 Familien bzw. 25% derjenigen, die mit ihren Immobilienkrediten im Verzug sind.
  • Eine weitere Gruppe (81.000 Familien bzw. 35%), deren Wohnung weniger als 240.000 Euro wert ist und deren Einkommen (Familie mit zwei Kindern) monatlich 3.000 Euro nicht übersteigt Immobilie den Einkommen etwas höher ist, kann mit den Banken über individuelle Lösungen verhandeln. Für diese Gruppe ist wichtig, dass für die Vereinbarung mit der Bank der aktuelle Marktwert und nicht der Preis zum Zeitpunkt des Kaufs in Anrechnung kommt. Dies ist eine Form des Schuldenschnitts. Seit Beginn der Krise sind die Immobilienpreise in Griechenland um 40 – 60 % gesunken.

Der griechische Finanzministers Efklidis Tsakalotos verdeutlicht diesen Schuldenschnitt der Banken an einem Beispiel: Wenn eine Immobilie einen Beleihungswert in Höhe von € 100.000,- hatte und jetzt einen aktuellen Verkehrswert in Höhe von € 50.000,– hat, wird die Bank in diesem Fall in drei Jahren einen Schuldenschnitt vornehmen. Für die Berechnung der monatlichen Belastung des Darlehensnehmers wird dann ein Kapital zugrunde gelegt, das dem Betrag entspricht, den die Bank bei einer Zwangsmaßnahme erzielen würde.

Nach Tsakalotos verteilen sich die Einkommen wie folgt:
•    85,5% der Bevölkerung gibt als Jahreseinkommen einen Betrag bis 23.000,- € an
•    89% der Bevölkerung gibt als Jahreseinkommen einen Betrag bis 29.000,- € an
•    94% der Bevölkerung gibt als Jahreseinkommen einen Betrag bis 35.000,- € an

Der Finanzminister kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass aufgrund dieser Einkommensverhältnisse auch die Mittelschicht vor Zwangsräumungen geschützt wird. Lediglich sechs Prozent der säumigen Immobilienschuldner werden keinen Schutz haben, das sind diejenigen, mit mehr als 35.000,- € Familieneinkommen.

Auf einer Pressekonferenz sagte Finanzministers Tsakalotos, dass das beschlossene Gesetz die Lasten der Umstrukturierung verteilt und zwar auf a) die Steuerzahler, b) die Banken, die einen Schuldenschnitt akzeptieren und c) die Darlehensnehmer, die zahlen können. "Die Haushalte werden 5% – 10% ihres Einkommens zur Tilgung ihres Immobilienkredits bezahlen", sagte er.

Der Generalstreik am 12. November und die Demonstrationen gegen die Austeritätspolitik haben der Regierung bei den Verhandlungen den Rücken gestärkt. "Die Kämpfe gegen die extrem neoliberale und volksfeindlichen Politik gehen verstärkt weiter. Wir fordern unsere fundamentale Rechte für Arbeit, die grundlegende Wiedereinführung der Kollektivverträge, die Beibehaltung des Umverteilungsmechanismus der Sozialversicherung, den Schutz des ersten Wohnsitzes, anständige Pensionen und Löhne, Gesundheit und Bildung für Alle“, hatte es im Aufruf von SYRIZA geheißen.

Rentenreform: Beschäftigte im Tourismussektor und Jugendliche künftig ohne Rente?

Aber kaum ist die Schlacht um den Schutz der Wohnungen geschlagen, steht der nächste Konflikt an. Griechenland könne die nächste Tranche in Höhe von 1 Mrd. Euro nur erhalten, wenn noch im Dezember weitere 13 prior actions erfüllt werden, sagte Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. Zu diesem Paket gehören unter anderem die Schaffung einer neuen Institution zur Privatisierung von Staatseigentum und die umfassende Reform des unterfinanzierten griechischen Sozialversicherungssystems.

Besonders kontrovers sind die Kürzungen und Reformen bei den Renten. Arbeitsminister Georgios Katrougalos will niedrige Pensionen von weiteren Kürzungen ausnehmen, Kürzungen soll es erst bei Renten über 1.500 Euro geben.

Bei einem Treffen mit dem Arbeitsminister legten jetzt die VertreterInnen der Quadriga ihre Forderungen auf den Tisch: Nicht nur, dass sie die Kürzung aller Renten verlangen, fordern sie auch, dass künftig 20 anstatt 15 Jahre in die Rentenkasse einbezahlt werden muss, um später eine Rente zu erhalten. D.h. die Zahl der für eine Rente erforderlichen "Rentenmarken" soll von 4.500 auf 6.000 erhöht werden. "Die Voraussetzung von 4.500 Marken bietet keinen Anreiz für Angestellte, um auf dem Arbeitsmarkt zu bleiben", meinten die Abgesandten aus Brüssel.

In Wirklichkeit würde diese Änderung Tausende von befristet Beschäftigten, insbesondere im Tourismussektor , dem Risiko aussetzen, niemals eine Rente zu erhalten. Bei einer üblicherweise sechsmonatigen Beschäftigung im Jahr könnten sie kaum 6.000 Rentenmarken einzahlen. Dies gilt aber auch für die Beschäftigten in der Landwirtschaft und auf dem Bau. Dazu kommen die arbeitslosen Jugendlichen: Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 50% würden große Teile der Jugend später keine Rente erhalten.

ESM-Chef Regling: Grexit, falls Reformen scheitern

Um den Druck gegen die griechische Regierung weiter aufzubauen, wird Schäubles Lieblingsvariante Grexit wieder hervorgeholt. In einem Interview in der gestrigen Sonntagsausgabe von To Vima Sunday sagte der Chef des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), Klaus Reling, dass die Möglichkeit des Grexit bestehenbleibt, falls Greichenland die "Verpflichtungen als ein Mitglied der Währungsunion nicht respektiert" und die Reformen vernachlässigt werden.

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