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Helikopter25.04.2018: türkische Kampfjets bedrängen Hubrschrauber mit Tsipras an Bord ++ Warnschüsse der griechischen Küstenwache ++ Wettrüsten in der Ägäis ++ Erdoğan will Revision des Vertrags von Lausanne ++ Fotis Kouvelis (stellvertretender Verteidigungsminister Griechenlands): "Wir sind in einem nichterklärten Krieg in der Ägäis"

Anfang Februar hatte der Chefberater des türkischen Präsidenten Recep Erdoğan, Yigit Bulut, gedroht, dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras die "Beine zu brechen", wenn er seinen Fuß auf Imia, eine von der Türkei beanspruchte griechische Insel, setze. Vergangene Woche besuchten Tsipras und der griechische Chefadmiral Evangelos Apostolakis die Insel Ro. Auf dem Rückflug zurück nach Rhodos wurde ihr Chinook Hubschrauber von zwei türkischen Militärjets bedrängt. Der Hubschrauberpilot alarmierte die griechische Luftwaffe, die mit zwei Kampfjets dem griechischen Regierungschef zu Hilfe kam und die türkischen Kampfflugzeuge zum Abdrehen brachten.

Bereits am 9. April war ein türkischer Militärhubschrauber im Tiefflug auf die griechische Insel Ro zugeflogen und hatten erst nach Warnschüssen der griechischen Küstenwache abgedreht.

Griechische Inseln Tuerkei

Die kleine Insel Ro (türkisch: Kara Ada) liegt nahe der Insel Kastelorizo, 125 km östlich von Rhodos, und war in den 1920er Jahren zwischen Italien und der Türkei umstritten. Der Streit wurde 1932 im Nachgang zum Vertrag von Lausanne mit einem Vertrag zwischen Italien und der Türkei gelöst: die Inseln Kastelorizo, Ro und Strongyli kamen zu Italien, die anderen Inseln zur Türkei. 1947 wurden im Vertrag von Paris die drei Inseln wie alle italienischen Agäis-Inseln Griechenland zugeschlagen. Seit in dem Gebiet große Gasvorkommen gefunden wurden, eskaliert der jahrzehntelange Streit um die zum Teil unbewohnten Inseln in der Ägäis; die Türkei will die Grenzen nicht mehr anerkennen.


Die jüngste Provokation gegen den Flug von Tsipras war nur eine von vielen Zwischenfällen in der jüngsten Zeit. Flugzeuge der türkischen Luftwaffe verletzen regelmäßig griechischen Luftraum. Vor zwei Wochen war ein griechischer Kampfjetpilot nach einem der täglichen Abfangmanöver gegen türkische Militärjets abgestürzt und ums Leben gekommen. Türkische Kriegsschiffe ignorieren die territorialen Gewässer Griechenlands rund um die kleinen Inseln, die die Türkei für sich beansprucht.

Am 12. Februar rammte ein türkisches Kriegsschiff ein griechisches Patrouillenboot vor der Insel Imia in griechischen Hoheitsgewässern. Das türkische Außenministerium legte mittlerweile noch nach und erklärte, die Türkei beanspruche die vollständige Souveränität über Imia, eine unbewohnte Insel, wegen der Griechenland und die Türkei 1996 kurz vor einem Krieg gestanden waren.

Fotis Kouvelis"Wir sind in einem nichterklärten Krieg in der Ägäis"
Fotis Kouvelis (Demokratische Linke DIMAR), stellvertretender Verteidigungsminister Griechenlands
   



Anfang Februar verhinderten fünf türkische Kriegsschiffe Probebohrungen eines vom italienischen Energieunternehmen ENI gemieteten Bohrschiffes, das nordöstlich von Zypern nach Gas hätte suchen sollen. Erdoğan beansprucht diese Gasvorräte für die Türkei und warnt vor weiterer Erdgassuche. Diese 'Warnung' richtet er nicht nur an Griechenland, sondern auch an Zypern und internationale Gaskonzerne. ENI ist einer von sechs Öl-Multis - darunter Qatar Petroleum, Frankreichs Total und ExxonMobil -, die Verträge zur Suche nach Gasvorkommen auf dem Kontinentalsockel von Zypern haben. Ausländische Firmen sollten der griechischen Seite nicht vertrauen und sich nicht für Aktionen einspannen lassen, "die ihre Befugnisse und ihre Macht überschreiten", so der türkische Premier.

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Der türkische Außenminister Mevlut Çavuşoğlu bekräftigte am 4. Februar in einem Interview mit der griechischen Zeitung»Kathimerini« die Ansprüche der Türkei auf die Gebiete, in denen Zypern nach Gas sucht. Dieses Gebiet würde zum türkischen Kontinentalsockel gehören, behauptet er, alle internationalen Vereinbarungen ignorierend. Die Türkei sei bereit, "alle erforderlichen Maßnahmen" zum Schutz der Eigentümerrechte der türkischen Zyprioten und der Türkei zu unternehmen, drohte er in Richtung Athen und Nikosia.

Im März waren zwei griechische Soldaten vom türkischen Militär festgenommen worden, nachdem sich diese nach Angaben Athens im Nebel verirrt und unbeabsichtigt die Grenzlinie übertreten hatten. Die Soldaten sitzen seitdem wegen des Verdachtes der Spionage in türkischer Haft. Die türkische Regierung hat nun vorgeschlagen, diese zwei Soldaten gegen acht türkische Offiziere auszutauschen, die in Griechenland Asyl beantragt haben. Athen hat diesen Kuhhandel zurückgewiesen. Das oberste Gericht hat die Auslieferung der Offiziere mit Verweis auf die Menschenrechtslage in der Türkei abgelehnt.

Erdoğan will Revision des Vertrags von Lausanne

Tuerkei Neuosmanisches ReichBereits bei seinem Griechenlandbesuch im Dezember 2016 hatte Erdoğan eine Revision des Vertrags von Lausanne aus dem Jahr 1923 verlangt. Dieser Vertrag definiert die Grenzen zwischen der Türkei und Griechenland und garantiert die Rechte der griechischen und muslimischen Minderheiten in den beiden Ländern. "In Lausanne haben wir Inseln aufgegeben, die so nah sind, dass deine Stimme zu hören ist, wenn man zu ihnen rüber ruft", sagte Erdoğan damals in einem Interview mit der griechischen Zeitung »Kathimerini«. Das seien unfaire Zustände, die Türkei habe einen Anspruch auf die Inseln in der Ägäis.

Erdoğan macht seit längerem klar, was das langfristige Ziel seiner Politik ist: Ein großtürkisches Reich nach dem Vorbild des Imperiums der Osmanen. Ende März hat er auf einer Veranstaltung seiner AKP erklärt, er werde "definitiv eine Großtürkei" errichten. "Wenn es nötig wird, werden wir dafür sterben oder andere Leben nehmen." (Huffington Post: "Erdogans Säbelrasseln: Griechischer Minister droht Türkei mit Krieg")

Bisher hat sich Erdoğans Kriegspolitik dabei auf seine Nachbarn im Nahen Osten beschränkt. Nach dem Sieg in Afrin droht die Türkei nun auch einem Land in Europa und eskaliert den Konflikt.

 Griechenland - Türkei vor einem NATO-internen Krieg?

"Griechenland und die Türkei treiben langsam zum Krieg", schreibt Yiannis Baboulias in »Foreign Policy«. Die Türkei bezeichne die umstrittenen Inseln als »graue Zonen«, während Griechenland in Übereinstimmung mit dem Vertrag von Lausanne und dem internationalen Recht keine solchen »grauen Zonen« anerkennt, schreibt Baboulias. Erdoğan und seine Partei würden eine immer aggressiver werdende Rhetorik gegen Griechenland führen, und die größte Oppositionspartei CHP werde jetzt von Kemal Kilicdaroglu angeführt, einem Mann, der die Rückgabe von 18 türkischen Inseln fordert, die derzeit von Griechenland besetzt seien. Baboulias erinnert an 1996, als es um die Insel Imia beinahe zu einem Krieg zwischen Griechenland und der Türkei gekommen wäre. Drei griechische Soldaten starben, als türkische Truppen die Insel besetzen wollten. Nur durch das Eingreifen der US-Regierung sei der Krieg verhindert worden. Heute würden die beiden NATO-Partner wieder am Rande eines Krieges stehen, aber in Washington gebe es niemanden, der das stoppen könne, so Baboulias. (Foreign Policy: "Greece and Turkey Are Inching Toward War")

Griechenland mietet französische Fregatten

Anfang April ordnete Griechenlands Verteidigungsminister Panos Kammenos von der rechtskonservativen Koalitionspartei Anel (Unabhängige Griechen) die Entsendung zusätzlicher Einheiten in das griechisch-türkische Grenzgebiet an. “Unsere Armee ist bereit, jede Herausforderung anzunehmen, wenn unsere Integrität bedroht wird”, sagte Kammenos. Wie die griechische Zeitung »Kathimerini« berichtet, mietet die griechische Kriegsmarine zur Verstärkung ihrer Verteidigungskapazitäten von Frankreich zwei mit Cruise Missile ausgerüstete Fregatten. (Kathimerini: "Athens to bolster defense capabilities with two French frigates")

Dabei ist die Ägäis bereits jetzt die Zone mit der weltweit höchsten Konzentration von High-Tech-Waffensystemen. Über siebenundsechzig Kriegsschiffe und zwei Dutzende Unterseeboote verfügen die zwei sich gegenüberstehenden NATO-Partner. Die Luftwaffen der beiden Länder kommandieren über 448 mit »intelligenten« Bomben und Raketen ausgerüstete Kampfflugzeuge. An Land können an der nur 170 km langen Grenze 832 schwere Panzer und mehr als 2.500 leichtere Artilleriepanzer aufgefahren werden.

Tuerkei KriegsschiffDie militärischen Kapazitäten sind jedoch sehr ungleich verteilt. John Psaropoulos schreibt in «the weekly Standard«: "Die Verteidigungsfähigkeiten der Türkei haben sich mit seiner Wirtschaft gesteigert, während diejenigen Griechenlands infolge seiner achtjährigen Depression gelitten haben. Im letzten Jahr hat die Türkei 15,8 Milliarden USD für die Verteidigung ausgegeben; Griechenland konnte nur 5,4 Milliarden USD ausgeben, und fast nichts davon waren Investition in neuen Waffen. Tatsächlich hat Griechenland seine Verteidigungsausgaben im letzten Jahrzehnt um 40 Prozent gekürzt. Das bedeutet, dass es kein Geld für die Beschaffung außer für Munition ausgegeben hat." (the weekly Standard: "Greece vs. Turkey: Are We Headed for an Intra-NATO War?")

Die Hoffnung der griechischen Seite, dass die NATO zur Lösung des Konflikts zwischen den beiden NATO-Mitgliedern beitragen würde, wurde bisher enttäuscht. Für die NATO hat die Türkei Priorität. Sie will verhindern, dass Erdoğan dem Werben Russlands nachgibt und die Seiten wechselt. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg teilte Athen mit, dass Athen selbst Wege zur Freilassung seiner Soldaten finden müsse. Die NATO lehnt auch jede formelle Position zu den Verträgen von Lausanne und Paris ab - was den Expansionsdrang der Türkei nur steigert. Die Anbiederung der NATO an die Türkei geht sogar so weit, dass ihr Generalsekretär Stoltenberg die Türkei für ihren Angriff auf Afrin nicht nur nicht kritisiert, sondern die Türkei gelobt hat. "Die Türkei trägt zu unserer kollektiven Sicherheit, zu unseren Missionen und Operationen auf viele verschiedene Weisen bei. Ich bedanke mich bei der Türkei dafür", sagte Stoltenberg der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur »Anadolu« im März.

Die Europäische Union hat zwar beim Treffen der Regierungschefs im März "das anhaltende rechtswidrige Vorgehen der Türkei im östlichen Mittelmeer und in der Ägäis scharf" verurteilt und "seine uneingeschränkte Solidarität mit Zypern und Griechenland" unterstrichen, aber ansonsten läuft der Schulterschluss mit Erdoğan weiter. (siehe auf kommunisten.de: "Mini-Gipfel EU-Türkei: Drei Milliarden und den Schein der Demokratie für Erdoğan")

Christos Rozakis, Präsident des »Administrative Tribunal of the Council of Europe« in Strasbourg und einer der führenden Experten Griechenlands für internationales Recht, äußert, dass die EU durch den Flüchtlingsdeal mit Erdoğan sich in die Situation einer Geisel gebracht und gleichzeitig die griechischen Ägäis-Inseln zu einer Pufferzone gemacht habe, in der die Flüchtlinge festgehalten werden. Das habe die Grenzen Europas vom Zentrum weggeschoben und die östliche Ägäis an die Gnade der türkischen Bereitwilligkeit ausgeliefert.

"Mit dem unberechenbaren Verhalten der Türkei, das sich in die Ägäis ausbreitet, beginnen einige Griechen sich zu fragen, ob sie gezwungen werden, zu kämpfen, um ihre gegenwärtigen Grenzen zu bewahren", sagt Rozakis und setzt hinzu, dass sich Griechenland auf alles vorbereiten sollte. "Wir sind jetzt am Höhepunkt des Problems. Ich fürchte, dass von jetzt an, nichts als gegeben betrachtet werden kann. Wir haben Erdoğan, einen unberechenbaren Mann. Wir haben keine Ahnung, was er morgen tun wird." (nach »the weekly Standard«: "Greece vs. Turkey: Are We Headed for an Intra-NATO War?")


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