Europa

Norwegen Stortingvon Holger Pötzsch, Tromsø (Norwegen)

19.10.2021: Der Staub hat sich gelegt und die Katze ist aus dem Sack: Norwegen bekommt eine neue Regierung. Nicht unerwartet bilden die Arbeiterpartei unter Jonas Gahr Støre (AP) und die Zentrumspartei (SP) unter Trygve Slagsvold Vedum eine Minderheitskoalition. Die Sozialistischen Linkspartei SV und die linke Rødt beteiligen sich nicht. Hier ein paar Anmerkung zur Frage, was das zur Folge haben kann.

 

Die Nachricht einer Einigung auf einen Koalitionsvertrag für eine Mitte-Links Regierung zwischen den norwegischen Sozialdemokraten und den Zentristen schlug zwar nicht wie eine Bombe ein, einige der Verhandlungsresultate machten aber dennoch schnell Schlagzeilen. Wie häufig zeigte ein zweites Hinsehen jedoch schnell, d­­­­ass es wenig Grund zur Aufregung gibt im Ölland am Polarkreis. Vieles geht weiter wie bisher, ein paar vorsichtige Änderungen werden angekündigt und es wurde Spielraum gelassen für Verhandlungen mit der Sozialistischen Linkspartei (SV), die sich aus den Koalitionsverhandlungen zurückgezogen hatte, als linker Mehrheitsbeschaffer aber weiter eine zentrale Rolle spielen wird.

Norwegen Storting
Norwegen, was nun?
Norwegen Rodt
Norwegen wendet sich nach links. Wird jetzt der Ausstieg aus dem Öl eingeleitet?
  

 

Hier ein paar Details.

Die Arbeiterpartei war mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen, das gesammelte Steuer- und Abgabenniveau in der nächsten Legislaturperiode nicht anheben zu wollen. Wie von Rødt und SV bereits im Wahlkampf mehrfach betont, bedeutet dieses Versprechen ein Festschreiben der Steuererleichterungen von insgesamt 38 Milliarden Kronen, die die konservative Regierung seit 2013 durchgepeitscht hatte und die vor allem Besserverdienenden und Vermögenden zu Gute gekommen war. Dieses Versprechen wurde von Jonas Gahr Støres AP gehalten. Das Gesamtvolumen der Steuern und Abgaben soll die kommenden vier Jahre nicht erhöht werden, sagt der Koalitionsvertrag.

Umverteilung der Steuer- und Abgabenlast zu Gunsten von niedrigen Einkommen

Ein Aufschrei auf der Linken blieb dennoch weitestgehend aus. Das hat zwei Gründe. Zum einen legt der Koalitionsvertrag fest, dass eine Umverteilung der Steuer- und Abgabenlast zu Gunsten von niedrigen Einkommen durchaus vorgesehen ist, auch wenn das Gesamtvolumen unangetastet bleiben soll. So soll z.B. die Einkommenssteuer für niedrige und mittlere Einkommen gesenkt, die für hohe Einkommen erhöht werden. Auch die Vermögenssteuer soll angehoben werden während zugleich die Befreiungsgrenze erhöht wird. Auch Abgaben, die ja sozial notorisch schief treffen, sollen abgebaut oder sozialverträglich umgelegt werden. So muss der Teslabesitzer jetzt damit rechnen mehr KFZ-Abgaben zu bezahlen als der Besitzer eines alten E-Golfs.

Dennoch bleibt die Frage offen, wie die enormen Kosten der Pandemiebekämpfung und eines notwendigen Wiederausbaus des Wohlfahrtsstaates sozialverträglich zu bezahlen sein werden, wenn keine Steuern erhöht werden sollen. Hier kommt der zweite Grund für einen bislang fehlenden Aufschrei von Links ins Spiel: Die Rolle von SV als Mehrheitsbeschaffer und von Rødt als einer Opposition, die SV von links unter Druck zu setzen vermag.

SV hatte die Koalitionsverhandlungen auch aufgrund der steuerpolitischen Position der Sozialdemokraten verlassen. Durch ihr Verhandlungsresultat hat sich die Minderheitskoalition jetzt einen guten Ausgangspunkt geschaffen, um SV einen Sieg überlassen zu können, der der Regierung höhere Einnahmen sichert und es ihnen zugleich ermöglicht ihre Wahlkampfversprechen offiziell zu halten. Es wird spannend zu verfolgen, wie die Verhandlungen um den norwegischen Staatshaushalt ausfallen werden.

keine weiteren Privatisierungen 

Soweit, wie erwartet. Die Hurdalsplatform, wie der Koalitionsvertrag aufgrund des Verhandlungsortes genannt wird, schreibt auch fest, weiterer Privatisierungen bei Bahn, im Pflege- und Gesundheitsbereich, sowie bei Schulen und Kindergärten aktiv entgegenzuwirken und diese in Teilbereichen sogar etwas zurückzufahren. Dieser Punkt war besonders wichtig für SP deren distriktspolitischer Fokus, also eine besondere Aufmerksamkeit für strukturschwache Gebiete im Norden und Westen des Landes, im Wahlkampf von großer Bedeutung war und der sich mit auf Profitmaximierung ausgelegten privatwirtschaftlichen Interessen eher schlecht verträgt. Preise für Fähren, die für ein Leben entlang der zerklüfteten Küste Norwegens unerlässlich sind, sollen halbiert und auf wenig genutzten Strecken gänzlich erlassen werden. Es soll auch mehr Geld für Bauern geben, die ein Kernklientel der Zentristen darstellen, und deren Einkommen während der letzten acht Jahre systematisch reduziert worden waren.

'weiter so' in der Öl- und damit der Klimapolitik

Alles gut also? Nicht ganz. Man will weiter nach neuen Öl- und Gasvorkommen suchen und diesen Teil der Industrie eher um- denn abbauen. Ein leicht durchschaubarer Euphemismus für ein großes 'weiter so' in der Öl- und damit der Klimapolitik. Natürlich: Irgendwo muss das Geld für Pandemie, Sozialstaat und anderes ja herkommen. Auch hier lag einer der Hauptgründe für ein Ausscheiden von SV aus den Koalitionsverhandlungen. Es wird auch kein Verbot, allerdings eine Beschneidung, privater Arbeitsvermittler geben, denen vor allem Verantwortung für verstärktes Lohndumping, erhöhte Nutzung von Kurzzeitverträgen und schlechtere Arbeitsbedingungen zugeschrieben wird.

Ein paar weitere Punkte, die in Norwegen einiges an Symbolwert erreicht haben und die bezeugen, dass sich die Koalition gemäß ihren Versprechen daran macht den Zentralisierungseifer ihrer konservativen Vorgänger ein Ende zu setzen: Die Fachhochschule in Nesna, deren Schießung symbolisch für den schweren Stand höherer Bildungseinrichtungen in strukturschwachen Gebieten unter der Regierung Solberg war, wird weitergeführt. Daneben wird die Schließung von regionalen Polizeiwachen, Entbindungskliniken und kommunalen Einrichtungen in vielen Fällen umgekehrt. Besonders diese Punkte sind das Resultat direkter Mobilisierung durch soziale Bewegungen, die sowohl wertkonservative als auch radikale Kräfte im Kampf für ihre lokalen Einrichtungen vereint hatte und die als Bunadsguerilla (Trachtenguerilla) im Wahlkampf für einige Furore gesorgt hatte.

Zuletzt zu den großen Fragezeichen des Koalitionsvertrages: Wieso nimmt die neue Regierung nicht die Schließung des Ullevål-Krankenhauses in Oslo zurück und legt sich stattdessen auf den finanziell, sozioökonomisch und medizinisch komplett sinnlosen und überteuerten Umzug nach Gaustad fest? Und warum wird es statt eines klaren Umsteuerns nur einen Ausschuss zum Thema New Public Management im Gesundheitswesens geben, obwohl dessen Schwächen nicht erst seit der Pandemie für alle mehr als deutlich sichtbar geworden sind und im Wahlkampf umfassend kritisch beleuchtet worden waren?

Die Arbeiterpartei ist eine Machtpartei, die unterschiedlichste Gruppen und Interessen zu vereinen versucht. Das ist sicher wichtig für eine Volkspartei, schafft aber auch, wie die Beispiele oben zeigen, erhebliche Probleme, wenn es zu Konflikten zwischen allgemeinen und oft finanziellen Partikularinteressen kommt. Vor allem in solchen Fragen werden die Sozialistische Linkspartei und Rødt in der Opposition eine sehr wichtige Rolle zu spielen haben.