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GR Kuestenwache02.08.2022: Eine am 15. Juli veröffentlichte Untersuchung von Forensic Architecture enthüllt in schockierenden Details das abgrundtiefe Verbrechen der illegalen Rückschiebungen von Flüchtlingen durch die griechische Küstenwache zwischen März 2020 und März 2022 ++ eine unmenschliche Politik, die die Regierung von Premierminister Kyriakos Mitsotakis im Einvernehmen und im Auftrag der Europäischen Union praktiziert ++ FRONTEX und Bundesmarine direkt involviert

 

 Eine am 15. Juli veröffentlichte Untersuchung von Forensic Architecture enthüllt in schockierenden Details das abgrundtiefe Verbrechen der illegalen Rückschiebungen von Flüchtlingen durch die griechische Küstenwache zwischen März 2020 und März 2022 - eine unmenschliche Politik, die die Regierung von Premierminister Kyriakos Mitsotakis im Einvernehmen und im Auftrag der Europäischen Union praktiziert.

Dabei erweist es sich auch als immer richtiger, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache FRONTEX als kriminelle Organisation zu bezeichnen: neue Dokumente zeigen, wie FRONTEX die illegalen griechischen "Pushbacks" von Geflüchteten, bei denen immer wieder Menschen sterben, finanzierte. [1]

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Seit mehr als einem Jahrzehnt sind Flüchtlinge, die das Meer von der Türkei nach Griechenland überqueren, an der südöstlichen Grenze der EU ungeheuerlicher und gut dokumentierter Gewalt ausgesetzt, einschließlich willkürlicher Verhaftung, Schlägen und unterlassener Hilfeleistung.[2]

Neue Methode "Drift-backs"

GR Drift BackSeit März 2020 wird eine neue Methode der gewalttätigen und illegalen Abschreckung praktiziert. "Drift-backs" sind eine neue Form der Abschiebung am Rande der EU, bei der die Geografie der Ägäis als Waffe eingesetzt wird, um Asylbewerber:innen den Schutz zu verwehren. Sie werden in den griechischen Gewässern und auf den Inseln von der griechischen Küstenwache abgefangen, auf Rettungsinseln ohne Motor und in Meeresströmungen ausgesetzt, von denen sie in die Türkei zurückgetrieben werden.

Obwohl "Drift-backs" offenkundig illegal sind und gegen internationale Protokolle verstoßen, einschließlich des unveräußerlichen Rechts, Asyl zu beantragen und Rettung auf See zu suchen, sind sie in der gesamten Ägäis von der Küste des griechischen Festlands bis hin nach Kreta zur Routine geworden und führen häufig zu Verletzungen und Ertrinken.

"Mit jedem Zurückdrängen von Nicht-Europäer:innen im Mittelmeer verkauft Europa weiter seine Seele. Während Europas Seele langsam und schmerzhaft stirbt, bereitet es sich auf größere Unmenschlichkeit gegenüber seinen eigenen Bürger:innen vor. Niemand in Europa sollte ruhig schlafen, während Nichteuropäer:innen in das Massengrab Mittelmeer zurückgedrängt werden. Dieser Alptraum wird uns für immer in unseren Träumen verfolgen.”
Yanis Varoufakis, Abgeordneter im griechischen Parlament

Am 15. Juli veröffentlichte Forensic Architecture[3] ihre neueste, monatelange Untersuchung mit einer interaktiven kartografischen Plattform [4], in der Beweise für 1.018 Drift-Backs in der Ägäis im Zeitraum vom 28. Februar 2020, als der erste Drift-Back-Fall bekannt wurde, bis zum 28. Februar 2022 archiviert, verifiziert und kartiert sind.

forensic architecture Aegis


Mit Handschellen gefesselt ins Meer geworfen

27.464 Menschen wurden auf diese Weise ins Elend zurückgestoßen. In 26 Fällen wurden Personen von der griechischen Küstenwache direkt ins Meer geworfen, ohne dass sie über Schwimmhilfen verfügten. In zwei dieser Fälle wurden die Personen in Handschellen aufgefunden. Elf Personen ertranken nachweislich bei einer Rücktreibaktion, und mindestens vier weitere werden vermisst.

FRONTEX war in 122 dieser Fälle direkt involviert, während sie von 417 Fällen Kenntnis hatte, da sie diese in ihren eigenen operativen Archiven kodiert und als "Einreiseverhinderungen" getarnt hatte. In drei Fällen war das deutsche Kriegsschiff FGS Berlin vor Ort.

"Eine kalkulierte Praxis, bei der sich die Akteure der tödlichen Folgen ihres Handelns bewusst sind."
Forensic Architecture über Drift-Backs

Forensic Architecture schreibt über die Methodik ihrer Untersuchung: "Um diese Praxis zu belegen, haben wir Tausende von Bildern, Videos und GPS-Positionen gesammelt, verifiziert, mit einem Zeitstempel versehen und geografisch verortet, die von Asylsuchenden an Überwachungsstellen wie @alarm_phone und @ABoatReport gesendet haben, oder die von der türkischen Polizei während ihrer 'Rettungs'-Aktionen aufgenommen wurden. Wir führten Interviews mit Überlebenden und Angehörigen und besuchten die Orte, an denen die Gruppen verschwanden, um die physischen Spuren ihrer Landungen zu finden und zu dokumentieren."

Die griechischen Behörden leugnen bis heute, dass es in der Ägäis "Drift-Backs" gibt. Die Ägäis ist nicht nur ein Brennpunkt staatlicher Gewalt, sondern auch ein Versuchsfeld für Möglichkeiten, diese zu verschleiern. Ganze Seegebiete, militarisierte Inseln und unbewohnte Felsen sind für die Zivilbevölkerung unzugänglich und werden ausschließlich vom Militär und der Küstenwache befahren und verwaltet. Rettungskräfte, Aktivist:innen und Journalist:innen, die in der Region tätig sind und über Menschenrechtsverletzungen berichten, wurden von den Behörden wiederholt kriminalisiert und eingeschüchtert. Migrant:innen, die dort abgefangen werden, werden ihre Telefone abgenommen und zerstört, bevor sie selbst verschwinden.

Die griechische Küstenwache nutzt für "Drift-Backs" die Richtung der Meeresströmungen, um Asylbewerber:innen zurückzutreiben, ohne in türkische Hoheitsgewässer eindringen zu müssen. Stattdessen führen natürliche Prozesse und geografische Gegebenheiten des Ägäischen Archipels - Strömungen, Wellen, Winde und unbewohnte Felsen - die Abschiebung durch und entziehen die Täter den Auswirkungen ihrer tödlichen Aktionen. Dabei handelt es sich um "eine systematische, kalkulierte Praxis, bei der sich die Akteure der tödlichen Folgen ihres Handelns bewusst sind", heißt es in der Untersuchung von Forensic Architecture.

“Unsere Studie zeigt das Ausmaß und die Grausamkeit dieses andauernden Verbrechens und errichtet eine Mauer aus Beweisen gegen die zunehmend hohlen Dementis der griechischen Regierung. Sie zeigt, wie die griechische Küstenwache in zynischer Weise den Zweck ihrer Rettungsgeräte umkehrt, indem sie Tausenden von Asylsuchenden den Zugang zur Sicherheit zu verweigert und dem Meer überlässt.”
Stefanos Levidis, Forscher bei Forensic Architecture

 

   
  Hanybal - ABOLISH FRONTEX  

 

 

Anmerkungen

[1] SPIEGEL; 28.7.2022: "Neue Enthüllungen zum Frontex-Skandal. Vertuscht, verschleiert, belogen"
https://www.spiegel.de/ausland/frontex-skandal-um-pushbacks-und-fabrice-leggeri-vertuscht-verschleiert-belogen-a-6f3df3b4-8eef-4ae6-832b-237514cdb9fb

[2] z.B. Pressenza, 19.7.2022: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt Griechenland wegen gekenterten Flüchtlingsboots
https://www.pressenza.com/de/2022/07/europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte-verurteilt-griechenland-wegen-gekenterten-fluechtlingsboots/

[3] Forensic Architecture ist eine 2011 gegründete Rechercheagentur unter Leitung von Eyal Weizman mit Sitz am Centre for Research Architecture, Goldsmiths, University of London. Bei seinen Untersuchungen geht Forensic Architecture von zwei Prämissen aus: Staatliche Gewalt hinterlässt Spuren, und die Entscheidungsträger verfügen über die Macht, sie zu tilgen.
https://forensic-architecture.org/  |  https://twitter.com/ForensicArchi

[4] Forensic Architecture, 15.7.2022: Drift-backs in the Aegean Sea
http://aegean.forensic-architecture.org


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