Im Interview

Hubert_Kniesburges_uz23.08.2012: Zum 1. September ruft der Arbeitskreis auf zum 45. Antikriegstag nach Stukenbrock zu kommen. Die UZ sprach aus diesem Anlass mit Hubert Kniesburges, Vorsitzender des Arbeitskreises „Blumen für Stukenbrock“.

UZ: Wie hat das vor 45 Jahren angefangen?

Hubert Kniesburges: Am 2. September 1967 – 28 Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Überfall der Hitler-Wehrmacht auf Polen – trafen sich zahlreiche Menschen aus Ostwestfalen-Lippe und darüber hinaus „Zum mahnenden Gedenken“, wie es im ersten Aufruf hieß, am Gräberfeld des Sowjetischen Soldatenfriedhofes in Stukenbrock. Das lose Personenbündnis, das die Gedenkfeier organisierte, wollte sich nicht damit abfinden, die Stätte faschistischer Verbrechen dem allmählichen Vergessen preis zugeben.

Für mehr als 300 000 sowjetischer Kriegsgefangener begann von 1941 bis 1945 im Stalag 326 VI- K in der Senne bei Stukenbrock der Leidensweg. 65 000 von ihnen überlebten die unmenschlichen Bedingungen im Lager nicht.

Diese Veranstaltung 1967 war der Beginn der langjährigen, vertrauensvollen Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Kommunisten, von Gewerkschaftern und Christen in der Region. Die Zusammenarbeit orientierte sich an der Mahnung von Stukenbrock: „Hier ruhen sowjetische Kriegstote, die von 1941 bis 1945 fern ihrer Heimat starben. Gedenket ihres Leidens und Sterbens und sorget Ihr, die Ihr noch im Leben steht, dass Frieden bleibt. Frieden zwischen Menschen, Frieden zwischen den Völkern.“

UZ: 1967 – das war mitten im tiefsten Kalten Krieg zwischen West und Ost. Ist der Antikriegstag mit Zustimmung aufgenommen worden?

Hubert Kniesburges: Die überwältigenden Teilnehmerzahlen an den jährlichen Veranstaltungen in Stukenbrock haben den Arbeitskreis in seinem Bemühen, Brücken in den Osten zu bauen, bestätigt. Allerdings wurden Mitglieder dafür auch bespitzelt, beschimpft und bedroht. Denn das politische Klima in der Bundesrepublik war alles andere als günstig für Initiativen zur Verständigung und Freundschaft mit den Völkern Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion. Die Mehrzahl der Menschen haben sich mit dem Kalten Krieg zwischen der NATO und den Warschauer Vertragsstaaten abgefunden. Der Antikommunismus ist bis heute eine der Grundfesten bundesdeutscher Politik.

In dieser Zeit über die Verbrechen der Wehrmacht zu sprechen, begangen im Stalag 326 an sowjetischen Kriegsgefangenen, war nicht einfach, aber richtig und wichtig. Wir praktizieren das, was Günter Gaus uns einmal schrieb: „Es ist richtig, gegen den Strom zu schwimmen, solange Mut und Atem reichen.“

UZ: Das deutet auf turbulente viereinhalb Jahrzehnte hin. Wie wird die Arbeit und das Engagement unterstützt?

Hubert Kniesburges: Der Name „Blumen für Stukenbrock“ steht heute für große Solidaritätsaktionen mit den Überlebenden. Finanziert durch eine breite Spendentätigkeit von Menschen aus dem ganzen Land, können wir bis heute die Überlebenden des Stalag 326 finanziell unterstützen. Die ehemaligen Insassen des Lagers erhalten keinerlei Entschädigung für das Unrecht, das ihnen zugefügt wurde. Mit den weitergeleiteten Spendengeldern zeigen wir diesen Menschen, dass sie nicht in Vergessenheit geraten sind.

„Blumen für Stukenbrock“ – damit wird auch das unermüdliche Streben nach Frieden und Abrüstung in Europa und in der Welt verbunden. Die Veranstaltungen in Stukenbrock sind immer große beeindruckende Manifestationen gegen Krieg, Wettrüsten und Rüstungsexporte. Dafür stehen solche Persönlichkeiten wie Heinrich Albertz, Willi Bleicher, Präses Kurt Scharff, Max Reimann, Herbert Mies, Gert Bastian und Petra Kelly, Christian Götz, Günter Gaus, Arno Klönne, Eugen Drewermann, Ursula Engelen-Kefer, Martin Niemöller, Gregor Gysi, Gabriele Krone-Schmalz und Peter Strutynski, um nur einige zu nennen, die uns unterstützt haben.

UZ: Der Antikriegstag in Stukenbrock trifft ja nicht nur auf Befürworter. Was ist von den Gegnern zu erwarten?

Hubert Kniesburges: Wenn wir es bis heute – 67 Jahre nach der Befreiung des Lagers Stalag 326 und der Befreiung vom deutschen Faschismus – geschafft haben, die Verbrechen von Stukenbrock nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, so ist das ein enorm wichtiger Erfolg in der Gedenk- und Erinnerungsarbeit in Ostwestfalen-Lippe und darüber hinaus.

Doch auch in Stukenbrock hält der Versuch an, die Geschichte umzuschreiben. Dazu wird die Absicht nach Wiederherstellung des Originalzustandes des Obelisken benutzt. Im Zuge des Kalten Krieges wollte die CDU-geführte NRW-Landesregierung Mitte der 1950er Jahre das Denkmal schleifen. Die Glasplastik mit der Roten Fahne wurde entfernt. Ein orthodoxes Kreuz ersetzte sie.

Jetzt, wo die Voraussetzungen für die Wiederherstellung des Originalzustandes des Obelisken durch beteiligte Stellen geschaffen sind, geben sich einige lokale und regionale CDU-Politiker empört. Ganz im Stile des Kalten Krieges wird von „eher politisch motivierten Interessen weniger reaktionärer ausländischer und nicht am Ort ansässiger inländischer Gruppierungen mit zum Teil marxistisch-kommunistischem Hintergrund“ geredet. Für den CDU-Europaabgeordneten Brok ist der Originalzustand „unmoralisch und unhistorisch“. Er holt sich dabei Unterstützung vom estnischen Präsidenten und lettischen Ministerpräsidenten. Beide baltischen Politiker sind in den vergangenen Monaten ins rechte Abseits geraten, weil sie in ihren Ländern Angehörige von SS-Verbänden, die an antisemitischen Massenmorden beteiligt waren, als „Freiheitskämpfer gegen den Bolschewismus“ geehrt haben.

UZ: Was wird mit dieser Auseinandersetzung bezweckt?

Hubert Kniesburges: Es geht um die Köpfe zukünftiger Generationen. Dabei soll entschieden werden, wer, was, wie und wo in der Erinnerung bleibt. Und nach Meinung dieser Kreise ist da kein Platz für die Symbolik mit der Roten Fahne. Diese Veränderung wird nicht aufgrund neuer historischer Erkenntnisse vorgenommen, sondern sie beruht auf politischen Vorgaben.

In Stukenbrock wird mit dem Gedenken an die 65 000 Toten des Lagers die Frage nach dem Warum von Krieg und Faschismus als Ursache für die Missachtung von Völkerrecht und Menschenrechten mit beantwortet. Das gilt für frühere Kriege wie auch für die heutigen Kriegseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan und anderen Orten der Welt wie für die Kriegsgefahren, die durch die Konflikte mit Syrien und dem Iran, ausgehen. Nicht Menschenrechte und Atompolitik sind Auslöser des Konfliktes, sondern die Vorherrschaft in einer geostrategisch wichtigen Region zu sichern.

Diese mahnenden Stimmen sollen verstummen. Deshalb wird der Antikriegstag in Stukenbrock auch nach 45 Jahren noch gebraucht, weil es notwendig ist, Zeichen zu setzen für Frieden, Demokratie, Toleranz und Menschenwürde.

Das Gespräch führte Gerhard Ziegler

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45 Jahre Antikriegstag in Stukenbrock

Sonnabend, 1. September 2012

14.00 Uhr Friedhofsführungen

15.00 Uhr Kranzniederlegung

Gedenkansprache: Michael Sommer, DGB-Vorsitzender

www.Blumen-fuer-Stukenbrock.de