Wirtschaft

Hausbau flickr tominmuc19.01.2017:Die deutsche Wirtschaft ist stärker gewachsen als in den vergangenen vier Jahren. Ausschlaggebend: der private Konsum und staatliche Investitionen. Zudem: Die Ausgaben für Geflüchtete erwiesen sich als kleines Konjunkturprogramm.

Ein gesamtwirtschaftliches Wachstum von 1,9 Prozent für das abgelaufene Jahr bilanzierte das Statistische Bundesamt in einer ersten Berechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP)  (Pressekonferenz 12. Januar 2017). Damit ist die deutsche Wirtschaft stärker gewachsen als in den vergangenen vier Jahren (2015: 1,7%; 2014: 1,6%, 2013 und 2012 jeweils 0,5%).

„Blendendes Wachstum“ schwelgt die FAZ (13.1,17). „Blendend“ geht allerdings anders, z.B. die plus 6,7 Prozent, die vermutlich die chinesischen Statistiker Ende der Woche für ihre Volkswirtschaft 2016 verkünden dürften. Aber hier werden die bürgerlichen Journalisten eher ein „Schwächeln“ konstatieren, weil das Wachstum gegenüber dem Vorjahr um 0,2% geringer ausgefallen ist.

Dennoch ist die deutsche Wirtschaftsbilanz 2016 in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: Zum einen bestätigt sich einmal mehr, dass die Konsumnachfrage entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung ist, und zwar der private wie der Staatskonsum. Die Kritik des Wachstums sei hier ausgeklammert. Die private Konsumnachfrage stieg – real – um zwei Prozent: gleicher Zuwachs wie im Jahr davor, aber weit stärker als im Durchschnitt der vergangenen 15 Jahre: 0,7%. Bei einem Anteil von 53,5 % an der nachgefragten Wirtschaftsleistung trug der Zuwachs des Privatkonsums damit 1,1 Prozentpunkte zum Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent bei. Relativ hohe Lohnabschlüsse, die durch die niedrige  Preissteigerungsrate von 0,5 Prozent nur geringfügig entwertet wurden, sorgten für die erhöhten Reallöhne und damit Kaufkraft der Beschäftigten. Auch die rund 430.000 zusätzlichen Jobs hatten Anteil am gestiegenen Konsum. Die erhöhte Verbrauchernachfrage wiederum ließ die Absatzerwartungen der Unternehmer zunehmen, wodurch sie mehr Investitionen tätigten; diese stiegen real um 2,5 Prozent, die Bauinvestitionen gar um  3,1%.

Aufnahme von Flüchtenden: ein Konjunkturprogramm
Die Konsumausgaben des Staates wiesen mit 4,2 Prozent die höchste Steigerungsrate seit einem Vierteljahrhundert auf. Auf den Staatskonsum entfallen fast 20 Prozent (19,7%) des nachgefragten Bruttoinlandsprodukts. Sein Wachstumsbeitrag zum BIP betrug 2016 0,8 Prozent. Es waren vor allem die staatlichen Ausgaben für Unterbringung und Integration von Flüchtlingen, die zu dieser Erhöhung führten, dank der hohen Steuereinnahmen aber problemlos finanziert werden konnten. Dieter Sarreither, Präsident des Statistischen Bundesamtes bei der Pressekonferenz zur Erhöhung des Staatskonsums: „Dieser kräftige Anstieg ist unter anderem auf die hohe Zuwanderung von Schutzsuchenden und die daraus resultierenden Kosten zurückzuführen. Einen stärkeren Zuwachs des Staatskonsums hatte es zuletzt 1992 in Folge der deutschen Wiedervereinigung gegeben“ (destatis, 12.1.17). Auch damals waren u.a. die Übersiedler aus der DDR  eine wichtige Ursache.

Das widerlegt auch die Legenden rechter Demagogen und Pegida-Panikmacher, der Zustrom von Flüchtlingen sei finanziell und konjunkturell nicht zu schultern. Deutschland hat innerhalb der EU die meisten Flüchtlinge aufgenommen und dennoch: die „Deutsche Wirtschaft strotzt vor Kraft“ titelt die FAZ (13.1.17), die sich selbst an den Untergangsprognosen beteiligt hatte. Das deutsche Wirtschaftswachstum liegt über dem EU-Durchschnitt von 1,7%.

Die gute Konjunktur führte dazu, dass ein Großteil der Flüchtlinge der vergangenen Jahre in den Arbeitsmarkt integriert werden konnte. Die Zahl der Erwerbstätigen stieg im Vorjahr um 429.000. Die beschäftigten Asylbewerber und integrierten Flüchtlinge aber  zahlen dann selbst Steuern und in die Renten- und Sozialkassen ein. Sie sind dann kein Kostenfaktor mehr, sondern ein Grund für die derzeitigen Überschüsse in den Sozialkassen. Je schneller sie integriert werden, umso schneller und höher erfolgt ihr Finanzierungsbeitrag.

Ohne Asylsuchende hätte sich zudem der demografische Faktor negativ auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt. Nach einer Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei der Bundesagentur für Arbeit würde sich das Arbeitskräfteangebot in den nächsten zehn Jahren um 6,5 Millionen Menschen verringern, wenn es keine Zuwanderung gäbe. Da dämmerts inzwischen auch dem Arbeitgeberpräsidenten Ingo Kramer: „Wir brauchen für die nächsten 20 Jahre viel mehr Arbeitskräfte, als dieses Land hervorbringen wird“ (HB, 7.915; siehe auch: „Wider die Asyl-Lügen und Vorurteile“; in: Schreer/Schmid/Schuhler „Auf der Flucht“, isw-report 104). So aber kann Statistik-Präsident Sarreither zumindest für 2016 konstatieren: „Eine  höhere Erwerbsbeteiligung der inländischen Bevölkerung sowie die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland glichen demografische Effekte aus“ (destatis, 12.1.17).

Die Flüchtlinge haben also die deutsche Wirtschaft nicht geschwächt, sondern zum Florieren beigetragen: Der Staat erzielte sogar noch einen Milliarden-Überschuss, das Wachstum beschleunigte sich und die Zahl der Erwerbstätigen erreichte im Jahresdurchschnitt einen erneuten Höchststand.

Dieser Effekt wird im laufenden Jahr weit geringer ausfallen, weil die Flüchtlingszuwanderung von der Bundesregierung brutal abgewürgt wurde.

Auch sonst ergeben sich Unwägbarkeiten für die wirtschaftliche Entwicklung im Jahr 2017: Die Inflation scheint zurückzukehren und zehrt an der Kaufkraft der privaten und öffentlichen Haushalte: Während sie im Jahresdurchschnitt 2016 0,5% betrug, kletterte sie im Dezember auf 1,7%.

Die größte Unsicherheit geht von den Wirkungen des Brexit sowie etwaiger Abschottungen rechtspopulistischer Regierungen nach den Wahlen in Frankreich und den Niederlanden aus und insbesondere eines Handels-Weltkriegs, den die US-Trump-Regierung womöglich auslöst.

txt:Fred Schmid, isw

foto: flickr|tominmuc