Wirtschaft

Lidl Anzeige 2019 0327.03.2019: Schon die Tarifrunde für den Einzelhandel vor zwei Jahren wurde maßgeblich beeinflusst und die Diskussion in den Betrieben vielleicht sogar nicht wenig geprägt von dem Vorstoß namhafter Lidl-Kaufland-Manager, dass eine Erhöhung der Gehälter und Löhne in der Branche von jährlich 3 Prozent nicht bloß sinnvoll, sondern von den Unternehmen durchaus auch finanzierbar sei. Entsprechend "nervös" reagierten die Vertreter*innen des Handelsverbandes Hessen bei den Tarifverhandlungen auf diese Äußerungen ihrer "Freunde", nachdem sie die ver.di-Forderung von einem Euro mehr je Stunde in bekannter "schnodderiger" Weise "vom Tisch gewischt" hatten.

 

Was macht Rewe?

Offenbar war und ist es den Unternehmern peinlich bis unangenehm, wenn aus ihren eigenen, sonst so militärisch eng "geschlossenen" Reihen ein solcher sozialpolitisch sinnvoller Vorschlag in der Öffentlichkeit verbreitet wird. Insbesondere die sich sonst in Hessen gerne als "Musterknabe" einer tarifgerechten Bezahlung und einer die sozialen Probleme der Beschäftigten berücksichtigenden Personalpolitik darstellende Rewe Markt GmbH musste sich nicht wenig "vorgeführt" fühlen. Als größter hessischer Einzelhändler hätte sich wohl Rewe gern auch solche öffentlich wie betrieblich gut zu "verkaufenden" und ankommenden Bemerkungen des Konkurrenten Lidl/ Kaufland an die "Brust" geheftet. Doch dazu fehlten diesen Unternehmern offenbar nicht nur die Worte, sondern erst recht die Bereitschaft und der Mut zu passenden Taten.

Während bei Kaufland und Lidl folglich sowohl im Jahr 2017 als auch 2018 jeweils eine Lohnerhöhung von 3 Prozent gegeben wurde, "begnügte" sich Rewe mit einer puren Pflichterfüllung, das heißt mit der Übernahme der für die gesamte Branche ausgehandelten Gehaltssteigerungen von 2,3 Prozent (2017) und 2,0 Prozent (2018).

Ob die zahlreichen so genannten "Geringfügig Beschäftigten" (GfB) bei Rewe und Penny mit Jobs von bis zu 450 Euro monatlich davon ebenfalls etwas mehr sahen als die Anhebung der untersten Gehaltsgruppe von 9,39 Euro auf 9,61 Euro (2017) und dann 9,80 Euro (2018), darf bezweifelt werden. Denn die GfB gehören nicht nur bei der Rewe Markt GmbH, sondern auch bei anderen großen Einzelhändlern zu den dauerhaften Verlierern, weil ihnen sehr häufig der aufgrund ihrer Berufserfahrung zustehende Lohn nicht automatisch wie den sonstigen Verkaufsangestellten bezahlt, also letztlich vorenthalten wird.

Nun melden sich Kaufland und Lidl pünktlich zum Auftakt der diesjährigen Tarifrunde für den Einzelhandel nicht bloß in Hessen zu Wort. Einerseits nutzen sie die "Lebensmittel Zeitung" am 15. März 2019 für die Nachricht, dass sie die Erwartung der Beschäftigten beider Unternehmen auch ohne Druck von "unten" zu erfüllen beabsichtigen, die in den beiden vergangenen Jahren übertariflich gewährten Steigerungen "unabhängig von weiteren Erhöhungen als Zulage zum Tarifgehalt bestehen" zu lassen und nicht mit den 2019 neu auszuhandelnden Gehaltserhöhungen zu "verrechnen".

Andererseits verkündete Kaufland am 15. März 2019 über das hausinterne "Filialportal", das Unternehmen werde zum 1. März dieses Jahres seinen "internen Mindestlohn von 10 Euro auf 11 Euro pro Stunde erhöhen", und Lidl schaltete am 20. März beispielsweise in der "Frankfurter Rundschau" eine ganzseitige Anzeige mit der Botschaft, in Zukunft einen "Mindesteinstiegslohn" von 12,50 Euro je Stunde und dadurch einer/-m Vollzeitbeschäftigten ein Gehalt von über 2.000 Euro monatlich zu garantieren. (Foto oben) Zwei zu null für den 1. FC Neckarsulm?

Solche Meldungen müssen und dürfen den Rewe-Verantwortlichen wie Horrorbotschaften vorkommen. Denn sie könnten in den eigenen Filialen für eine Diskussion sorgen, weshalb ein derart großes, sich hinsichtlich der Wahrnehmung von sozialer Verantwortung gegenüber den Beschäftigten gern "rühmendes" Unternehmen nicht bereit ist, das vorbildhafte Verhalten der Konkurrenz bei der Entlohnung seines Personals genauso ernst zu nehmen wie beispielsweise bei der Werbung und der Gestaltung der Warenpreise für eine Zuspitzung des Wettbewerbs.

Oder will Rewe vielleicht gerade dieses immer schärfer geschliffene Instrument im mörderischen Konkurrenzkampf des Einzelhandels: die gezielte und dauerhafte Senkung der Personalkosten, nicht ohne "Not" aus den Händen legen?

Möglicherweise bedarf es tatsächlich eines großen Drucks aus den eigenen Filialen, seitens der Kundschaft und in der Öffentlichkeit, damit die Rewe Markt GmbH und selbstverständlich ebenso andere Einzelhandelsunternehmen verstehen: Der von ihnen immer wieder angeheizte und wie "wahnsinnig" betriebene Verdrängungswettbewerb darf nicht mehr weiter auf Kosten der Beschäftigten, ihrer Familien und Gesundheit geführt werden. Dazu gibt es in der Tarifrunde reichlich Gelegenheit.

aus: Kuckuck - Informationen der ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte, Nr. 124, 25. März 2019

Foto: Anzeige von Lidl in der "Frankfurter Rundschau" vom 20. März 2019