Der Kommentar

18.10.2011: Empört Euch! Der Aufruf ist auf unser Land übergesprungen. "Weltrevolution mit Startschwierigkeiten", überschreibt die Süddeutsche Zeitung ihren Bericht über den 15. Oktober. Um eine Weltrevolution ging und geht es bei weitem nicht, aber deutlich wird die Unsicherheit der Herrschenden, wie sie den Protest behandeln sollen. Wohlwollend lächerlich machen: "Triumph der Träumer", eine "Bewegung ohne klare Forderungen" (SPIEGEL ONLINE). Oder kriminalisieren: Rom brennt! Minutenlang hielten die Kameras auf ein brennendes Auto und steinewerfende Chaoten, und ignorierten 200.000 friedliche DemonstrantInnen.

Gute Ratschläge bekommen die "Empörten" inzwischen aus allen Parteien. Selbst Finanzminister Schäuble nimmt die Proteste "sehr ernst". Es müsse nun deutlich werden, dass die Politik die Regeln bestimme und nicht die Finanzmärkte, denn sonst sei eine "Krise des demokratischen Systems" möglich. Aber die Menschen sind ja zu Zehntausenden auch hierzulande auf die Straße gegangen, weil die Bundesregierung den Banken neue Steuergelder nachwirft, "um die Märkte zu beruhigen". Mit dem Ergebnis, dass die Banken noch mehr Macht über Politik und Gesellschaft bekommen. Wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel jetzt die Macht der Finanzmärkte eindämmen will, so erinnern sich viele daran, dass es die SPD-Grüne-Regierung war, die die Finanzmärkte erst richtig entfesselt hat.

Die Menschen haben die Nase voll von Politikern und politischen Parteien. Zurecht. Aber unpolitisch sind sie deswegen nicht. Allerdings wollen sie ihre Zukunft nicht mehr den Politikern anvertrauen, die eine symbiotische Beziehung mit den Banken und den Märkten eingegangen sind. Sie wollen, dass die Bürger sich das Wirtschaftssystem nach ihren Vorstellungen formen und nicht umgekehrt.

Am Samstag war der Querschnitt der Bevölkerung bei den Versammlungen auf den Plätzen; Junge und Alte, Punks und Anzugträger, „Demonstrationsprofis“ und Menschen, die offensichtlich zum ersten Mal zu einer Kundgebung kamen. Entsprechend vielfältig waren die Argumente und die Motive für den Protest: Gegen die Gier, für ethisches Wirtschaften, gegen die Geldwirtschaft, für die Entmachtung der Banken, aber auch gegen das kapitalistische Profitsystem.

Jetzt steht der ideologische Kampf um die Interpretation der Krise im Zentrum. Denn nicht die Krise von sich aus, sondern die Interpretation der Krise entscheidet über das Handeln der Menschen. Wenn die Krise nicht von Klassenpositionen aus interpretiert wird, dann bleibt das Feld offen für nationalistische und andere Ideologien, die den Krieg der Armen gegen die Armen anheizen. Wenn allerdings bewusst wird, dass es sich bei der Schuldenkrise um ein gigantisches Umverteilungsprogramm zugunsten der Reichen handelt - es sich also um eine Klassenkonfrontation handelt -, dann kann dies helfen, die Spaltung innerhalb der Opfer der „Sparpolitik“ zu überwinden und eine noch breitere Mobilisierungen zu befördern.

Der 15. Oktober kann der Beginn einer Bewegung werden, die dazu beiträgt, das Gefühl der "Machtlosigkeit" und der "adressenlosen Wut" zu überwinden und politische Perspektiven zu eröffnen. Es formiert sich eine Gegenkultur, die Bestand haben kann. Wie in Italien, Portugal, USA, .. sollten sich auch hierzulande die Gewerkschaften dieser Bewegung anschließen.

Ich nehme an, dass diese Fragestellungen auch bei der theoretischen Konferenz der DKP am kommenden Sonntag eine gewichtige Rolle spielen, denn "in der Praxis muss der Mensch .. die Diesseitigkeit seines Denkens beweisen." (K. Marx)

Leo Mayer
stellv. Vorsitzender der DKP

siehe auch: Kommentar "Wirkliche Demokratie, jetzt!"