Der Kommentar

mindestlohn cc Jens Olaf11.04.2014: Mehr als 10 Jahre gingen Gewerkschaften, Arbeitslosen- und  Sozialverbände sowie linke Parteien auf die Straßen und forderten: „Wer Vollzeit arbeitet, muss davon leben können!“ Die Forderung nach einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn wird von ¾ der Menschen im Land unterstützt. Diesem politischen Druck konnten sich auf Dauer weder die SPD noch die CDU entziehen. Nun wird versucht, diesen Erfolg langjähriger Kämpfe auch durch Übergangsfristen und Ausnahmeregelungen zu verwässern. Dagegen regt sich Widerstand. Zudem fordert nicht nur Frank Bsirske von ver.di den Mindestlohn bald von 8,50 auf 10 Euro zu erhöhen. 10 Euro pro Stunde fordert auch die DKP und unterstrich das in den letzten Jahren bei vielen Aktionen.

Die langjährigen Versuche von Unternehmern und CDU, einen Flickenteppich von branchenspezifischen Mindestlöhnen zu basteln, sind gescheitert. Nun versuchen sie, Gruppen von Beschäftigten auszuschließen. Ausnahmeregelungen u.a. für Langzeitarbeitslose, Jugendliche, Saisonarbeiter und Erntehelfer sowie Zeitungsausträger sind entweder schon beschlossen oder stehen noch auf dem Wunschzettel der Unternehmer. Millionen Arbeitende wären betroffen.

Bezüglich der Langzeitarbeitslosen spricht auch die AfA (Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen) der SPD von einer weiteren Stigmatisierung der Betroffenen.  Wer z.B. nach über 30 Jahren Arbeit durch Betriebspleite oder Verlagerung seinen Arbeitsplatz verliert, als 50-jähriger dem Streben der Manager nach olympiareifen Mannschaften nicht mehr genügt, landet nach 365 Tage im Verarmungsprogramm Hartz IV. Jetzt soll er oder sie bei einer Jobaufnahme zusätzlich diskriminiert werden durch ½ Jahr Bezahlung unter Mindestlohn.  Als Aufstocker blieben Betroffene im Hartz-IV-System, für die Unternehmer wäre das eine weitere Lohnsubvention, neben sonstigen Fördermitteln zur Beschäftigung Langzeitarbeitsloser.

Als besonders perfide Empfinden viele die Begründung von Ausnahmen für Jugendliche unter 18 Jahren. Die würden von 8,50 Euro Mindestlohn davon abgehalten werden, einen Beruf zu erlernen. Das Verbreiten die Verantwortlichen dafür, dass jährlich Zehntausende qualifizierter Ausbildungsplätze fehlen und viele junge Menschen zum Jobben gezwungen sind. Sie bekämen sogar noch einen Anreiz, verstärkt Jugendliche für Arbeiten wie Regale auffüllen etc. zu beschäftigen. Auch hier wird die Ausnahme zur Subvention für die Unternehmer, bezahlt von Jugendlichen und ihren Familien.

Saisonarbeiten in der Landwirtschaft werden zumeist von Menschen aus Südosteuropa erledigt. Ihnen soll der Mindestlohn bis 2017 vorenthalten werden. Bauernverbände malen Horrorgemälde vom Ende der deutschen Landwirtschaft an die Wand, wenn Spargelstecher 8,50 Euro bekämen statt wie bisher 6,40 Euro. Ob Spargel oder Äpfel, 2 Euro mehr wären für die Erntehelfer über 100 Euro plus pro Woche, die am Endverkaufspreis aber wenig ändern würden.

Sehr rührig waren die Zeitungsverleger. Sie sehen die Pressefreiheit in Gefahr, wenn Zeitungszusteller den Mindestlohn bekämen. Manche Länder wie, z.B. Luxemburg, haben Regelungen zur Subventionierung des Tagespresse, die dann zu Lasten der Staatskasse gehen. Hier sollen aber jene, die bei jedem Wetter mitten in der Nacht losziehen müssen, damit  um 6 Uhr die Zeitungen in den Kästen sind, subventionieren.

Ein gesetzlicher Mindestlohn wird Lohnsubventionierung einschränken, somit öffentliche Haushalte entlasten. Er wird der Schwächung der Gewerkschaften durch Lohndumping entgegenwirken. Was das Wichtigste ist, er wird Millionen Menschen ein würdigeres Leben ermöglichen, ohne teils erdrückende materielle Not, auch mit etwas mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Der jahrelange erfolgreiche Kampf um den Mindestlohn  geht weiter, jetzt gegen Übergangsregelungen, gegen Ausnahmen und für 10 Euro als nächste Stufe. Und es geht um Kontroll- und Sanktionsmechanismen. Jene, die über Jahrzehnte auch mangels Kontrolle Steuern hinterzogen haben, werden wenig Hemmungen haben, sich um den Mindestlohn herum zu mogeln, schaute man ihnen nicht auf die Finger.

Text: Volker Metzroth  (Dieser Artikel erscheint auch in der UZ vom 11.04.14)       Foto: Jens-Olaf

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