Der Kommentar

Leo-Mayer Wien 300p31.08.2017: Die Europäische Union toleriert das Sterben im Mittelmeer nicht nur – sie provoziert es. Finanziert und ausgerüstet von der EU übernehmen libysche Milizen – fälschlicherweise "Küstenwache" genannt – für die EU die Drecksarbeit. 20 Milliarden Euro verlangt der libysche Warlord Chalifa Haftar von der EU, damit er mit seinen Mannen weiterhin Flüchtende daran hindert nach Europa zu gelangen, über 100 Millionen hat er bereits erhalten. Aus Europa wurden moderne Schiffe für die Küsten- und Seekontrolle geliefert, dazu Waffen und Ausbildungskurse und was man sonst noch so braucht für den kleinen Seekrieg gegen Flüchtende.

Über Nacht haben diese Milizen ihr Einflussgebiet bis weit in internationale Gewässer ausgedehnt. Sie fangen Flüchtende ein und bringen sie in libysche Internierungslager zurück, in denen "KZ-ähnliche" Verhältnisse" (Auswärtiges Amt) herrschen. Die Rettungsschiffe von Hilfsorganisationen werden beschossen. Mit dem Ergebnis, dass Hilfsorganisationen wie die deutsche NGO "Sea Watch", "Ärzte ohne Grenzen" oder die Hilfsorganisation "Save the Children" ihre Rettungsarbeit einstellen mussten. So wird das Mittelmeer für noch mehr Flüchtende zum Grab werden.

Bereits zuvor hatte Italiens Innenminister Marco Minniti hat mit strengen Auflagen für Rettungsorganisationen dafür gesorgt, dass Hilfsorganisationen nicht mehr vor der libyschen Küste kreuzen dürfen, um schiffbrüchige MigrantInnen zu bergen.

Eine mörderische Politik

Die Kriminalisierung und Vertreibung der ehrenamtlichen SeenotretterInnen und die Zusammenarbeit mit libyschen Milizen ist Teil eines großen Plans: Nach der Balkanroute auch den Weg über das Mittelmeer nach Europa zu schließen.

Deshalb mussten die NGO-Retter weg, denn sie brachten die Schiffbrüchigen nach Italien, nach Europa – und nicht zurück nach Afrika. Darauf hat die EU systematisch hingearbeitet. Nach dem Motto "Lieber tote Geflüchtete, als solche, die bei uns ankommen", wurde darauf gesetzt, dass Italien das stellvertretend für die EU regelt. Denn in Italien steigt der Druck. Immer mehr Geflüchtete bleiben dort hängen, weil die Nachbarn im Norden die Grenzen verriegelten, obwohl es eine Vereinbarung für die Umverteilung von Geflüchteten gibt.

Doch die EU will jetzt noch weiter gehen und die Flüchtlingsabwehr zu einer gemeinsamen Abschottungspolitik zusammenzuführen. Beim Migrationsgipfel von Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und der EU-Außenbeauftragten Mogherini mit afrikanischen Ländern in Paris, wurde das Ziel formuliert, die Außengrenze der EU de facto in Richtung Afrika zu verlagern und die Fluchtroute nicht erst am Mittelmeerufer durch die libysche "Küstenwache" zu stoppen, sondern schon südlich der Sahara. Eine 5.000-Mann-Truppe soll in den Sahel-Ländern Mali, Niger, Tschad, Mauretanien und Burkina Faso Flüchtlinge einsammeln und zurückschicken. Europa verspricht im Gegenzug viele Millionen Euro, Waffen, Militärfahrzeuge und modernste Satellitentelefone. Die Asylverfahren sollen künftig in sogenannten Hotspots auf afrikanischem Boden stattfinden.

Krise der Humanität

Kaltherzig, brutal, mörderisch und barbarisch wird versucht, sich mit Mauern, Zäunen und Söldnern die Menschen vom Leib zu halten, die vor Krieg und Verfolgung, vor Elend und Not - oft vor dem sicheren Tod – fliehen. Die Regierungen sagen, das sei Krisenmanagement. Nein, das ist Ausdruck der Krise der Humanität. Und nebenbei ein aussichtsloses Unterfangen. In einer Welt, die von Nordafrika bis Asien von Krieg überzogen ist, in der die Kluft zwischen dem "reichen Norden" und dem "armen Süden" immer größer wird, lässt sich Flucht und Migration nicht mit Waffen und Zäunen verhindern. Migration findet immer Wege – nur die Zahl der Opfer hängt von der Art der Fluchtwege ab.

Wenn die LINKEN-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht sagt (Landshuter Zeitung, 17.8.), dass "wir das Problem von Armut und Kriegen auf dieser Welt nicht durch die Aufnahme von Flüchtlingen lösen können", dann hat sie Recht. Und sie kann sich des Beifalls von allen Seiten sicher sein. Doch für eine linke Politik ist das zu wenig. Da ist selbst Papst Franziskus schon weiter, der kürzlich für MigrantInnen und Flüchtlinge mehr Möglichkeiten einer sicheren und legalen Einreise forderte und erklärte, dass die Würde jedes Menschen verlange, "die Sicherheit der Personen stets der Sicherheit des Landes voranzustellen".

Die Flüchtenden kommen, "um ihre Teilhabe an etwas einzufordern, das ihnen genau genommen auch zusteht", schreibt Sebastian Schoepp (Süddeutsche Zeitung, 30.08.

Und so geht es bei der Auseinandersetzung um den Umgang mit Geflüchteten um mehr. Es geht darum, wohin sich die deutsche Gesellschaft entwickeln wird: zu einer autoritären, wohlstandschauvinistischen Festung oder zu einer solidarischen Gesellschaft. Gegen den Autoritarismus von oben und von rechts, der gegen Geflüchtete mobilisiert, um eine untragbar gewordenen Produktions- und Konsumtionsweise im privilegierten Norden aufrecht zu erhalten, braucht es den Kampf um Demokratie und für eine offene, solidarische Gesellschaft. Die Millionen Menschen, die trotz aller staatlichen, bürokratischen Hindernisse und Gemeinheiten unermüdlich in "HelferInnenkreisen" aktiv sind, erleben in ihrer Praxis, dass es gut ist und gut tut, solidarisch zu sein. Bei ihnen und den zahlreichen Bürgerinitiativen und in den sozialen Bewegungen liegt die Kraft, um einen Weg aus der Barbarei zu eröffnen.

Leo Mayer, Vorstandsmitglied marxistische linke und Institut sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München (isw)