Der Kommentar

Nordmark 2022 05 08 1Nie Wieder! Wir lassen uns nicht verbieten!   

Es scheint absurd, was gerade aktuell geschieht: Da werden mitten in Deutschland, genauer: in der Hauptstadt Berlin, Fahnenverbote ausgesprochen. Sie sollen zwei Tage gültig sein.

 

Der 8. Mai erinnert an die Befreiung Deutschlands durch die Alliierten 1945. Der 9. Mai, der erste Tag des Friedens, ist als Tag des Sieges über den Faschismus und das Ende des Krieges ein Feiertag in Russland, sowie in Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Moldau, Serbien, Belarus, und auf den von der faschistischen Wehrmacht okkupierten und befreiten Inseln Guernsey und Jersey.

In den letzten Wochen häufen sich Verordnungen gegen Buchstaben, Kennzeichen und Embleme. Mit dem Hinweis auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine gibt es in Bundesländern "Handreichungen" von Innenministerien an die Polizei. In Schleswig-Holstein gilt es seit Ende April als vertretbar, im Regelfall von einem Anfangsverdacht einer Straftat auszugehen, wenn Fahnen der UdSSR gezeigt werden. Darin kann ein Territorialanspruch zum Ausdruck gebracht werden, meint die CDU-Innenministerin Sütterlin-Waack.

Die aktuellen Verbote reihen sich ein in die Versuche russische Organisationen, politische oder diplomatische Vertretungen von Gedenkfeiern und Veranstaltungen auszuschließen, sogar auszuladen, weil diese eine Nähe oder Herkunft, also Verbindung zu Russland haben.

Von den Einen werden die nicht ausreichende Möglichkeit des Schutzes von Personen genannt, von den Anderen die, allein durch die Herkunft, vermutete Zustimmung zum Krieg Russlands gegen die Ukraine. Belegt werden diese Argumente nicht.

Dieser Umgang der Politik und Verwaltung mit allem, was "russisch ist oder so gedeutet wird", trägt dazu bei, dass inzwischen Menschen russischer Herkunft hier angefeindet, bedrängt und rassistisch verfolgt werden. Es wird nicht zuerst gefragt "Bist du für oder gegen Krieg und Aufrüstung", sondern "Woher kommst du?"

Mit den Verboten wird der Sieg der Roten Armee über den Faschismus und der 8. Mai als Tag der Befreiung negiert. Es wird versucht Geschichte vergessen zu machen, dabei wird sich alter reaktionärer Muster von Geschichtsschreibung bedient.

Dies spielt den extremen Rechten Organisationen und Parteien wie der AfD, dem III.Weg, der NPD und den faschistischen Kameradschaften in die Hände. Gerade zu den anstehenden Landtagswahlen muss auch dies genannt werden, denn dies kann dazu führen, deren Stimmenanteile zu erhöhen und damit (hoffentlich nicht!) Parlamentssitze zu erhalten.

Nebenbei: Auf die Idee, die Fahnen und Embleme der anderen Alliierten aus England, den USA und Frankreich zu verbieten, ist – auch in den vergangenen Kriegen von NATO-Mitgliedsländern - niemand gekommen.

Diese Kriminalisierung der historisch begründeten Wiedergabe des Geschehens vor 77 Jahren und das Zeigen der mit der Befreiung durch die Rote Armee der Sowjetunion verbundenen Fahne, stellt eine Geschichtsverzerrung dar, die noch dazu auch die Opfer und die Befreiten verhöhnt.

Nicht nur den Soldaten der Roten Armee, den Befreiern, wird ihr Kampf gegen den Faschismus und gegen den Krieg, als auch der Sieg damit abgesprochen. Auch die Befreiten und Überlebenden aus der industriemäßig organisierten, geplanten und in den Konzentrationslagern durchgeführten Vernichtung, nach den Arbeitseinsätzen auch für die deutsche Rüstungsindustrie, sollen sich jetzt nicht mehr erinnern dürfen. Das Tragen der Fahne der Sowjetunion wird 77 Jahre nach der Befreiung verboten.

Lange haben die Widerstandskämpfer*innen, die Überlebenden des Faschismus und deren Nachfahren, Antifaschist*innen gekämpft, damit am 8. Mai 1985 endlich auch bundesdeutsche Politik durch die Aussage des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker erkennt:

"Der Blick ging zurück in einen dunklen Abgrund der Vergangenheit und nach vorn in eine ungewisse dunkle Zukunft. Und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung."

Und Bundespräsident Steinmeier (SPD) trug zum 75. Jahr am 8. Mai 2020 vor: " 'Die Würde des Menschen ist unantastbar.' In diesen ersten Satz unserer Verfassung ist und bleibt für alle sichtbar eingeschrieben, was in Auschwitz, was in Krieg und Diktatur geschehen ist. Nein, nicht das Erinnern ist eine Last – das Nichterinnern wird zur Last. Nicht das Bekenntnis zur Verantwortung ist eine Schande – das Leugnen ist eine Schande!"

In diesem Sinne ist das Verbot der Sowjetfahne [1] und des Erinnerns an die Rotarmist*innen mit dem Roten Stern ein Leugnen und also eine Schande! Eine Schande, die über die zwei Tage des Verbots weit hinaus reicht und nicht vergessen wird!

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  Gedenkveranstaltung am 8. Mai 2022 am Gedenkort "Arbeitserziehungslager Nordmark" in Kiel  

 

Wir erinnern:

  • Es war der Sieg über das menschenverachtende Regime des Hitler-Faschismus das politische Gegner und Andersdenkende ausgrenzte, verfolgte und inhaftierte, das Menschen allein aus einer konstruierten "Rasse"zugehörigkeit als Juden, als Sinti und Roma, als Slawen millionenfach Ermordete, das alle Nachbarstaaten in Europa und auch Länder und Völker in anderen Teilen der Welt mit Krieg, Okkupation und Vernichtung überzog.
  • Mehr als 50 Millionen Menschen wurden Opfer von Krieg und Faschismus.
  • Die Anti-Hitler-Koalition aus Frankreich, Großbritannien, USA und der Sowjetunion, haben den Sieg errungen. Unbestreitbar ist, dass die Rote Armee und die Bevölkerung der Sowjetunion die Hauptlast mit 27 Millionen Opfern trugen. Es waren Partisanen und Widerstandskämpfer in allen okkupierten Ländern, und auch in Deutschland, die ihr Leben für die Freiheit einsetzten.
  • SS und Wehrmacht hinterließen eine Spur der Zerstörung und des Todes: mit Billigung und Unterstützung von Thyssen, Krupp, Siemens und IG Farben, Deutscher Bank und vielen anderen, die an der Ausplünderung anderer Länder, an der Sklavenarbeit, an Aufrüstung, an Krieg und Massenmord verdienten.
  • Für "Eine Welt des Friedens und der Freiheit!" war eine der Forderungen der befreiten Häftlinge des KZ Buchenwald 1945.

Darum muss weiter und immer wieder neu gekämpft werden. Dazu gehören auch die Kämpfe für soziale Gerechtigkeit, für die Lösung der ökologischen Zukunftsfragen, gegen Demokratieabbau und Überwachungsstaat. In vielen Ländern wird die Lebensgrundlage mit Raubbau und Naturzerstörung genommen. Gleichzeitig wird die Festung Europa ausgebaut. Mit der Corona-Pandemie haben sich die globalen profitorientierten Unterschiede im Gesundheitswesen gezeigt.

Ein übriges tun Kriegs- und Rüstungspolitik. Und Deutschland ist überall dabei – am Zerstören und Gewinn eintreiben. Mit der Erhöhung des Rüstungshaushalts, mit dem geplanten 100 Milliarden "Sondervermögen" sowie mit der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und der Ausbildung ukrainischer Soldaten schlittert Deutschland immer tiefer in die Beteiligung an Kriegen. Nicht nur in der Ukraine, sondern auch in den anderen über 50 Kriegen in der Welt.

Deshalb muss das Erinnern an den Tag der Befreiung mit Aktionen und der Aufforderung zum gemeinsamen Handeln verbunden werden:

  • gegen Neofaschismus, extreme Rechte und Rechtspopulismus,
  • gegen soziale Ausgrenzung, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus,
  • gegen Krieg und Terrorismus und deren gesellschaftlichen Wurzeln.
  • für politische und soziale Menschenrechte, für Demokratie, für eine emanzipatorische Gesellschaft
  • für Frieden und Abrüstung.

Weil diese Mindestforderungen für den Aufbau einer neuen Gesellschaft des Friedens und der Freiheit bis heute nicht erfüllt sind, darf die historische Wahrheit über den 8. Mai 1945, aber auch die Vorgeschichte, die Entwicklung des Faschismus nicht verdrängt werden.

  • Es darf kein Schlussstrich gezogen werden unter dieses Kapitel der Geschichte.
  • Die Verbrechen des Faschismus und die Ermordeten dürfen nicht vergessen und nicht relativiert werden.
  • Die Namen der Befreier müssen genannt werden!
  • Nur wer seine eigene Geschichte kennt und benennt, kann mithelfen und eintreten dafür, dass sie sich nicht wiederholt. Nirgendwo!
  • Der 8. Mai muss zum bundesweiten Feiertag werden!

Wenn Fahnen eine Bedeutung haben, dann müssen sie an einem Gedenkort gezeigt werden, sonst stellt sich die Frage: "Wo soll sie jetzt hin, die über drei Generationen und der Illegalität des Faschismus und der illegalen KPD-Arbeit von 1956 bis 1968 gehütete und getragene rote Fahne mit Hammer & Sichel aus Goldlitze gestickt?" (siehe Foto)

Nordmark 2022 05 08 1

Statt Verbote zum Tag der Befreiung durchzusetzen, muss der Kampf dafür aufgenommen werden, Kriege zu beenden, diplomatische Lösungen zu diskutieren und Vereinbarungen zu treffen. Im Interesse der Bevölkerungen!

Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus!

Bettina Jürgensen, marxistische linke

Fotos: Gedenkveranstaltung am 8. Mai 2022 am Gedenkort "Arbeitserziehungslager Nordmark" in Kiel.
Das "Arbeitserziehungslager Nordmark" war ein von der Geheimen Staatspolizei Gestapo eingerichtetes Straflager am Stadtrand von Kiel. Es diente als Terrorinstrument für ausländische Zwangsarbeiter*innen, die bei geringstem Fehlverhalten am Arbeitsplatz ins AEL eingewiesen werden konnten. Die Lagerinsass*innen kamen aus zahlreichen Nationen, den größten Anteil machten Sowjetbürger*innen und Pol*innen aus. Etwa ein Viertel waren Frauen. Noch kurz vor Einmarsch der Briten am 4. Mai 1945 ermordeten die Wachmannschaften rund 300 Häftlinge. Insgesamt waren etwa 5.000 Menschen im Lager inhaftiert, mindestens 578 überlebten die Lagerhaft nicht.

 

 

Anmerkung:

[1] Allgemeinverfügung
I. In der Zeit vom 8. Mai 2022, 06:00 Uhr bis zum 9. Mai 2022, 22:00 Uhr wird in dem unter II. bezeichneten Bereichen der Gemeingebrauch öffentlicher Flächen und die Versammlungsfreiheit dahingehend beschränkt, dass
...
f. das Zeigen von Symbolik und Kennzeichen, die geeignet sind, den Russland-Ukraine-Krieg zu verherrlichen, z.B. das Zeigen der Flagge der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR),

untersagt wird.
https://www.berlin.de/polizei/_assets/dienststellen/anlagen-dir-e/220504-direvst111-av-ehrenmale.pdf


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