Der Kommentar

Melike Akbas22.06.2022: Am vergangenen Freitag haben wir Melike Akbaş in München begraben. Sie wurde nur 15 Jahre alt. Gestorben ist sie auf der Flucht in ein besseres Leben. Ihr Wunsch war es hier zu studieren. Als sie nach tausenden Kilometern angekommen zu sein glaubte, starb sie auf einem Güterbahnhof bei München.

 

Von Mardin in Nordkurdistan nach Bursa in der Westtürkei, von dort nach Italien und von Italien auf einem Güterzug nach Deutschland. Sie war gezwungen diesen Weg zu nehmen, weil es keine legalen Fluchtwege für Menschen gibt, die dem AKP-Regime in der Türkei entkommen wollen.

Im Moment ihrer Ankunft in München, nach all den Kilometern, nach all der Gefahr, kurz bevor sie ihren Fuß auf den Boden setzen konnte, von dem sie Sicherheit und Freiheit erhoffte, traf sie der Stromschlag der Starkstromleitung.

In einer Situation in der Millionen von Menschen, die aus der Ukrainer fliehen, mit kostenlosen Bussen und Bahnen in Sicherheit gebracht werden, ist Melike dazu gezwungen gewesen in Italien auf einen Güterzug zu klettern, in der Hoffnung sicher in Deutschland anzukommen.

Was für ein himmelschreiender Unterschied. Was für ein doppeltes Recht. Was für eine Ungleichbehandlung.

Gemeinsam mit ihrer Familie und vielen solidarischen Menschen haben wir Melike heute in München beerdigt. (Die Stadt München war nicht anwesend)

Ihr Tod ist furchtbar. Sie ist eine von Zehntausenden, die in den letzten Jahren auf dem Weg nach Europa gestorben sind. Verantwortlich dafür ist das brutale EU-Grenzregime.

Wir werden Melike Akbaş nicht vergessen.

Rest in Power.

Kerem Schamberger


Süddeutsche Zeitung, 26. Mai 2022: "Gefährliche Flucht auf Zugdächern"
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-bahnhof-trudering-stromschlag-gefluechtete-1.5592321