Literatur und Kunst

Fidelio Opernhaus Bonn 202005.02.2020: Bis zum 29. März wird im Opernhaus Bonn Beethovens Oper »Fidelio« aufgeführt; von Volker Lösch radikal als Freiheitsoper der Kurd*innen inszeniert. Der Opernkritiker Bernhard Doppler kanzelte nach dem Premierenabend die Inszenierung als »einseitige politische Agitation« ab, die man machen könne, aber "mit einer Beethoven-Ehrung wenig zu tun" habe. Anders Adrian Levin. "Ja, warum sollte Volker Lösch das nicht tun", schließlich habe Beethoven mit »Fidelio« eine Befreiungsoper geschaffen, meinte er nach dem Besuch der Premiere in der Tageszeitung »neues deutschland«:

 

Über Beethoven hinaus

Mit Beethovens einziger Oper »Fidelio« verhandelt Volker Lösch in Bonn die Frage von politischen Gefangen in der Türkei

Von Adrian Levin

Bonn, am 1. Januar 2020: Vor der Oper werden Flugblätter an das Beethoven-Premierenpublikum verteilt, es geht um die Freiheit für kurdische Gefangene. »Druck auf die Bundesregierung« wird gefordert, um Waffenexporte zu beenden. Für den ungewöhnlichen Ort der Kundgebung kann es eigentlich nur zwei Gründe geben: Entweder wohnt der Kulturattaché des nahe gelegenen türkischen Generalkonsulats einer Aufführung bei. Oder Volker Lösch inszeniert Beethovens einzige Oper »Fidelio«.

Längst ist Lösch auch in Bonn als Regisseur bekannt, der dort mit Stücken wie »Waffenschweine« (2014) oder »Bonnopoly« (2017) politische Themen zuspitzt. Ein couragierter Generalintendant Bernhard Helmich wusste also, wen er sich zum Auftakt des Beethovenjahrs ins Haus holte – und welche Kritik prompt folgen würde.

So ließ der Deutschlandfunk noch am Neujahrsabend mit Bernhard Doppler als Opernkritiker das Stück abkanzeln: »Warum nicht auch einen Theaterabend zu einer einseitigen politischen Agitation machen? Das kann man schon machen, aber mit einer Beethoven-Ehrung hat das wenig zu tun.« In der »Süddeutschen Zeitung« fühlte sich Michael Struck-Schloen bei diesem »Kommando Beethoven« an die »linken Kampfparolen der späten Sechziger Jahre« erinnert und echauffiert sich über eine »schräge Mischung aus Video-Jokus und dokumentarischen Schocks«, die einige Herrschaften dazu bewogen, hätten, den Saal zu verlassen. Was war geschehen?

Fidelio Opernhaus Bonn 2020 6In der Befreiungsoper »Fidelio« setzt Leonore kühn ihr Leben aufs Spiel, um ihren Gatten Florestan aus der Kerkerhaft zu befreien. Sie verkleidet sich als Mann, nennt sich Fidelio und lässt sich als Schließer anstellen. Marzelline, die Tochter des Kerkermeisters Rocco, verliebt sich in Fidelio, sie werden verlobt. So gelangt Fidelio zu den Staatsgefangenen. Rocco lehnt den Auftrag von Gouverneur Pizarro ab, Florestan umzubringen. Allerdings muss der Kerkermeister zusammen mit Fidelio das Grab für den Gatten schaufeln, der nach zwei Jahren Isolationshaft nahe dem Wahn ist.

Unterdessen will Pizarro selbst Hand anlegen, woran er von einem bewaffneten Fidelio gehindert wird – der wieder zur Leonore wird. Auf ein Trompetensignal hin erscheint der Minister, der – je nach Inszenierung als »guter König« oder auf Druck von unten – eine Generalamnestie erlässt.

In Bonn sind sich Publikum und Kritik in einem einig: eine herausragende künstlerische Leistung der Hauptdarsteller. Auf einem rosafarbenen Sofa sitzt eine glänzende Marzelline (Marie Heeschen), deren Traum vom privaten Glück wohl selten derart brutal konterkariert wurde. Als Leonore/Fidelio überzeugt Martina Welschenbach vollauf in ihren wandelnden Rollen. Als Rocco brilliert Karl-Heinz Lehner, ob nun eingeseift im Hamam oder mit dem Knüppel in der Hand. Mark Morouse gibt einen Pizarro, der als (neo-)osmanischer Herrscher beeindruckt und Thomas Mohrt bleibt als Florestan viel zu lange unsichtbar, so will es das Stück.

Zur Geltung verhilft ihnen erst das Beethoven-Orchester, das unter Leitung von Dirk Kaftan auch den begleitenden Videoinszenierungen Nachdruck verleiht. Neben gezoomten Livemitschnitten von der Bühne werden dokumentarische Aufnahmen eingespielt, auf idyllische Urlaubsbilder folgen Polizeieinsätze. Merkel, Erdogan, Pegida – nichts bleibt einem erspart.Fidelio Opernhaus Bonn 2020 3

Herausfordernd wirkt eine Landkarte der Türkei, an den Grenzen züngeln Flammen. Bilder aus Cizre sind zu sehen, kurdische Einwohner schieben dort 2016 unter weißer Fahne Leichenkarren durch einen zerbombten Stadtteil. Es sind Bilder, die uns von den hiesigen medialen Flaggschiffen weitgehend vorenthalten wurden. In der Bonner Oper werden sie überblendet von solchen mit Panzern aus deutscher Produktion, das Thema Waffenexporte bleibt präsent.

Fidelio Opernhaus Bonn 2020 4Die stehenden Ovationen galten am Ende auch den eigentlichen Helden des Stücks: jenen Laienschauspielern, mit denen bei Volker Lösch fest zu rechnen ist. In diesem Fall sind es Angehörige von politischen Gefangenen bzw. Menschen, die selber auf Haft und Folter zurückblicken. Auf der Bühne berichten sie an einem kargen Tisch eindringlich einem Moderator (gewinnend: Matthias Kelle). Der bekannteste von ihnen ist Dogan Akhanli, in Köln lebender Schriftsteller, zuletzt 2017 auf Geheiß der Türkei in Spanien festgenommen. Er berichtet von seinen frühen Erlebnissen »in der Folterkammer des Polizeipräsidiums in Istanbul«. Im Gespräch auf der anschließenden Premierenfeier zeigte er sich erfreut, dass das »Thema endlich mal auf eine große Bühne« kam, auf der auch die NATO beim Namen und der Einmarsch der Türkei in Syrien völkerrechtswidrig genannt wurde.

Den bekanntesten Angehörigen hat Süleyman Demirtas: sein Bruder Selahattin hat als Co-Vorsitzender der HDP lange Zeit Staatspräsident Erdogan herausgefordert, nun sitzt er in einem Hochsicherheitstrakt in Edirne ein. Für dessen Freilassung ficht das Stück ebenso wie für den vermeintlichen Terroristen Soydan Akay, den Journalisten Ahmet Altan, die Sängerin Hozan Canê und deren Tochter Gönül Örs, die in Köln eine sozialpädagogische Familienbetreuung leitet. Auf der Bühne überzeugen Dilan Yazicioglu, Agit Keser und Hakan Akay ebenso darstellerisch wie durch ihre Schilderungen. Wer mit dem Thema vertraut ist, wird TÜDAY ein Begriff sein, die meisten Zuschauer werden hier erstmals von dem Menschenrechtsverein aus Köln erfahren haben.

Fidelio Opernhaus Bonn 2020 2So sehr es dem Stück um die genannten »Fälle« geht, so sehr geht es doch zugleich um alle politischen Gefangenen. Das symbolisiert ein Chor von Gefangenen, der auf dem wahlweise gift- oder hoffnungsvoll grünen Bühnenbild (Carola Reuther) auftritt, seinerseits ganz in grün gekleidet und geschminkt, um sich schließlich sprichwörtlich aus der Anonymität herauszuschälen.

Beim furiosen Ende reihen sich alle Akteure in den Chor ein, auf der Leinwand darüber gibt es eine gefühlt endlose Liste von Namen, versehen mit dem Stempel »freigelassen«. Schilder werden hochgehalten mit Aufschriften wie »#freethemall« oder »Freiheit für alle politischen Gefangenen«. In chorischem Gesang wird dazu eingeladen, sich anschließend an den Postkarten im Foyer zu bedienen, um an Merkel, Maas und Co. zu schreiben betreffs Gefängniskomplex oder Waffenexporte. Wohlgemerkt: Postkarten vom Theater Bonn.

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Das Stück sei auch »die richtige Antwort darauf, dass der türkische Staat in den unter Zwangsverwaltung gestellten Städten als erstes die Kulturhäuser und Theater geschlossen« habe, merkte Jürgen Repschläger, kulturpolitischer Sprecher Linksfraktion im Bonner Stadtrat, an. Darin findet sich auch jene Überzeugung, wonach »ein Theater, das nicht mit draußen verbunden ist, sinnlos« sei, wie Volker Lösch zwei Wochen zuvor auf der Matinee erklärt hatte. Seinen »Fidelio« hatte er gegenüber dem Bonner General-Anzeiger auf die Formel »mit Beethoven über Beethoven hinaus« gebracht. Beides löste der Abend ein.

Und die Kundgebung vor der Oper? Die war gegen Mitternacht, auf dem Weg nach draußen, schon längst beendet. Aber zwischenzeitlich waren deren Forderungen ja auf die Bühne gelangt.

Erstveröffentlichung in »neues deutschland«, Bundesausgabe vom Mo., 06.01.2020 - Seite 14.
Wir danken »neues deutschland« und Adrian Levin für die Genehmigung zur Veröffentlichung.

 

Fidelio Opernhaus Bonn 2020 0Fidelio, Opernhaus Bonn
Vorstellungen bis 29.3.20
Nächste Vorstellungen:
So, 09.02.20, 19:30 Uhr
Sa., 15.02.20, 19:30 Uhr
weitere Termine und Ticket
https://www.bonnticket.de/fidelio-tickets-3499/?shopid=1002&query=fidelio&pageid=3499&evlid=118256

Sie möchten sich selber für die Freilassung politischer Gefangener in der Türkei engagieren? Was Sie tun können, finden Sie hier: https://www.theater-bonn.de/de/FreeThemAll/