Meinungen

uz150607.02.2015: Es gibt Menschen, die lesen eine Zeitung von hinten nach vorne. Wer so die neue Ausgabe der UZ, die Zeitung der DKP, liest, tut gut daran, denn in der Rubrik „Meine progressive Woche“ schreibt Adi Reiher knapp, aber informativ, über die Entwicklung in Griechenland:

Unsere Kampfpresse schwelgt gern im Ungefähren; seit Sonntag erfahren Deutsche wenig Konkretes und Substantielles über die Politik des Kabinetts Tsipras. Wer Genaueres wissen will, ist auf das internationale Internet angewiesen.

Wer die UZ von vorne beginnt, wird sich schnell fragen, ob die UZ auch zur kritisierten Kampfpresse zuzuordnen ist. Denn in der Berichterstattung zu Griechenland sucht man ebenfalls wenig konkretes und Substantielles über die Politik der neuen Regierung, stattdessen viel Diffamierung. Und vor allem ruft die UZ nicht auf zur Solidarität. Doch erst die positive Würdigung dieser UZ-Ausgabe.

O-Ton "Meine progressive Woche"

In Athen werden auf der ersten Kabinettsitzung Beschlüsse gefasst, von denen einige das Attribut historisch verdienen:

  • Kinder von MigrantIinnen, die in Griechenland geboren wurden, können griechische Staatsbürger werden (Wohl auch ein Zeichen an alle, die sich wegen der Flüchtlingsfeinlichkeit des kleinen Koalitionspartners sorgten).
  • Diverse Privatisierungen im nationalen Maßstab werden gestoppt.
  • Alle Entlassungen von Reinigungskräften und LehrerInnen aus dem öffentlichen Dienst werden rückgängig gemacht. Weitere Entlassungen gibt es nicht.
  • Die Schließung des staatlichen Fernsehsenders ERT wird rückgängig gemacht.
  • Die Polizei wird bei Demonstrationen und Fußballspielen keine Waffen mehr tragen.
  • Der Mindestlohn wird wieder von 400 Euro auf 751 Euro gesetzt.
  • Besonders inhumane Gefängnisse für Terroristen und Schwerverbrecher werden abgeschafft.
  • Die persönliche Zuzahlung für Krankenhaus und Rezepte entfällt.
  • Die 13te Monatsrente und das 13te Gehalt für Niedriglöhner im Öffentlichen Dienst werden wiedereingeführt.
  • Außerdem soll das Gesundheitsministerium unverzüglich einen Plan für die kostenlose medizinische und Arzneimittelversorgung von nicht versicherten Arbeitslosen vorlegen. Und innerhalb von 15 Tagen soll der Finanzminister ein Programm für eine Umschuldung Griechenlands vorlegen.

Von alldem weiß die deutsche Kampfpresse wenig bis nichts zu berichten.

Die letzte Aussage trifft leider auch auf die redaktionelle Berichterstattung zu Griechenland in der UZ zu.

Berichterstattung in der UZ über Griechenland

In der UZ vom 9. Januar geht Lucas Zeise noch von einer Wahlniederlage von Syriza aus:

Ohne einen Schuldenschnitt wird Griechenland nicht wieder auf die Beine kommen. Das ist keine Spezialerkenntnis von Syriza, das wissen auch die Gläubiger, einschließlich der Bundesregierung. Sie werden nach der Wahl mit einer ihnen gefälligen und gefügigen Samaras- Regierung darüber verhandeln. Bis dahin tun sie alles, um eine widerspenstige, linke Regierung zu verhindern, und sollte sie dennoch gewählt werden, sie aufzureiben und zu zerschlagen. Das ist die ganz gewöhnliche Aggressivität unseres heimischen Finanzkapitals.

Eine Woche später stellt Klaus Wagener die Frage, ob Tsipras wirklich der gefährlichste Mann Europas ist:

Die Frage nach der zukünftigen Rolle von Syriza, schon lange auf dem Langzeitradar der europäischen wie internationalen Braintrusts, schnellte abrupt in den operativen Bereich. Es gilt offensichtlich, die Wahlkampfaussagen, vor allem von Parteichef Tsipras, so weich zu spülen, dass die bisherige EU-Politik, auch nach den griechischen Wahlen, ungefährdet und ohne größere Friktionen innerhalb der beträchtlich heterogenen Syriza, weitergeführt werden kann. Syriza ist in diesem Konzept so etwas wie eine PASOK 2.0.
Und er weiß auch schon, wie die Politik der Syriza aussehen wird:
Noch scheint sich Syriza auf einen Kurs verständigen zu wollen, der zwar soziale Verbesserungen verspricht, die finanzielle Erdrosselung beenden will, möglicherweise einen effizienteren griechischen Kapitalismus anstrebt, aber vor den erforderlichen Strukturveränderungen, dem politischen Kündigungsschreiben nach Brüssel/ Berlin zurückschreckt.

Die gleiche Meinung vertritt auch Günther Pohl,verantwortlich für Internationale Politik im Sekretariat der DKP, der über die Vorstandstagung der Europäischen Linken berichtet. Über den dort gehaltenen Beitrag des Syriza-Wirtschaftsfachmann Yiannis Milios zu den Vorhaben der griechischen Linkspartei im Fall eines Wahlsieges schreibt er wie folgt:

Auch wenn die ursprünglich angekündigten radikalen Maßnahmen in den letzten Monaten Stück für Stück zurückgezogen worden waren (Syriza spricht nicht mehr von Austritt aus EU oder Euro), überraschte die von Milios vorgetragene Reduzierung auf rein sozialdemokratische Forderungen doch die meisten im Saal.

Eine dreiste Lüge. Jahrelang wurde Syriza von Günther Pohl angegriffen, weil sie nicht die Forderung „Raus aus der EU“ unterstützt hat. Jetzt soll diese Lüge aber dafür herhalten, Syriza als Umfaller-Partei zu diffamieren. Aber es beweist mehr, wie wenig sich Günther Pohl mit der Strategie von Syriza im Kampf gegen die Austeritätspolitik in Europa beschäftigt hat. Auch Günther Pohl sollte das Interview vom neuen griechischen Finanzminister Varoufakis gelesen haben, das er schon im Jahr 2013 gab:

Die Führer der Syriza sind über die letzten ein oder zwei Jahre zu dem, meiner Meinung nach richtigen Entschluss gelangt, dass es eine Katastrophe wäre, Griechenland aus der Eurozone auszuschließen. Gleichzeitig wäre es aber auch eine Katastrophe zu versuchen, den derzeitigen Kreditvertrag, den Rettungsplan mit der Troika umzusetzen, da er einfach nicht umgesetzt werden kann. Das ist keine Frage des Wollens. Dies ist ein Vertrag, der vollkommen irrational und kontraproduktiv ist.
Daher ist das einzige, was sie ohne einen größeren Handlungsspielraum tun können, das Abkommen neu auszuhandeln. Jedoch besteht für sie die einzige Möglichkeit der Neuverhandlung des Abkommens in der Bereitschaft, eine schwierige Position in den Verhandlungen einzunehmen. Diese Position bestünde darin, dass man, sobald gewählt, zum Rat der Europäischen Union geht und festlegt, was die groben Richtlinien für ein neues Abkommen sein müssen und hinzufügt, dass solange diese Richtlinien nicht zur Debatte stehen und vernünftig diskutiert werden, die Syriza Regierung keine Rückzahlung an die EZB bezüglich der von der EZB gehaltenen Staatsanleihen machen wird, und dass keine Maßnahmen, die von der vorherigen Regierung verhandelt wurden umgesetzt werden.

Nachzulesen auf kommunisten.de

Ab dem Wahlsieg von Syriza übernahm dann Olaf Matthes innerhalb der Redaktion Verantwortung für die Berichterstattung und die Bewertung der Politik von Syriza

Seine Kernaussage:
Griechenland: Syriza will funktionierenden Kapitalismus, nicht dessen Überwindung

Syriza verkündet einen grundsätzlichen Politikwechsel – und sendet gleichzeitig Signale, dass dieser nicht so heiß gegessen werden müsse, wie sie ihn zu kochen verspricht.

Widersprüchlichen Aussagen sind nicht ungewöhnlich für Syriza, wirklich verbindliche Dokumente gibt es nicht. Allerdings entwickelte Alexis Tsipras im vergangenen September in einer Rede auf der internationalen Messe von Thessaloniki seine Vorstellungen für eine linke Regierung, dieses „Thessaloniki-Programm“ wird von Syriza als Quasi-Programm präsentiert.

Eine wirkIiche Information über dieses Sofortprogramm gibt er aber nicht, nur abfällige Bewertungen.

Die Rhetorik von Syriza ist mehr oder weniger radikal, …. Der Inhalt ist durchaus bescheidene sozialdemokratische Politik.

Die kommunistische Partei Griechenlands (KKE) bewertet diese Versprechen als „Krümel“ – denn Tsipras mache alle seine sozialen Versprechungen davon abhängig, dass Griechenland Teil der EU und der Eurozone bleibe.

Auch in der Woche nach der Bildung der neuen Regierung keine Information über die Umsetzung des Sofortprogramms, stattdessen:

Auch Syriza hat die Tendenz, die Verantwortung für das Massenelend vor allem im Ausland, bei den Gläubigern, zu suchen und die Rolle des griechischen Kapitals und seiner Repräsentanten eher gering zu gewichten.

In der aktuellen UZ, die an die Teilnehmer der Demonstration gegen die SiKo in München verteilt wird, wird dieser Kurs beibehalten und sogar noch verschärft:

Ein kleiner Schock

Kein Aufruf zur Solidarität mit Griechenland, stattdessen wird der politische Kampf der neuen Syriza-Regierung abqualifiziert mit der Bemerkung:

Die Regierung Tsipras orientiert sich an anderen, keynesianischen Modellen. Deshalb sei für das Kapital die neue Regierung nur ein kleiner Schock.

Und in einem zweiten Artikel übernimmt er die Einschätzung der KKE :

Auch eine Linksregierung, so erklärte das ZK der KKE vor der Wahl, „wird die Menschen mit Krümeln abspeisen.

Statt inhaltlich über die schwierigen Verhandlungen der neuen Regierung mit der EU und der EZB zu berichten, eine Informationspolitik im Stil der Bunten Presse:

Währenddessen touren die Vertreter der neuen Regierung durch Europa und zeigen, dass sie für einen neuen Stil stehen. Der Finanzminister Varoufakis, auf dem Motorrad, ohne Krawatte, führt Verhandlungen.

Über diese Art der Berichterstattung in den deutschen Medien hat sich Oliver Welke von der heute-show vom 06.02.15 auf seine Art lustig gemacht. Hätte er die UZ gelesen, er hätte Olaf Matthes zugerufen: „Olaf, Varoufakis ist v.a. ein weltweit anerkannter hervorragender Ökonom“.

Am gleichen Tag ist in der Berliner Zeitung eine Rezension über das Buch „Der globale Minotauris“ zu lesen, das der neue griechischen Finanzministers Varoufakis bereits 2012 geschrieben hat. Und in der UZ: oberflächige, schlecht recherchierte Aussagen aus nicht genannten Quellen:

Die Forderung nach einem Schuldenschnitt – also die Abschreibung eines Teils der Schulden nach Verhandlungen zwischen Schuldner und Gläubiger –, mit der Syriza in den Wahlkampf gegangen war, könnte jedoch schon jetzt vom Tisch sein.

Und um das Umfaller-Partei-Bild noch weiter bestätigen zu können, wird dem Leser aufgetischt, dass Syriza sein Versprechen, den Mindestlohn auf 751 Euro anzuheben, schon wieder gebrochen habe:

Er war im Zuge der Sparmaßnahmen von 751 auf 586 Euro gesenkt worden. Nachdem das neue Kabinett zunächst ankündigte, ihn sofort wieder auf 751 Euro anzuheben, legte es sich kurz darauf auf eine schrittweise Anhebung fest. Der Arbeitsminister der Syriza-Regierung erklärte, dass eine Anhebung „auf diesem Niveau“ dem Markt „einen kleinen Wachstumsschock“ geben könne – schließlich seien Menschen in dieser Einkommensklasse gezwungen, das Geld für ihre Grundbedürfnisse auszugeben – „Brot, Milch, ein Paar Schuhe“.

Die Original-Agenturmeldung, auf die sich Olaf Matthes bezieht, lautet:

Die griechische Regierung hat erste Eckpunkte der geplanten Erhöhung des Mindestlohns genannt. Die Regierung halte an dem Vorhaben fest, die Tarifverhandlungen wiedereinzuführen und den Mindestlohn aufzustocken, der mit dem Rettungspaket 2012 von 751 auf 586 Euro im Monat abgesenkt worden war, sagte der neue Arbeitsminister Panos Skourletis am Sonntag in Athen.
"Wir gehen davon aus, dass die Wiederherstellung des Mindestlohns auf diesem Niveau dem Markt einen kleinen Wachstumsschock geben kann", ergänzte er. "Wenn Sie Menschen mit einem solch niedrigen Einkommen etwas Geld geben, werden sie es für ihre Grundbedürfnisse ausgeben: Brot, Milch, ein Paar Schuhe".(Reuters, 1.2.2015)

Ein kleiner, aber feiner Unterschied. Der Mindestlohn soll also schrittweise angehoben werden und als erster Schritt auf das Niveau von 2012, d.h. 751 Euro.

Es hat Leserbriefe gegeben, die eine objektive Information und Berichterstattung anmahnten und die forderten, sich den Solidaritätsaktionen für Griechenland anzuschließen. Eine Änderung in der Berichterstattung hat dies nicht bewirkt. Im Gegenteil, es werden 3 Leserbriefe als Antwort auf die Kritik an der Berichterstattung veröffentlicht, die leider sehr treffend die Grundrichtung der UZ-Berichterstattung zu Griechenland widerspiegeln:

  • Keiner der genannten Artikel unterstellt Syriza Verrat oder andere böse Absichten, sie kritisieren jedoch wie die KKE deren illusionäre Ankündigungen und den letztlichen Charakter dieser sozialdemokratischen Politik als Stabilisierung des bürgerlich-kapitalistischen Systems.
  • Unsere Schwesterpartei warnt stattdessen davor, dass eine Politik, die die Fundamente von EU und Euroraum akzeptiert, auch dann keine Lösung bieten kann, wenn sie von Syriza exekutiert wird. Sollte die KKE diese Einsicht besser verschweigen um sagen zu können, sie stehe an der Seite von Syriza? Die Lehrstunde, bei der wir aus unserer Geschichte hätten lernen können, sozialdemokratischen Reformismus nicht zu kritisieren, den Sozialdemokraten bei ihrer Fürsorge am Krankenbett des Kapitalismus zu helfen und ihnen nachzulaufen, wenn sie unmittelbar nach der Befreiung von Faschismus wortradikal den Sozialismus als Tagesaufgabe verkünden – diese Lehrstunde habe ich wohl verpasst. Nein – im Ernst: Das Lernen aus den eigenen Fehlern und Erfolgen ist zu wichtig, um es durch unbelegte Phrasen zu ersetzen. Wenn es also ernsthaft etwas aus unserer Geschichte zu lernen gibt, was eine Unterstützung Syrizas als notwendig erweist, dann würde ich das gerne lernen.  
  • Mit welcher Kraft träte die KKE erst auf, wenn sie dereinst 10 Prozent oder gar 15 Prozent mobilisieren könnte. Davor fürchtet sich die Bourgeoisie. Deshalb braucht sie die sozialdemokratische Variante. Dass es ihr allerdings nach dem Niedergang der PASOK in den letzten drei, vier Jahren gelingen würde, eine neue derartige Option dem Wählervolk anzubieten, habe ich persönlich nicht für möglich gehalten.

Aber zum Glück gibt es ja Leser, die von hinten anfangen zu lesen. Diese Seite lohnt sich. Und der Rest – das muss jeder für sich entscheiden. Schade. Dabei gibt es natürlich auch gute Artikel von freien Autoren, so z.B. der Bericht von Georg Polikeit über den „Marsch der Veränderung“ in Madrid oder seine Kolumne „Wahrheiten aus dem ‚Spiegel’ “. Und besonders hervorzuheben ist die Karikatur von Bernd Bücking, die mir aus der Seele spricht.

Michael Maercks

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