Meinungen

DIE LINKE Fraktion Parteifuehrung17.01.2018: Sahra Wagenknecht gibt Rätsel auf. Ein Interview mit dem SPIEGEL löste eine Welle von Spekulationen aus. Wagenknecht sieht die Notwendigkeit für eine "starke linke Volkspartei", um "Politik wirklich zu verändern". Ihr Vorbild ist die Bewegung "La France insoumise" von Jean-Luc Mélenchon. Sie schließt nicht aus, dass DIE LINKE zu dieser linken Volkspartei werden könnte, schränkt aber ein: "Das wäre auch ein Weg, aber er würde länger dauern." Und setzt hinzu: "Wenn man gemeinsam etwas Neues angeht, ist die Hürde vielleicht geringer, als wenn man sie einfach nur auffordert, in die Linke zu kommen." Funktionieren könne dies aber nur, "wenn prominente Persönlichkeiten mitmachen".

 

Sahra Wagenknecht führt damit die von Oskar Lafontaine angestoßene Debatte weiter. "Wir brauchen eine linke Sammlungsbewegung, eine Art linke Volkspartei, in der sich Linke, Teile der Grünen und der SPD zusammentun", hatte Lafontaine vorgeschlagen. (Lafontaine will Erneuerung der Linken)

Wie üblich bei den Beiden, erfolgt auch der Aufruf zu einer Sammlungsbewegung im Grundrauschen ihrer Kritik an der Flüchtlings- und Migrationspolitik der Linkspartei. "Die Themen Migration und Flüchtlingspolitik haben den Wahlkampf in einer Weise geprägt, wie das nie zuvor der Fall war. Die Linke hat da nicht nur klug agiert. Wir müssen so sprechen, dass uns auch einfache Leute verstehen." (Sahra Wagenknecht im SPIEGEL)


"Wir sehen doch, dass die traditionellen Parteien an Akzeptanz verlieren. In dem Augenblick, wo etwas Neues entsteht, wachsen die Chancen auf andere Mehrheiten. … Mit der Linken hat sich erstmals links von der SPD eine relevante Kraft etabliert. Aber wir stehen bei zehn Prozent. Das reicht nicht, um Politik wirklich zu verändern. Um eine linke Volkspartei zu werden, müssten wir noch viel an Breite und Akzeptanz gewinnen. Das wäre auch ein Weg, aber er würde länger dauern. … Viele in der SPD sind unzufrieden. Wenn man gemeinsam etwas Neues angeht, ist die Hürde vielleicht geringer, als wenn man sie einfach nur auffordert, in die Linke zu kommen."

Sahra Wagenknecht im SPIEGEL: "Ich wünsche mir eine linke Volkspartei", 13.01.2018

 

Zwei Tage nach dem SPIEGEL-Interview weist sie beim Neujahrsauftakt der Bundestagsfraktion am Sonntagnachmittag (14.1.) den Vorwurf, dass sie über eine linke Volkspartei jenseits der Linken nachdenke, als "grotesk" und "abenteuerlich" zurück. Um dann am gleichen Abend in einer Newsletter-Umfrage des 'Team Sahra' zu fragen: "Welche Personen fallen Dir spontan ein, die für solch einen Aufbruch wichtig wären?"

Albrecht MuellerAlbrecht Müller greift auf den 'Nachdenkseiten' diese Anregung auf und meint, dass die "Sammlungsbewegung … sinnvollerweise sogar breiter als rot und grün angelegt sein (müsste), also zum Beispiel auch Menschen erfassen, die mit der CDU/CSU nicht mehr zufrieden sind, weil die Union ihren Sozialausschuss-Flügel nahezu komplett gekappt hat. Auch mit der totalen Verneigung der von Angela Merkel geprägten Bundesrepublik gegenüber den imperialen Ansprüchen der USA ist ein erkennbarer Teil der CDU und CSU nicht mehr einverstanden." Albrecht Müller fällt auch eine Person ein: "Willy Wimmer ist Symbol dieser Unzufriedenheit."

Diese "Sammlungsbewegung ähnlich denkender und ähnlich motivierter Menschen von der Linkspartei über die Grünen und die SPD bis zur CDU/CSU" könnte dann von Sahra Wagenknecht angeführt werden, meint der frühere Planungschef im Bundeskanzleramt unter Bundeskanzler Helmut Schmidt. (Nachdenkseiten: Linke Sammlungsbewegung – eine Schnapsidee oder die richtige Konsequenz aus der erkennbaren Ausweglosigkeit?)

 

Dabei bleibt bislang unklar - oder wird sogar immer unklarer - , was denn nun genau mit der "linken Volkspartei" bzw. der 'Sammlungsbewegung' gemeint ist.


"Für eine Partei links von der SPD bedeutet das, dass sie einen Godesberg-Moment braucht, um wirklich etwas verändern zu können: Das explizite Eingeständnis nämlich, dass Systemüberwindung nicht zu ihrem Programm gehört. Nur damit kann sie eine wirkliche und realitätsnahe Alternative bieten und eine reformunfähige und ohnehin am Abgrund taumelnde SPD endgültig aus dem Rennen werfen."

Heiner Flassbeck (1998 bis 1999 Staatssekretär von Finanzminister Lafontaine): Gibt es nur eine Alternative im Nirgendwo?
   


Während Lafontaines und Wagenknechts Aufrufe zu einer Sammlungsbewegung bei den eigentlichen Adressaten, den Linken in SPD und bei den Grünen, kaum Resonanz finden, schlagen innerhalb der Partei DIE LINKE die Wogen hoch und führen zu einer neuen Zerreißprobe.

Katja Kipping 1Die beiden Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping und Bernd Riexinger, weisen den Vorstoß von Wagenknecht und Lafontaine strikt zurück. "Erfolgreiche Neugründungen entstehen nicht als Idee im Interview, sondern aus gesellschaftlichen Bewegungen, die wir nicht erfinden können", sagte Katja Kipping beim politischen Jahresauftakt der Partei DIE LINKE am Samstagabend (13.1.) "Wenn es zu neuen linken Mehrheiten kommen soll, dann geht das nur über eine Linke, die größer und wirkungsmächtiger ist", sagte sie. Verbinden und nicht spalten - so beginne jede wirkliche Sammlung und jeder Aufbruch, argumentiert Kipping. (Kipping: Für die LINKE ist mehr möglich – als Partei in Bewegung)


Gysi soziale Gerechtigkeit FluechtlingeKritik an der Idee einer linken Volkspartei kommt auch von Ex-Fraktionschef Gregor Gysi. Eine Bewegung um die Linkspartei herum aufzubauen, hält er zwar für "überlegenswert, denn solche Sammlungsbewegungen wurden positiv zum Beispiel in Frankreich und Spanien organisiert". Darüber müsse die gesamte Europäische Linke nachdenken, meint Gysi, Vorsitzender der Partei der Europäischen Linken. Allerdings: "Eine Sammlungsbewegung zwischen verschiedenen Parteien halte ich für irreal, weil sie immer Trennungen und Verluste bedeutet", sagte Gysi. "Auf eine Person zugeschnittene Parteien wie bei Macron, Mélenchon, Kurz und Lindner halte ich überall, aber vor allem in Deutschland, nur vorübergehend für chancenreich - mit einer Person steht, aber fällt auch alles", so Gysi


Logo fdsAuch das Forum Demokratischer Sozialismus (fds), reagierte ablehnend: "Neue Politische Aufbrüche werden immer wieder mal gefordert und angekündigt, auch in der Linken", heißt es in einer Stellungnahme. "Wie der einer neuen linken Volkspartei, einer 'linken Sammelbewegung', gelingen soll, bleibt dabei absolut im Dunkeln. Es stellt sich sogar die Frage, was daran links sein soll." Denn gerade die immer wieder erwähnte Mélenchon-Bewegung zeige doch: "Solche 'Bewegungen' kommen auch gern nationalistisch, antieuropäisch, in Bezug auf Geflüchtete durchaus fremdenfeindlich und in der Tendenz autoritär daher. Autoritär deshalb, weil eher einer Führungsperson gefolgt wird, als etwa ein Programm verstanden wird."

Das fds meint: "Es ist nicht unsere Aufgabe, Teile des politischen Parteiensystems neu zu ordnen, andere organisatorisch zu schwächen, sondern Menschen, die das Ziel einer linken Mehrheit im Lande teilen, in ihren Parteien zu stärken. Wir müssen Bande knüpfen, Gesprächsfäden spinnen, Handlungsoptionen eröffnen, damit diese in ihren Parteien den Umbruch erreichen können." Und schließlich warnen die demokratischen Sozialisten: "Wer meint, Linke unter einem neuen Banner zusammenführen zu wollen, der würde zuerst eines tun: DIE LINKE spalten." (Forum Demokratischer Sozialismus: Neue linke Volkspartei?)

Logo Soli unteilbarDie linke Sammlungsbewegung gibt es schon: Es ist DIE LINKE. Diese Auffassung wird in dem Aufruf "Solidarität ist unteilbar. Für eine bewegungsorientierte LINKE." vertreten. Zu den Erstunterzeichner*innen zählen Sabine Leidig, Christine Buchholz, Nicole Gohlke, Tobias Pflüger, Raul Zelik oder Lorenz Gösta Beutin.

"Wir ergreifen das Wort, weil wir unsere Partei als unverzichtbaren Teil linker Bewegung begreifen, als Teil des Lagers der Solidarität, das sich dem gesellschaftlichen Rechtsruck mit antirassistischem und antifaschistischem Engagement entgegenstellt und weil wir wissen, dass der Kampf um soziale Rechte, um gute Arbeit und gerechte Verteilung und der gegen Diskriminierungen jeder Art untrennbar zusammen gehören", heißt es in dem Aufruf in dem die grundsätzlichen Positionen der LINKEN festgehalten werden. "Wir stehen dabei für einen klaren Kurs der LINKEN als Friedenspartei", heißt es zum Beispiel. Oder: "Wir sind für offene Grenzen und bekennen uns zu den dazu im Parteiprogramm formulierten Grundlagen." An anderer Stelle wenden sich die Unterzeichner gegen ein Parteiverständnis als "medialer Wahlverein", denn "Grundlage von Veränderung ist immer die Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse".


"DIE LINKE ist dazu die zentrale Sammlungsbewegung in Deutschland. Sie ist bedeutend, weil sie diejenigen Traditionen und Politikansätze in sich vereint, die gemeinsam an grundsätzlichen Alternativen arbeiten. Es sind diese Aktiven, die das Wirken der Organisation von unten nach oben mit Leben füllen. Ein medialer Wahlverein kann keine Alternative zu einer pluralen und demokratisch verfassten Partei sein, die verschiedene Milieus verbindet und in realen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen verankert ist.

DIE LINKE bringt gewerkschaftliche und bewegungsorientierte Positionen, feministische und sozialistische Traditionen sowie ökologische und friedensbewegte Orientierungen zusammen. Es reicht nicht aus, parlamentarische Mehrheiten bei Wahlen verändern zu wollen und es ist falsch, wenn wir Kernpositionen linker Politik wie die Ablehnung von Privatisierung in Regierungen aufgeben oder das grundsätzliche Nein zu Auslandseinsätzen in Frage stellen würden. Grundlage von Veränderung ist immer die Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse."
Aufruf "Solidarität ist unteilbar. Für eine bewegungsorientierte LINKE."

 

Logo AKLDie Antikapitalistische Linke, früher eng verbunden mit Wagenknecht, kritisiert, "dass die Fraktionsvorsitzende der LINKEN in öffentlichen Stellungnahmen grundsätzliche Kritik an Form und Inhalt der LINKEN übt, ohne auch nur ein einziges Mal die Debatte in den Gremien der Partei darüber gesucht zu haben". Dass Sahra Wagenknecht nicht einmal die Einladung zur Vorstandssitzung am Samstag, 13. Januar, angenommen habe, bei der das Thema 'linke Volkspartei' einer der zentralen Punkte war, stößt auf "Verwunderung und Kritik".

Die Antikapitalistische Linke betont, dass DIE LINKE "aus gutem Grund in der Tradition der linken, sozialistischen Arbeiter*innenbewegung" stehe. "Ihre Grundlage ist ein politisches Programm der Unabhängigkeit von bürgerlichen Parteien. Das ist die Voraussetzung für Handlungsfähigkeit im Interesse der Gewerkschaften und anderer sozialer Bewegungen und die Entwicklung politischer Forderungen 'For the many not the few'. Von Karl Marx, über Rosa Luxemburg bis zu unserer eigenen programmatischen Debatte ist eine solche Klassenpartei gut und immer wieder aktuell begründet worden." Nach Ansicht der Antikapitalistischen Linken würden die "Vorschläge von Sahra und Oskar einen bedeutsamen Rückschritt in diesen programmatischen und politischen Errungenschaften bedeuten, ohne irgendeinen politischen Gewinn zu erzielen". (Antikapitalistische Linke: Sammlung und Bewegung)

Logo Sozialistische LinkeRalf Krämer von der Sozialistischen Linken schreibt: " Ich denke auch, dass die gesellschaftlichen Bedingungen für eine linke Sammlungsbewegung oder neue linke Partei nicht gegeben sind. Es ist notwendig, DIE LINKE zu stärken, sie muss erheblich stärker werden, um die Schwächung der SPD zu kompensieren und eine überzeugende linke Alternative gegen Rechts aufzubauen."

Krämer findet "die Aufgeregtheit über das Wagenknecht-Interview übertrieben, weil sie von einem realen Problem ausgeht und Gedanken dazu äußert". Für Ralf Krämer ist der Aufbau einer 'linken Volkspartei' - "Ich würde den Begriff linke Massenpartei bevorzugen", schreibt er - "der einzige Weg, der sich gegenwärtig darstellt, und der angestrebt werden muss. Dafür muss sich DIE LINKE aber auch verändern und offener werden und breiter werden wollen, in Richtung 'ganz normaler Leute' bzw. Lohnabhängigenmilieus, die sich nicht unbedingt als besonders links verstehen, sonst wäre es zu eng". Krämer meint, dass diese Perspektive auch in dem Interview von Sahra Wagenknecht vorkomme, wenn sie sagt: "Um eine linke Volkspartei zu werden, müssten wir noch viel an Breite und Akzeptanz gewinnen. Das wäre auch ein Weg, aber er würde länger dauern."

Der ver.di-Funktionär erinnert daran, dass die Idee einer Sammlungsbewegung auch der Bildung der WASG zugrunde lag, und dass die PDS damals nicht geeignet war, "die Repräsentationslücke zu füllen und das Potenzial für Organisierung und Mobilisierung gegen die neoliberale Politik zu aktivieren". Die heutige Situation habe da "schon Ähnlichkeiten damit, denn DIE LINKE kann die Lücke offenbar auch nicht hinreichend füllen, die der Niedergang der SPD reißt, und schlimmer noch, ein Teil der Leute geht auch aufgrund dessen nach Rechts. Aber die Lage ist auch anders, DIE LINKE existiert und ist eben doch von anderer Qualität als die PDS damals." (Ralf Krämer, Facebook, 13.1.2018)

Deutlich wird an der Debatte, dass, wie Tom Strohschneider im OXI-Blog schreibt, "das früher übliche Raster der Strömungslogik, hier die Reformer, dort die Antikapitalisten, längst von komplizierteren Machtarrangements überholt ist. Und auch die inhaltlichen Bruchstellen haben sich unter dem Eindruck der Debatten über Flucht, Migration, Identitätspolitik und neue Klassenorientierung verschoben." (Tom Strohschneider: Neue Sammlungsbewegung? Die Linken und das Form-Substanz-Problem)

Logo ISM 8Jahre"Mit Erstaunen" hat die linke Denkfabrik 'Institut Solidarische Moderne' (ISM) auf den Vorschlag der beiden LINKEN-Politiker Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht für eine "neue, linke Sammlungsbewegung" reagiert. Beide hätten "bisher kein Interesse gezeigt, das Potential für einen sozialen Aufbruch in Richtung einer sozial-ökologischen Transformation zu unterstützen", lautet der Vorwurf des ISM. Stattdessen hätten sich die zwei LINKEN-Politiker bisher um eine stetige Abgrenzung bemüht. Erstaunt auch, "weil das Institut Solidarische Moderne wie keine andere Institution für die Suche nach einem Crossover-Projekt einer Mosaiklinken steht". Dabei denke das ISM "gar nicht, das Monopol auf eine solche Suche zu haben. Wir wissen nur, dass sie sich nicht per Akklamation bewerkstelligen lässt", kritisiert das Institut die Pläne Lafontaines und Wagenknechts.

 

"Gesellschaftliche Gegenhegemonie wird aber nicht ausschließlich und nicht einmal vorrangig auf dem Terrain institutioneller Politik organisiert, sondern muss von Anfang an gesellschaftlich verankert sein: in Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, NGOS, kulturellen Organisationen und der kritischen Wissenschaft."
Institut Solidarische Moderne ISM: "Sammlungsbewegung kann nur in der Gesellschaft entstehen"

 

 

Das ISM bemängelt, dass die von Wagenknecht und Lafontaine angedachte Sammlungsbewegung "von Anfang an parteipolitisch und ausschließlich im Modus politischer Repräsentation gedacht" sei, "als eine Sammlung der Unzufriedenen der drei Parteien hinter ausgesuchtem Führungspersonal". Gesellschaftliche Gegenkräfte müssten jedoch von Anfang an breit in der Gesellschaft, etwa in Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und kulturellen Organisationen, verankert sein, so das ISM. Dazu müsse erst eine gemeinsame Form des politischen Umgangs gefunden werden, für den es Reflexion und Praxen brauche.

Letztlich hätte ein solches Projekt nach den Vorstellungen des ISM nur eine Chance auf Basis von internationaler Solidarität, die sich zum Ziel setzt, Herrschaftsverhältnisse hinsichtlich von Klassen, Geschlechtern, Sexualität, Ethnie und dem Verhältnis zur Natur zu überwinden. Nur wer »diese Herrschaftsverhältnisse gemeinsam in den Blick nimmt« sei »auf der Höhe der Zeit« und würde »an einer Bewegung arbeiten, die ein emanzipatorisches Potential entfalten kann.



"Sammlungsbewegung kann nur in der Gesellschaft entstehen"

Logo ISM 8JahreDas Institut Solidarische Moderne – das haben wir in vielen Positionspapieren in den letzten Jahren hervorgehoben – teilt die aktuell in der Öffentlichkeit diskutierte Auffassung, dass es ein politisches Milieu gibt, welches in der Schnittmenge von rot-grün-roten Milieus verortet ist und dennoch oder gerade deswegen von keiner der drei Parteien repräsentiert wird.

Mit Erstaunen haben wir allerdings den Vorschlag für eine 'neue linke Sammlungsbewegung', bestehend aus unzufriedenen Mitgliedern der drei linken Parteien, zur Kenntnis genommen, den Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht unterbreitet haben.

Erstaunt sind wir deswegen, weil das Institut Solidarische Moderne wie keine andere Institution für die Suche nach einem Crossover-Projekt einer Mosaiklinken steht. Wir denken dabei gar nicht, dass Monopol auf eine solche Suche zu haben. Wir wissen nur, dass sie sich nicht per Akklamation bewerkstelligen lässt.

Lafontaine und Wagenknecht haben bisher kein Interesse gezeigt, das Potential für einen sozialen Aufbruch in Richtung einer sozial-ökologischen Transformation zu unterstützen, sondern waren vielmehr um Abgrenzung bemüht. Ihren Aufruf zu einer Sammlungsbewegung für eine neue 'Volkspartei' als Konzept für die Bundesrepublik Deutschland, die sich an anderen Parteikonstellationen europäischer Staaten orientiert, halten wir aus folgenden vier Gründen für verfehlt:

  1. Diese Sammlungsbewegung ist von Anfang an parteipolitisch und ausschließlich im Modus politischer Repräsentation gedacht: Als eine Sammlung der Unzufriedenen der drei Parteien hinter ausgesuchtem Führungspersonal. Gesellschaftliche Gegenhegemonie wird aber nicht ausschließlich und nicht einmal vorrangig auf dem Terrain institutioneller Politik organisiert, sondern muss von Anfang an gesellschaftlich verankert sein: in Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, NGOS, kulturellen Organisationen und der kritischen Wissenschaft. Deswegen versammeln wir im ISM dieses Mosaik.
  2. Aus diesem Grund lässt sie sich auch nicht künstlich aus den Parteiapparaten heraus herbeirufen. Selbst da, wo sie wie in Großbritannien oder den USA, in Griechenland oder Spanien, parteiförmige Gestalt annimmt, ist sie Ergebnis einer gesellschaftlichen gegenhegemonialen Verschiebung oder sogar Bewegung. Ob sie aber überhaupt die Form der Partei annehmen muss, kann nicht von Anfang an feststehen. Denn gerade diese Form ist in die Krise geraten.
  3. Politische Akteur*innen aus diesen vielfältigen Milieus sind nicht einfach nur unter der Führung großer Namen zu 'sammeln'. Sie müssen vielmehr ihre gegenseitige Fremdheit, ihre unterschiedlichen Sprachweisen und Politikformen füreinander übersetzen, sie müssen eine gemeinsame Sprache und neue gemeinsame Formen des politischen Umgangs lernen. Mit anderen Worten: Eine erfolgreiche und nachhaltige 'Sammlung' ist nur denkbar als ein wahrhaft demokratischer Prozess. Dafür sind methodische Reflexionen und Praxen notwendig. Das ISM hat mit seinen über 1.000 Mitgliedern hier einen seiner Schwerpunkte: In Summer Factories, Moderator*innenschulungen, filmischen Projekten wie 'talk im transit' und 'Zeit der Monster', in gemeinsamen Publikationen und Büchern, haben wir Crossover-Positionen entwickelt und Erfahrungen gesammelt.
  4. Vor allem aber lässt sich ein linkes Crossover-Projekt nur auf der Basis von Solidarität entwickeln. Der Umgang mit der sogenannten Flüchtlingsfrage – die in Wirklichkeit eine Frage der Krise des Nord-Süd-Verhältnisses ist – ist dabei paradigmatisch. Nur wer in dieser Frage internationale Solidarität übt; wer eine Spaltung in eine legitime und eine illegitime Bevölkerung verweigert; wer die Überwindung der verschiedenen Herrschaftsverhältnisse anstrebt, egal ob sie auf Klassen, Geschlechtern, Ethnizität, Sexualität oder dem Verhältnis zur Natur beruhen; nur wer diese Herrschaftsverhältnisse gemeinsam in den Blick nimmt, ist auf der Höhe der Zeit und wird an einer Bewegung arbeiten, die ein emanzipatorisches Potential entfalten kann.


Institut Solidarische Moderne, 15.01.2018
https://www.solidarische-moderne.de/de/article/513.institut-solidarische-moderne-stellt-sich-gegen-wagenknecht-und-lafontaine.html