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Kolumbien nos estan matando 112.07.2018: Sarah Schmidt, Kolumbien, über die Lage nach dem Wahlsieg des rechtsextremen Ivan Duque ++ systematische Morde an Anhänger*innen des unterlegenen linken Kandidaten Gustavo Petro und Aktivist*innen sozialer Bewegungen ++ Rückblick auf den Wahlkampf und die Wahl

 

Eine Nachricht jagt die andere hier in Kolumbien. Seit Unterzeichnung des Friedensvertrags nehmen politische Morde an sogenannten "lideres sociales" zu - also Personen die sich aktiv für Menschrechte, Umweltschutz, oder für den Frieden einsetzen, vor allem Indigene und die ärmere Landbevölkerung und Bäuer*innen sind davon betroffen. So wurden zwischen dem 1. Januar 2016 und dem 30. Juni 2018 mehr als 312 Aktivist*innen ermordet. Seit der Wahl am 17. Juni allerdings haben sich diese "Tötungskomandos" verstärkt. Vor allem seit letzter Woche brennt es hier. Allein vom 1. Juni bis 5. Juli wurden 123 Aktivist*innen ermordet.

Kolumbien Ermordete Jan Feb2018

282 Ermordete im Zeitraum 1. Januar 2016 - 27. Februar 2018

Kolumbien 123 Ermordete Twitter

 

Es scheint eine systematische Ausschaltung der Personen stattzufinden, die auch im Wahlkampf für Gustavo Petro tätig waren, dem linken Präsidentschaftskandidaten, der offiziell knapp gegen den ultrarechten Duque verloren hat.

Kolumbien ermordete Petro Aktivistinnen

 

Du bekommst Drohanrufe,
wirst angehalten oder
du bekommst einen Zettel der AGC

Das läuft meistens so ab: Du bekommst Drohanrufe, wirst angehalten oder du bekommst einen Zettel der "Autodefensas Gaitanistas de Colombia" AGC, den Nachfolgern der gefürchteten ultra-rechten Paramilitärgruppen, die laut Regierungsverlautbarungen angeblich schon lange nicht mehr existieren. Es sind diejenigen Paramilitärbanden, die über viele Jahre hinweg ganze Landstriche terrorisierten, Massaker mit Kettensägen anrichteten, Frauen auf brutalste Weise vergewaltigten, mit den Köpfen der Getöteten Fußball spielten und sie zur Mahnung auf Pflöcke in Dörfern spießten.

Die Geschichte ist jung, die Massengräber noch nicht alle gefunden. In diesen Schreiben der "Paracos" wird man als "militärisches Objekt" deklariert und hat 48 Stunden Zeit zu verschwinden. Einige meiner Freund*innen haben solch einen Brief erhalten. Nicht alle können so einfach ihre Sachen packen und gehen, und fordern daher Polizeischutz, der aber in den meisten Fällen abgelehnt wird.

Kolumbien Morddrohung AGC

Drohbrief der Autodefensas Gaitanistas de Colombia" AGC

 

Ihr »Verbrechen«: Líder Social

So auch im Fall von Luis Barrios, ein "Líder Social" im ländlichen Palmar de Varela, Atlántico. Er bekommt Drohanrufe und Briefe. Wendet sich an den Bürgermeister, dieser wendet sich an staatliche Stellen, bittet um Schutz. Abgelehnt! Gefahr als gering eingestuft. Wir schreiben den 3. Juli 2018, landesweit starrt alles gebannt auf die Bildschirme, Kolumbien vs. England, WM. Ein Mann betritt das Haus von Luis Barrios, der mit seinen Kindern und seiner Frau Kolumbien anfeuert. Es fällt ein Schuss, Luis Barrios wird vor den Augen seiner Kinder und seiner Frau hingerichtet. Sein Verbrechen: "Líder Social", der in seinem Dorf vor allem Antidrogenkampagnen für Jugendliche leitete, ein aktiver Gewerkschafter, aber auch einer der in der Wahlkampfkampagne von Gustavo Petro tätig war, wie so viele Bauern der Umgebung auch, die auf eine Wende im Land hofften und sich das erste Mal wieder trauten ihre Meinung zu äußern.

Kolumbien Ana Maria Cortes

Ana María Cortes, Aktivistin von Colombia Humana,
die in Cáceres, Antioquia, ermordet wurde, war vom
Kommandeur der Stadtpolizei selbst bedroht worden  
  

Einen Tag später wird Ana Maria Cortés, die sich in einem Café mit Freundinnen verabredet hatte, durch einen Kopfschuss hingerichtet. Ihr Verbrechen: Líder Social und aktiv in der Kampagne "Petro Presidente". Die privaten Nachrichtensender behaupten später, sie wäre in Mafiaangelegenheiten und dem "Clan de Golfo" verstrickt gewesen. Der Clan de Golfo seines Zeichens auch eine rechte Gruppe. Total absurde Anschuldigungen.

Am gleichen Tag wird ein paar Stunden später, in einem anderen Bundesstaat eine weitere Aktivistin hingerichtet. Margarita aus Llorente in Tumaco. Und so geht es unaufhörlich weiter.

Am Samstag (7.7.) wurde der junger Professor Frank Dairo Rincón in Pitalito bei einer Diskussion mit einem Uribista mit einem Messer tödlich am Hals verletzt. Auch hier wieder: Lider Social, Kampagne Gustavo Petro. Später wird die Presse behaupten, er wäre in eine angetrunkene Straßengang geraten, die gerade einen öffentlichen Streit austrugen. Aber auch hier wieder: Vorhergehende Androhung seines Todes.

Letzte Woche wurden neben einer Straße in Argelia, Cauca, sieben massakrierte Leichen entdeckt. Diese wurden wohl mit einem LKW dorthin gebracht. Laut privaten Nachrichtensendern soll die Guerillaorganisation ELN Schuld am Massaker tragen. Allerdings weist diese die Anschuldigung per offiziellem Schreiben von sich und bittet um ein Ende des Mordens und der falschen Beschuldigungen. Des Weiteren wird behauptet es wären ehemalige FARC-Dissidenten, die dort das Leben lassen mussten. Also alles schön hindrapiert, um eine Begründung zu suchen, um als neue ultra-rechte Regierung den ungewünschten Friedensvertrag mit FARC und ELN zu kippen.

Tote sind an der Tagesordnung, die Tatsachen werden verdreht, so dass die breite Masse sich mit den Morden abfindet, so wie sie zufrieden waren mit einem Wahlkampf voller Angst man "würde wie Venezuela".

Am Freitag (6.7.) versammelten sich Menschen im ganzen Land zu Mahnwachen, ebenso in europäischen und internationalen Städten wie Paris und Berlin. Man fühlt sich machtlos und die Angst nimmt weiter zu. Die, die konnten, sind geflohen. So wie der Studentenführer aus Tolima oder die Lehrerin aus Sur de Bolívar, die ihre Drohanrufe öffentlich gemacht haben.

Angst verbreiten und den Friedensvertrag kippen

Mehr als 8 Millionen Kolumbianer*innen haben für Gustavo Petro in der Präsidentschaftswahl gestimmt. Das sind mehr als 43%. Hinter ihm stehen in allen Bundesstaaten diejenigen, die ihn von Anfang an begleitet haben, aber auch viele Mitte-Links Parteien wie die z.B. die Grünen.

Es finden systematische Hinrichtungen statt, um Angst zu schüren, die Opposition mundtot zu machen, sowie eine Kippung des Friedensvertrages salonfähig zu machen. Das hat in der Vergangenheit auch ganz gut geklappt. In Kolumbien wird über Politik nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen, wenn du nicht "Uribista", also ein Anhänger Uribes, bist.

Die Angst sitzt tief. Mit dem Wahlerfolg von Gustavo Petro, traute man sich endlich wieder zu seiner Meinung zu stehen und ehrlich zu sagen, was passiert im Land des Kaffees, des Drogenhandels und der Bananen.

Ein verzweifelter Hilferuf der Verfolgten an die Internationale Presse!

#NosEstanMatando – Sie bringen uns um

 

Ein Rückblick auf den Wahlkampf und die Wahl

Beginnen wir von vorn. Ein Jahr Wahlkampf, ein Jahr mit vielen, für uns Europäer*innen unvorstellbaren Methoden.

Ein Jahr Wahlkampf

Kolumbien Petro WahlkampfAlles begann mit der Einschreibung per Unterschriften der Kandidat*innen. Bis dahin war alles noch relativ ruhig. Keiner glaubte, dass der ehemalige Bürgermeister von Bogotá eine Chance haben würde. Doch schaffte er seine Bewegung "Movimiento Colombia Humana" für die Präsidentschaftswahl zu positionieren.

 

Während des Wahlkampfs trat plötzlich eine Gestalt hervor, die bis dato vollkommen unbekannt war, aber hinter der Expräsident Uribe steht, der in seiner Vergangenheit unter dem Namen "Kriegs-Präsident" bekannt wurde. War es doch ER, der Stimmung gegen das Friedensabkommen machte. ER, der die Verfassung änderte, damit er wiedergewählt werden konnte. ER, der versuchte die FARC mit militärischer Härte zu bekämpfen, das ihm allerdings nicht gelang und auch ER, der verantwortlich für 10.000 nachweislich umgebrachte Zivilisten ist, die als gefallene Guerilleros ausgegeben wurden - den sogenannten Falsos Positivos. ER, der über 200 Verfahren wegen Verbrechen an der Menschheit am Hals hat und nun Angst hat, dass Zeugen den Mund aufmachen und er dafür belangt werden könnte. Also musste wieder ein Kandidat her, der ihm diente. Er hatte es nach seiner 8-jährigen Amtszeit mit Santos versucht, dieser ist ihm aber in den Rücken gefallen. Dann, in den vorletzten Wahlen, hatte er einen Mann für sich aufgestellt, der aber nicht besonders charismatisch rüberkam, und deshalb auch keine Chance hatte gegen Santos, den nun scheidenden Präsidenten Kolumbiens, Friedensnobelpreisträger für sein Friedensabkommen mit der FARC.

Für diese Wahlen 2018 setzten Uribe und Konsorten auf ein jüngeres Pferd: Ivan Duque, unbekannt, charismatisch, jung, dynamisch, sagt was Uribe ihm einflüstert, kurz noch einen Harvard-Titel hinzugefügt, der sich als falsch rausstellte. Unser nun "gewählter" Präsident war geboren.

Wie geht das? In den ersten Umfragen war Gustavo Petro Topfavorit, ehemaliger Bürgermeister Bogotas und Senator, der nicht davor zurück schreckte im Parlament als Senator paramilitärische Strukturen aufzudecken. Sein Wahlprogramm: Erneuerbare Energien, Sozialdemokratie, Landwirtschaft statt Erdöl, Unterstützung der Armen, Landreformen, gerechte Arbeit und Bildung für Alle.Aber vor allem: Die Weiterführung und Einhaltung des Friedensprozesses mit FARC und ELN.

Erste Umfragen: Petro 40%, Duque 4%. Eine Woche später: Duque 60%, Petro 20%.

Wie kann das sein? Die wichtigsten TV-Sender hier in Kolumbien heißen Caracol und RCN. Dort kommen die für Lateinamerika berühmten Telenovelas und aber auch die Tagesnachrichten. Immer von 12 – 14 Uhr, dann wenn alle beim Mittagessen sitzen. Die Nachrichten gehören dazu wie der Reis im Mittagesmenü. Die Sender sind allerdings privat. Nicht staatlich. Der Meistbietende bekommt den Zuschlag. Ein wohlwollender Artikel für einen Kandidaten in einem Lokalblatt kostet umgerechnet 8.000 Euro. Für die ultrarechten Parteien gar kein Problem. Da geht das schon mit den Umfragen manipulieren.

So wurde das Spiel fortgesetzt, immer mit dem Slogan: "Gegen Petro, sonst werden wir wie Venezuela". Das war schon der Hauptschlager im Referendum zum Thema" Frieden ja oder nein" und hat nun auch im Wahlkampf gut funktioniert.

Dazu kommt eine absolute Diffamierungskampagne. Petro wurde kurzerhand zum FARC-Guerrillero erklärt, das zog auch gut bei der breiten Masse, die Hass- und Hetzkampagnen breitwillig in sozialen Netzwerken weiterverbreiteten. Es wurde der Venezolaner J.J.Rendon hinzugezogen, bekannt für seine lügnerischen rechten Hetzkampagnen, mit denen er es schafft noch die letzte undenkbare Lüge als die absolute Wahrheit aufzutischen. So wurden die erfundenen "Bodegas", an denen angeblich tausende bezahlte Arbeiter*innen für Petro im Netz Wahlkampf machen, oder die abgerichteten "Killerbienen", die Uribe in einem Dorf angriffen, oder die "Avocado Landwirtschaft" statt Erdöl, von den Petristas als Symbole übernommen, um deren Absurdität aufzudecken, mit denen J.J. Rendon trachtete Wähler*innenstimmen zu klauen.

Die erste Runde

Es haben Tausende Tote gewählt

Dann die erste Runde der Wahlen. Es haben nachweislich Tausende Tote gewählt. In vielen Orten wurden die Leute gezwungen für bestimmte Kandidaten zu wählen, sonst ist der Job weg. Mancherorts mussten Arbeiter*innen großer Supermarktketten ihre Ausweise abgeben, damit sie nicht selbst wählen gehen konnten und mit den Ausweisen wurden dann bezahlte "Wähler" geschickt. Wahlzettel wurden kurzerhand kopiert und verteilt wie Bonbons an Karneval. Kontrolle – Fehlanzeige!

Europäische Wahlbeobachter*innen, die schon im Vorfeld das Wahlsystem untersuchen wollten, wurde der Zugang verwehrt. Danach wurde festgestellt, dass in vielen Fällen die Endauszählung der Wahlzettel manipuliert wurde. Das findet hier noch handschriftlich statt und die Übertragung der Daten dann per Telefon. Vielerorts wurden markierte Wahlzettel im Müll gefunden, oder wurden verbrannt. Beweismaterial in Foto, Film und Ton gibt es zuhauf, aber es kommt halt nicht in den großen Nachrichtensendern für die breite Masse. Beim Endergebnis vieler Wahltische wurden einfach kurzerhand die Stimmen handschriftlich überschrieben.

Zweite Runde

Duque punktet weiterhin und niemand versteht warum. Alle hoffen auf die zweite Runde. Die verschiedenen Kandidat*innen rüsten sich mit Urnenbeobachter*innen, einem Netz aus Anwält*innen - aber auch hier, kaum internationale Präsenz und Manipulation wohin das Auge reicht. 16 Uhr ist Wahlschluss, an allen Orten werden noch Stimmen ausgezählt, als um 16:44 Uhr schon Ivan Duque als neuer Präsident bekanntgegeben wird.

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Petro erreichte offiziell, ohne Geldmaschinerie, ehrliche 41,81% mit 8.034.189 Stimmen, Ivan Duque 53,98% mit 10.373.080 Stimmen. In weniger als 44 Minuten wurden mehr als 18 Millionen Stimmen ausgezählt und übermittelt. Das ist weltweit die schnellste Auszählung und sollte ins Guinessbuch der Weltrekorde aufgenommen werden.

Vielleicht haben aber auch die vielen Kisten mit offiziellem Wahlmaterial, die im Morgengrauen die Kampagnenhäuser von Duque verließen, ihr übriges getan. Es ist kein Geheimnis, dass die Wahlbehörde "Registraduria" nicht unparteiisch ist, sondern ganz offen eine bestimmte Partei unterstützt. Kolumbien gehört zu einem der weltweit korruptesten Länder.

Duques erste Amtshandlung nach der Wahl: ein Treffen mit Trump, um über Venezuela zu sprechen.

Währenddessen gehen draußen die Paramilitärs verstärkt und unter dem Schutzmantel Uribes und Duques ihren Morden nach, und die Opposition ist darauf konzentriert, die Wahrheit ans Licht zu bringen, sich nicht mundtot machen zu lassen und vor allem, zu überleben.

Heute, 09.07.2018 wurden gerade 150 Paramilitärs in Murindó, Antioquia "stationiert".

Im Moment stehen ca. 150 weitere Líderes Sociales mit Androhung auf der Abschussliste. Und es werden täglich mehr.

#NosEstanMatando
Que La Paz No Nos Cueste La Vida (Auf dass der Frieden uns nicht das Leben kostet)

Sarah Schmidt, Kolumbien


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