Linke / Wahlen in Europa

von Pascal Beucker

GR Wahlkampf2019 3Unter großem Applaus und herzlich begrüßt von Alexis Tsipras betrat am späten Freitagabend auf der zentralen Wahlkampfkundgebung von Syriza ein alter Mann mit Strohhut die Bühne auf dem prallgefüllten Syntagma-Platz: Vasilis Vasilikos.

Vasilis Vasilikos gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Griechenlands. Mehr als einhundert Bücher hat er veröffentlicht. Eines davon wurde ein Weltbestseller. In den Siebzigerjahren dürfte es kaum eine linke Wohngemeinschaft in Deutschland gegeben haben, in dem es nicht stand: „Z“. Der dokumentarische Roman handelt von der Ermordung des linken und pazifistischen Parlamentsabgeordneten Grigoris Lambrakis 1963. Das Buch erschien 1966, am Vorabend der griechischen Obristendiktatur. Berühmt wurde die „Anatomie eines politischen Mordes“ durch die Oscar-prämierte Verfilmung von Constantin Costa-Gavras, den fulminanten Soundtrack lieferte Mikis Theodorakis. Das war 1969, die Militärs hatten inzwischen die Macht übernommen und Vasilikos lebte bereits im Exil. Wie so vieles andere waren auch seine Schriften in Griechenland verboten.

Was das mit der Parlamentswahl in Griechenland zu tun hat? Unter großem Applaus und herzlich begrüßt von Alexis Tsipras betrat am späten Freitagabend auf der zentralen Wahlkampfkundgebung von Syriza ein alter Mann mit Strohhut die Bühne auf dem prallgefüllten Syntagma-Platz: Vasilis Vasilikos. 84 Jahre ist er inzwischen alt. Und hat beste Aussichten, am Sonntag erstmalig in die Vouli, das griechische Parlament, einzuziehen. Denn er steht auf Platz 1 der landesweiten Syriza-Liste. Beinahe schüchtern winkte der Schriftsteller in die Menge.

Was seinen Auftritt besonders bemerkenswert macht: Noch im März vergangenen Jahres war Vasilis Vasilikos Ehrengast auf der Athener Gründungskonferenz von MeRA25, der Partei von Yannis Varoufakis. Doch gewinnen konnte der ihn für sein Projekt letztlich nicht. Die immer wüsteren Tiraden von Varoufakis gegen die Syriza-Regierung haben dabei einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet. Vasilikos ist nicht der einzige, der sich irritiert zeigt über die Verwandlung eines klugen Wirtschaftswissenschaftlers in einen irrlichternden Politdesperado.

Varoufakis hielt seine Wahlkampfabschlussveranstaltung am Freitagabend auf einem kleinen Platz an der Santaroza Straße ab, knapp eine Viertelstunde Fußweg vom Syntagma-Platz entfernt. Dass er zeitgleich mit Tsipras auftrat, zeugt von seiner ungebrochenen Hybris. Bei den griechischen Wählerinnen und Wähler stößt der frühere Finanzminister allerdings nur auf sehr bescheidenden Zuspruch. In den Umfragen rangiert MeRA25 zwischen 3 und 4,1 Prozent - was für einen knappen Einzug ins Parlament reichen würde. Zu mehr aber auch nicht.

In seiner rund einstündigen Rede erwähnte Alexis Tsipras den einstigen Weggefährten mit keinem Wort. Stattdessen verwies der Ministerpräsident auf die Erfolge, die seine Regierung trotz des Diktats der EU erreicht habe: von der Erhöhung des Mindestlohns über die Schaffung von 400.000 neuen Arbeitsplätzen und die deutliche Verringerung der Arbeitslosigkeit bis zur Wiederermöglichung von Tarifverhandlungen, die die Vorgängerregierung abgeschafft hatte.

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Auch verteidigte Tsipras eindringlich das Prespa-Abkommen, mit dem der hochgradig nationalistisch aufgeladene Namensstreit mit dem exjugoslawischen Nordmazedonien beigelegt werden konnte - gegen heftige Widerstände insbesondere der Nea Dimokratia („Volksverräter“) und auch der sozialdemokratischen PASOK. „Wir sind einen Weg gegangen, den sich sonst niemand getraut hat“, sagte er. „Heute haben wir an unseren nördlichen Grenzen ein befreundetes Land, einen Verbündeten und keinen Feind.“

Trotz der schlechten Umfragewerte gab sich Tsipras kämpferisch: „Nein, wir werden unsere Zukunft nie wieder denen anvertrauen, die unsere Träume und unsere Würde zerstört haben.“ Die nationalkonservativ-neoliberale Nea Dimokratia werde Griechenland wieder in den Abgrund führen, warnte er. Hellas dürfe nicht „in die dunklen Tage der Austerität und des Klientelismus zurückfallen“.

Seine Alternative: Nachdem es Syriza gelungen sei, Griechenland aus der Umklammerung der Memoranden zu führen, bitte er nun die Wählerinnen und Wähler um ein erneutes Mandat - „nicht um eine zweite Chance, sondern um die erste Gelegenheit, mit unserem eigenen Programm zu regieren, ohne die Troika über unseren Köpfen“. Syriza trete ein für einen starken Sozialstaat und Gerechtigkeit, für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und bessere Löhne, für gute öffentliche Krankenhäuser und qualitativ hochwertige Gesundheitsdienstleistungen, gute öffentliche Schulen und hochwertige öffentliche Universitäten, für ein faires und tragfähiges Versicherungssystem. Es gehe um eine „starke soziale Solidarität, die niemanden im Abseits stehen lässt“, sagte Tsipras.

Es war eine emotionale, bisweilen pathetische Rede, mit der sich der Syriza-Frontmann gegen die drohende Niederlage am Sonntag stemmte. Doch auch wenn er damit die vielen tausend Menschen auf dem Syntagma-Platz begeisterte, sind seine Aussichten dennoch trübe. Mögen die griechischen Meinungsforschungsinstitute auch chronisch unzuverlässig sein, so ist deren Tendenz dennoch allzu eindeutig. In den letzten Umfragen liegt Syriza zwischen 27,5 und 28,5 Prozent - und damit abgeschlagen mehr als zehn Prozentpunkte hinter der Nea Dimokratia.

Text und Fotos: Pascal Beucker

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