Referate

Rot-Rot-Grün: Chance oder Hirngespinst

Stichpunkte für ein Referat am 16.11.2016 bei der dkp-muenchen

Mit den Koalitionsverhandlungen im Land Berlin und dem Treffen von Bundestagsabgeordneten steht Rot-Rot-Grün plötzlich im Mittelpunkt der politischen Debatte. Die CSU hat auf ihrem Parteitag den Kampf gegen die "Linksfront" eröffnet.

In welcher politischen Situation diskutieren wir das Problem?

Umfassender betrachten, weil Entwicklung in D nicht abgekoppelt ist von Entwicklung im globalen Kapitalismus.
Wahl von Trump Zeichen dafür, dass nicht nur in der EU die 'organische Krise' des neoliberalen Kapitalismus auf das politische System übergegriffen hat.

Möchte in diesem Zusammenhang Antonio Gramsci zitieren, der über die "politischen Parteien in den Zeiten organischer Krisen" geschrieben hat:
"An einem bestimmten Punkt ihres geschichtlichen Lebens lösen sich die gesellschaftlichen Gruppen von ihren traditionellen Parteien, das heißt, die traditionellen Parteien in dieser gegebenen Organisationsform, mit diesen bestimmten Männern, die sie bilden, sie vertreten oder führen, werden von ihrer Klasse oder Klassenfraktion nicht mehr als ihr Ausdruck anerkannt. Wenn diese Krisen eintreten, wird die unmittelbare Situation heikel und gefährlich, weil das Feld frei ist für Gewaltlösungen, für die Aktivität obskurer Mächte, repräsentiert durch die Männer der Vorsehung oder mit Charisma. … Man spricht von 'Autoritätskrise', und das eben ist die Hegemoniekrise oder Krise des Staates in seiner Gesamtheit.“

Und weiter schreibt er, dass die "gefährliche unmittelbare Situation" deshalb entsteht, "weil die verschiedenen Bevölkerungsschichten nicht dieselbe Fähigkeit besitzen, sich rasch zu orientieren und mit derselben Schnelligkeit zu reorganisieren. Die traditionell führende Klasse, die über ein zahlenmäßig starkes geübtes Personal verfügt, wechselt Menschen und Programme aus und gewinnt die Kontrolle wieder …. setzt sich mit demagogischen Versprechungen einer ungewissen Zukunft aus, behält die Macht .. und bedient sich ihrer, um den Gegner zu zerschmettern … " (Antonio Gramsci, Gefängnishefte: 1577f.)

Scheint wie aktuelle geschrieben zu sein zu Entwicklung in den USA (wie sich politisches Establishment und Kapital ganz schnell mit Trump arrangiert), Ungarn, Türkei, .. demnächst möglicherweise Frankreich – oder auch zu BREXIT.

Entscheiden wird – wenn diese Charakterisierung stimmt -, ob die Linke diese 'Offenheit der Situation' – und Offenheit ist immer mit Gefährlichkeit verbunden!! – versteht und ob sie auch die Fähigkeit entwickelt, sich "mit derselben Schnelligkeit zu reorganisieren".

Der Wahlsieg von Trump gibt der extremen Rechten einen Auftrieb – weltweit, eben auch in D.

Jetzt zu Deutschland

  • Die "Volksparteien" CDU/CSU und SPD kommen zusammen nur noch auf wenig über 50%; AfD an dritter Stelle.
  • CSU: "Ordnung" als Leitprogramm
  • In Berlin haben CDU, AfD und FDP gemeinsam eine Stadträtin der SPD verhindert

-> Wenn AfD weiter wächst, wird sie zu Partnern der rechten Union und damit sehr schwer aufzuhalten.

Die GroKo

  • verschärft soziale Lage wachsender Teile der Bevölkerung (Rente, Hartz IV), Privatisierung (Autobahnen, Rente), kehrt Energiewende um, beschleunigt Zug in Klimakatastrophe,
  • treibt Übergang zu einem 'autoritären Kapitalismus' voran,
  • spaltet die Gesellschaft,

-> führt zu wachsender Politikverdrossenheit und bereitet Feld für extreme Rechte

In Berlin sitzt mit Schäuble – stellvertretend für neoliberalen Kräfte in ganz Europa –

  • die stärkste Blockade für eine Abkehr von der Austeritätspolitik in Europa,
  • die politische Haupttriebkraft für eine autoritäre, neoliberale EU
  • der stärkste Gegner einer Linksentwicklung in Europa

-> ohne Wechsel in Berlin wird es in Europa keine fortschrittliche Veränderung geben

->-> AfD muss gestoppt, CDU/CSU von Regierung verdrängt und eine andere Politik eingeleitet werden.

Am vergangenen Sonntagnachmittag hat in Holzkirchen (Kleinstadt mit knapp 16.000 Einwohnern im oberbayerischen Landkreis Miesbach, ca. 30 km südlich von München) eine Debatte über RRG mit Johanna Uekermann (JUSO-Bundesvorsitzende), Claudia Stamm (Grüne) und Ates Güpinar (Landessprecher DIE LINKE.Bayern) mit über 200 TeilnehmerInnen!! stattgefunden.

Einigkeit:
•    Es muss sich was verändern!
•    GroKo bereite Feld für AfD
•    GroKo muss abgelöst werden!
•    Andere Politik nur mit RRG möglich

Johanna Uekermann nannte drei Punkte:
•    "bei Verteilung muss was passieren"
•    "für junge Leute muss was passieren" (Arbeit, Ausbildungsvergütungen, Wohnen)
•    keinen Abschottung, offene Gesellschaft

Wie realistisch ist mit diesen Parteien eine andere Politik?
Blick auf die SPD:

  • Mit Zweidrittelmehrheit hat sich der SPD-Parteikonvent für das Freihandelsabkommen mit Kanada ausgesprochen. Das galt sogar als Voraussetzung dafür, dass Gabriel Kanzlerkandidat werden kann.
  • Gabriel macht die Energiewende kaputt und schützt die Kohlenlobby; dafür lässt er seine Umweltministerin Hendricks an die Wand fahren
  • "Die deutschen Rentner und Arbeiter sollen nicht für die Wahlversprechend der teilweise kommunistischen Regierung in Athen bezahlen." Das war nicht Söder, sondern Gabriel in der BILD. Er hat mitgeholfen, ein linkes Projekt zu erwürgen, das eventuell die Initialzündung für eine andere Richtung in Europa hätte sein können.
  • Rüstungsexport,
  • Armutsrente,
  • usw. usf. ….


->  Sehe bei SPD keine Anknüpfungspunkte für linke Politik, d.h. u.a. für

  • deutliche Umverteilung,
  • ökologischer Umbau,
  • Abrüstung,
  • aktive Friedens- und Entwicklungspolitik im nahen Ausland (Mittelmeerregion, Naher und Mittlerer Osten, Osteuropa und Kaukasus),
  • humane Flüchtlings- und Migrationspolitik
  • eine andere Politik auf EU-Ebene: Demokratisierung der EU


RRG aber nur sinnvoll, wenn damit Politikwechsel verbunden ist, ansonsten wird Linke diskreditiert und das Feld für Rechtspopulismus bereitet (macht eben nicht nur GroKo, sondern noch viel mehr das Versagen der Sozialdemokratie.)
Das ist Erfahrung von Mitte-Links-Regierungen bzw. sozialdemokratischen Regierungen, die neoliberale Politik und Sparpolitik durchsetzen in Italien, Frankreich, oder jetzt USA

Vier Thesen

1. Bei der Bundestagswahl 2017 ist kein Richtungswechsel möglich

Für einen solchen Richtungswechsel, sind die Voraussetzungen nicht gegeben.

  • Die SPD ist sehr weit von einer Linksorientierung entfernt. Die für einen Richtungswechsel eintretenden linken Kräfte in der SPD und den Grünen sind schwach und in ihren Parteien marginalisiert.
  • Es gibt nach allen aktuellen Wahlumfragen keine wahlarithmetischen Mehrheiten
  • und was ausschlaggeben ist: Es gibt keine gesellschaftlichen Mehrheiten für einen Kurswechsel, d.h.

es fehlt eine entscheidende Voraussetzung für einen politischen Kurswechsel nach links: Es fehlt die Bewegung und der Druck von unten; es gibt kein gemeinsames Programm für eine politische Alternative.

Die gesellschaftlichen Kräfte für einen Wechsel in Richtung einer solidarischen Gesellschaft sind zu wenig organisiert. Somit sind die Voraussetzungen für einen Richtungswechsel zu einer sozial-ökologischen, demokratischen Transformation gegenwärtig nicht gegeben.

Da ein Politikwechsel nach links auf enormen Widerstand stoßen wird (siehe die Erfahrungen aus Griechenland), bedarf es einer krisenhaften Situation (die Linke wird immer nur 'geholt' in Katastrophensituationen oder zumindest politisch und soziale sehr schwierigen Zeiten), einer organisierten Linken und sozialer Bewegungen und einer "außerordentlichen Bereitschaft der Bevölkerung, die unvermeidlichen Kosten mitzutragen" (Michael Brie, Für eine Politik des »Dritten Pols«, ND, 21.08.2016)

Damit gibt es auch keine Grundlage für einen Politikwechsel mit einer rot-rot-grünen Regierungskoalition nach der Bundestagswahl 2017.

DIE LINKE würde sich desavouieren und als Teil des neoliberalen Parteienkartells erscheinen; mit den Folgen, die z.B. aus Italien bekannt sind.

Einen weiteren Aspekt benennt Michael Brie: "Auch die Partei DIE LINKE ist strategisch nicht geeint. Sie würde bei einer Beteiligung an einer Mitte-links-Regierung also die schon jetzt vorhandene politisch-parlamentarische Repräsentationslücke für einen Richtungswechsel komplett machen, damit die Rechten weiter stärken und zugleich ihren eigenständigen politischen Gebrauchswert verlieren. Die Linkspartei würde auseinanderbrechen und marginalisiert werden."

2. Es wird erst einmal so weitergehen (mit GroKo oder Schwarz-Grün) – und in Perspektive wahrscheinlich in einer offen Krisensituation münden

Die gegenwärtige Politik ist geprägt vom "Durchwursteln". Immer neue Krisenerscheinungen wird mit einer Eindämmung begegnet, ohne den Krisenprozess steuern, geschweige denn, beenden zu können. Früher erfolgreiche Maßnahmen zur Eindämmung von Krisen sind wirkungslos oder sogar kontraproduktiv (ist ein Kennzeichen einer 'organischen Krise'). Trotzdem können die Herrschenden die Krisenprozesse – bisher - so eindämmen, dass sie nicht zu einem offenen gesellschaftlichen und politischen Konflikt führen. Die neoliberale Politik wird fortgesetzt -mit zunehmender staatlicher Intervention und zunehmend autoritären Herrschaftsmethoden.

Herausgefordert wird diese Politik durch die extreme Rechte, die mit Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie, … die Gesellschaft spaltet und den Übergang in einen 'autoritären' Kapitalismus beschleunigt.

Dieser Prozess vertieft die soziale Spaltung, führt zu wachsender Verarmung, … und verstärkt die Hegemoniekrise und Differenzierung des herrschen Blockes.

(Hoffentlich) ist damit auch die Entwicklung von linken Gegenbewegungen verbunden – es besteht zumindest die Chance.

Dies kann in eine offene Krisensituation münden, in der erst wirkliche Weichenstellungen bezogen auf eine grundlegendere Richtungsänderung möglich werden. Die gesellschaftliche wie politische Linke muss sich auf einen solchen Bruch vorbereiten.

3. In der Gesellschaft gibt es einen »Dritten Pol«

Es gibt nicht 'die' Rechtsentwicklung, sondern eine gesellschaftliche und politische Polarisierung zwischen 'rechts und links'.

Proteste gegen TTIP/CETA, Hunderttausende die in HelferInnenkreisen für Geflüchtete aktiv sind, das Engagement vieler in Stadtteilen, Gewerkschaften, Verbänden und sozialen Bewegungen zeigen: Es gibt nicht nur das 'autoritäre, rassistische Lager', sondern auch ein "Lager der Solidarität', Potentiale eines 'dritten Pols' - allerdings zerstreut, unverbunden. (in Anlehnung an Lenin: er existiert nur "an sich" und nicht "für sich")

Dieser »Dritte Pol« ist gesellschaftliche nicht sichtbar, besteht quer zu den Parteien und ist ohne politische Repräsentation.

Die Partei DIE LINKE hat nur für einen kleinen Teil dieses Dritten Pols eine Anziehungskraft.

Es zeigt sich mehr und mehr, dass die LINKE aus sich selbst heraus keine nennenswerten Terraingewinne erreichen wird.

Es sind also nicht nur die durch die neoliberale Politik "sozial Abgehängten", die keine politische Repräsentation mehr haben, sondern auch wachsende Teile gesellschaftlich aktiver Menschen.

Bei politischer bzw. Wahlenthaltung stärkt dies die extreme Rechte.

siehe Wahlen Frankreich oder aktuell USA oder auch AfD: Das Problem ist nicht, dass ehemalige Linkswähler nach rechts gehen, sondern dass die extreme Rechte die rassistischen Potentiale mobilisiert und frühere Linkswähler der Wahl fernbleiben, weil sie keinen Sinn mehr in 'Politik' sehen, weil sie resigniert sind, weil sie die Linke als Teil des neoliberalen Parteienkartells sehen. Trump hat nicht gewonnen, weil die ArbeiterInnen massenhaft übergelaufen wären - die Republikaner haben im Vergleich zu den Wahlen 2012 nicht mehr Stimmen bekommen -, sondern weil die Demokraten im Vergleich zu den Wahlen 2012 ca. 6,5 Millionen WählerInnen verloren haben (zu 2008 sogar 10 Mio.).

Die Herausforderung ist, den 'dritten Pol' zwischen dem autoritär regierenden Machtblock und einem sich radikalisierenden Rechtspopulismus politisch sichtbar zu machen.

Dieser 'dritte Pol' oder 'Lager der Solidarität' geht weit über diejenigen hinaus, die sich explizit als 'Linke' verstehen. Diese können für ein alternatives Projekt nur gewonnen werden, wenn die Anerkennung von Unterschiedlichkeit, Pluralität und Horizontalität zum Wesen des Projekts zählen.

Anmerkung:
Auch wenn der 'dritte Pol' weit über diejenigen hinausgeht, die sich explizit als 'Linke' verstehen, so sind 'Rechts und Links' die beiden Pole des Politischen.
Häufig heißt es jetzt, dass 'rechts – links' keine Bedeutung mehr habe, sondern ersetzt werden müsse durch 'oben – unten'.
Rechts und Links sind die beiden Pole des Politischen.
Die Rechte schürt Ängste, sät Hass, predigt Gewalt, setzt auf Ungleichheit, schottet sich ab und grenzt andere aus. Ihr Protest gegen "die da Oben" ist in Wirklichkeit gegen "die da Unten" gerichtet, weil sie mit Rassismus, Frauenfeindlichkeit etc. die Unten spaltet (siehe Trump, Le Pen, AfD, ..) und in einer untergeordneten Rolle halten will.
Links ist die diametral entgegengesetzte Vorstellungen einer guten Gesellschaft. Links ist das Ziel der Emanzipation des Menschen, die nur durch die Menschen selbst bewerkstelligt werden kann. Im Wissen um die Mitverantwortung Europas und des globalen Nordens an den Nöten des globalen Südens steht internationale Solidarität in der Welt der Linken ganz oben auf der politischen und sozialen Agenda. (siehe auch ISM, Mit der Demokratie neu beginnen)


4. Voraussetzungen für Politikwechsel nach links schaffen
Wenn es richtig ist, dass gegenwärtig kein Richtungswechsel der Politik möglich ist, sondern die Voraussetzungen erst entstehen und geschaffen werden müssen, dann steht nicht die Beteiligung an einer Mitte-links-Regierung auf der Tagesordnung, sondern es müssen erst die gesellschaftlichen Bedingungen für eine zukünftige linke Regierung geschaffen werden.
D.h.

  • DIE LINKE bei der Bundestagswahl stärker machen.
    (nachträglich eingefügte Anmerkung, um einem Parteiordnungsverfahren vorzubeugen: dies ist kein Wahlaufruf DIE LINKE zu wählen, sondern Schlussfolgerung aus einer politischen Analyse; wie es auch in der Begründung des Beschlusses des 21. Parteitags der DKP zur Bundestagswahl 2017 heißt: "Die einzige Partei, die sich dem (der aggressiven Politik des deutschen Imperialismus) im Bundestag noch wesentlich entgegenstellt ist die PdL.")
  • Der »Dritte Pol« braucht politische Repräsentation.
  • Damit steht auch die Frage, ob eine deutsche Übersetzung der 'Bernie-Sanders-Bewegung' oder des Aufbruchs mit Jeremy Corbyn gefunden wird: die Verbindung der sozialen Frage mit Anti-Rassimus, der LTGB-Bewegung, … - die Schaffung einer 'Regenbogenkoalition'. Denn die Anti-Establishmentstimmung ist überall die gleiche.
  • Es geht dabei nicht um eine parteipolitische/-förmige, sondern um eine gesellschaftliche Mobilisierung.
  • Auch wenn rot-rot-grün als Parteienprojekt SPD-LINKE-GRÜNE keine Perspektive hat, so geht es trotzdem um das Zusammenführen von rot-rot-grün als gesellschaftliche Strömungen und Bewegungen, um perspektivisch die gesellschaftliche Basis für eine Linksregierung zu schaffen.


Das Institut Solidarische Moderne hat dazu aufgefordert, einen Prozess politischer Foren einzuleiten.

Es geht drum, sich daran aktiv zu beteiligen, um gemeinsam von unten ein alternatives Programm zu erarbeiten und eine gesellschaftliche Mehrheit für eine demokratische, sozial-ökologische Transformation zu formieren.

Nach den Erfolgen der AfD, dem Brexit-Votum und dem Sieg von Trump-Sieg muss allen klar sein: Die Situation ist ernst – aber eben auch offen -, mit allen Gefahren und Chancen, die das mit sich bringt.

txt: Leo Mayer